Eliza. Rudolf Stratz

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Eliza - Rudolf Stratz


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entgegen. „Zurück, Madame!“ herrschte es unter seinem Schnauzbart. Zugleich sprang atemlos ein goldbetresster Würdenträger des Kaiserreichs aus der aufgestossenen Wagentüre. „Zurück, im Namen aller Teufel — Madame!“, zischten seine feinen, bartlosen Diplomatenlippen. Gerade jetzt vor drei Jahren hatte der Grossmarschall Duroc, als sich bei Abbeville, auf der Landstrasse in Nordfrankreich, Madame Charlotte Encore dem Kaiser zu Füssen warf, durch den dünnen Batistärmel der jungen Witwe noch rechtzeitig das vergiftete Stilett schimmern sehen. Die schöne Madame Encore war im Gefängnis gestorben, ohne dass man jemals ihren wahren Namen erfuhr. Aber seitdem durfte kein patriotisches Frauenzimmer mehr sich Napoleon mit der Bitte, ihn umarmen zu dürfen, nähern.

      Doch von der anderen Seite des Wagens hatte der Marschall dem Kaiser rapportiert. Der kleine, gedunsene, gelbliche Mann machte eine kaum merkliche Bewegung des Cäsarenkopfs unter dem Zweispitz. Die Reichsgräfin Praunheim stand vor dem kleinen Korporal im ordenslosen, hellgrünen Frack der Jäger zu Fuss über der weissen Weste. Sein Blick wurde wohlwollender, als er sah, wie hübsch sie war. Ein Lächeln des feingeschnittenen Mundes gab ihr die Erlaubnis zu reden. Eliza Praunheim hielt die gefalteten Hände vor der Brust. Ihre Stimme flog, um die kostbaren, unwiderbringlichen Minuten auszunützen . . . . .

      „Die Gnade Eurer Majestät hat auch geringere deutsche Souveräne der Aufnahme als Fürsten des Rheinischen Bundes gewürdigt — den Grafen von der Leyen, der nur viertausendfünfhundert Seelen hat — die beiden Salme — den Fürsten Isenburg! . . . So auch meinen Vetter Viktor hier — den Praunheim-Kestricher! Sein Gebiet ist nicht grösser als das unserer Krähensteiner Linie des Hauses Praunheim! Auch wir Krähensteiner, Sire, herrschen über ein Städtchen, sieben Flecken, acht Schlösser, achtundfünfzig Dörfer, Höfe und Mühlen!“

      Der Kaiser der Franzosen, bisheriger König von Italien, Protektor des Rheinbunds, Schutzherr der Schweiz, blinzelte amüsiert aus seinen dunklen Augen den Generalen zu. Die junge Reichsgräfin fuhr atemlos fort:

      „Aber wir von der Krähensteinschen Linie waren zu ungeschickt und langsam, um rechtzeitig, wie mein Herr Vetter Viktor, in Paris in den Vorzimmern zu erscheinen! Meine beiden Brüder, Sire, taugen zu nichts! Der Hyacinth — der regierende Graf — ist ein Libertin — und der andere, der Kasimir, ein Stubenhocker! Meine Eltern sind tot. Meine Grand’maman kann nur beten und Karten legen! Ich bin der letzte Mann in der Familie . . .“

      „Es scheint so . . .“ Der Kaiser nickte belustigt dem Grossmarschall zu.

      „Darum habe ich mich aufgemacht, um unser Recht zu verfechten! Ja — Sire — unser Recht gegen schnöde Gewalt! Mein Vetter Viktor hat den Machthabern in Paris vorgespiegelt, er sei der Souverän aller Praunheimschen Lande — auch der unseren! Man hat ihm geglaubt! Der Kriegsminister Berthier steckt mit ihm unter einer Decke! Und vor allen Lambert, der Generalkommissar des Rheinbunds — dieser allmächtige Lambert ist der grosse Totenvogel unserer Krähensteinschen tausendjährigen Selbstherrlichkeit, zugunsten meines Herrn Vetters Viktor!“

      „Sie ist hübsch!“ sagte Napoleon zu den Generalen.

      „Der Kommissar Lambert, Majestät, hat bereits die Receveurs unserer Hauptkassen abgesetzt, sich von unseren Ämtern Handtreue leisten lassen, uns unsere Salpetergruben weggenommen und den Salpeter an die Würzburgische Armee verschoben . .!“

      „Die ganze Armee des Erzherzog-Grossherzogs von Würzburg zählt zweitausend Mann!“ rief verächtlich der Kaiserliche Brigadier Viktor Praunheim-Kestrich. Seine Base sprudelte weiter:

      „Die Walburgi-Steuer hat man uns für meinen Vetter, den Herrn Rheinbundfürsten, beschlagnahmt — das schöne Judenschutzgeld — das Fleisch-Accis — die Wiesenpacht . . .“

      „Madame . .“

      „Ja — da wundern sich Euer Majestät . . . Unser Ölzins ist weg — die Zehndhämmel — die Mehlwage — alle Gülten und Laudanien . .“

      „Genug, Madame . . .“

      „Der Leibschilling, die Rauchhühner, das Besthaupt, der Novalzehnde . .“

      „Um Gottes willen . . . hören Sie auf . .“

      „Nur zwei Worte, Majestät . . . Man will uns die Wappenknöpfe nehmen! Unsere Diener sollen die Kestrichsche Nationalkokarde an den Hüten tragen! Meine Brüder dürfen die Krähensteinsche Familien-Uniform nur noch im Innern des Schlosses anlegen! Unsern Hausorden von der Fidelité sollen wir nicht mehr an Darmstädter und andere Ausländer verleihen . . .“

      „Madame, eine Kanonade ist mir lieber . .“ Der Kaiser der Franzosen hielt die edelgeformten, kleinen Hände vor die Ohren. Aber dann hörte er doch wieder der hübschen, erhitzten Reichsgräfin zu, die sich flehend über den Kutschenschlag beugte.

      „Sire . . . was soll denn aus uns werden? Um mich ist mir nicht bange! Ich knie in Andacht vor Ihrem Genius! Ich folge ihm durch Europa! Ich werde einfach Marketenderin in Ihrer Grossen Armee! Aber Grand’maman! Aber meine Brüder — diese unfähigen — ein Tänzer und ein Bücherwurm . . . Und das alles wegen meines Vetters Viktor! . . . Nein, Sire, wenn die Krähensteinsche Semperfreiheit erlöschen soll, dann lieber Französisch als Praunheim-Kestrich’sch!“

      „Was sagen Sie dazu, General Praunheim?“

      „Sire: auch der jetzige Rheinbundfürst Isenburg-Birstein hat, im Grundvertrag von St. Cloud, genau vor einem Jahr, mit Genehmigung Eurer Majestät seinem Reich die Isenburgschen Besitzungen der Linien Büdingen, Wächtersbach und Meerholz einverleibt!“

      „Davon wird der Fall nicht besser!“ rief die Reichsgräfin Eliza und warf sich leidenschaftlich in den Staub der Strasse nieder. „Sire . . . Sie sind gerecht — Sie sind grossmütig — Sie sind der Richter der Welt — im Grossen wie im Kleinen — ich liege vor Ihnen auf den Knien . . .“

      Mit dem wohlgelaunten, fetten, kleinen General in grünem Jägerfrack und schwarzem Dreispitz drinnen im Wagen ging eine Wandlung vor. Er hörte nicht mehr recht hin. Der gelbe Marmor seiner Züge beschattete sich grüblerisch. Plötzlich fiel ihm etwas ein — irgendwo in Europa — der Brückenkopf über die Elbe bei Wittenberg — Getreide für Junots Territorialtruppen in Estremadura — der verschwenderische Kaffeeverbrauch in den Tuilerien — die Absetzung der Könige von Portugal und Etrurien . . neue Brotbeutel für die Garde-Pontonniers . .

      „Stehen Sie auf, Madame!“ sagte er trocken. „So wichtige Dinge bricht man nicht übers Knie! Reichen Sie ein Memorial ein — hier — an den Grossmarschall Duroc! Zu Ende der Campagnezeit — gegen Weihnachten dieses Jahres — bringen Sie sich persönlich bei mir in Paris in Erinnerung! Ich werde dann entscheiden . . .!“

      Die Gräfin Praunheim stand mitten auf der Landstrasse, klopfte sich die weissen Knieflecke aus dem blauen Tuchrock und schaute, tief aufatmend, dem rasch kleiner werdenden Staubgewimmel von Mamelucken, Gendarmen und Wagenrädern in der Ferne nach. Dann blinzelte sie zu ihrem Vetter empor. Der mannesschöne, schwarzschnurrbärtige Brigadier sass schon, in Regenbogenpracht strahlend, auf seinem hochbeinigen Hengst.

      „Monseigneur . . .“ Ein tiefer Knicks. Ein Neigen des Schutenhuts unten. „Es war mir eine Ehre . .“

      „Sie spotten zu früh, Kusine! Noch haben Sie beim Kaiser nicht gewonnenes Spiel!“

      „Aber einen Stein im Brett! . . . Meine Sache marschiert! Auf Wiedersehen in einem halben Jahr in Paris, Herr Vetter!“

      Der Husarengeneral oben hob förmlich die weissbehandschuhte Rechte zur Pelzmütze.

      „Darf ich Sie bitten, hier die Sauvegarde zu erwarten, die ich Ihnen ohne Verzug aus Tilsit senden werde!“ sagte er kalt. „Wie auch unsere persönlichen Beziehungen sein mögen . . . Sie sind eine Praunheim . . .“

      „Euer Durchlaucht geruhen zu irren! . .“, sprach das Fräulein, unten ehrerbietig. „Dero gehorsame Dienerin schreibt sich Demoiselle Dullenkopf . .“

      „Sie können nicht als eine Aventurière . .“

      „Ich bin ehrbare Modeschneiderin, mein Prinz . . .“

      „.


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