Eliza. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Eliza - Rudolf Stratz


Скачать книгу
sagt das?“

      „Jeder draussen, Exzellenz . . . Adel und Unadel, Negocianten und Bauern — das vornehme Frauenzinimer und das niedrige . . . Alle . . .“

      „Wo alles aus ist, fängt auch alles wieder an!“ sprach der Graf Möllenbeck ruhig.

      „Ich bin von Wien geritten — Tag und Nacht . .“

      „Und dieser Ritt war nicht in den Wind getan! Wenn jetzt auch der Stutterheim nach Torschluss einkutschiert — der Erzherzog Karl bleibt. Die Wiener Kriegspartei bleibt. England bleibt in Verbindung mit Wien! Haben Sie den Namen des Lord March in Wien gehört?“

      „Ja, Exzellenz! Ich vernahm, dass Lord March im Begriff steht, wieder eine seiner gefahrvollen Reisen durch Deutschland nach Wien anzutreten . . .“

      „Er schifft sich dieser Tage in London ein. Er wird heimlich an der Ostseeküste landen. Er wird sich von uns, durch Napoleons Spione hindurch, zu Mayer Amschel Rothschild nach Frankfurt geleiten lassen. Er wird von dort Wechsel über unerhörte Subsidiengelder nach Wien bringen. Habsburg wird, wieder vom Bankrott genesen, mit allen Kräften weiter rüsten! Im nächsten, spätestens im übernächsten Jahr, steht es wieder gegen Bonaparte im Feld!“

      „Aber wir, Exzellenz . . . wir . . .“ Der Kandidat Wisselinck sprang verzweifelt auf. „Uns hat inzwischen die Weltgeschichte begraben! . . .“

      „Strecken Sie sich irgendwo hier im Hause dieses Mehlhändlers zur Ruhe, Wisselinck! Sie sind von den Fatiguen der Reise erschöpft!“

      „Diese Reise war mehr noch voll Gefahren als voll Mühe. . . . Ich setzte freudig mein Leben auf die Pharo-Bank! Ich war stolz, Preussen retten zu dürfen, durch die Sendung, deren Sie mich würdigten . . . in meinem Alter . . . in meinem geringen Stand! Ich wollte Ihnen alle die Wohltaten vergelten, die ich von Ihnen und Ihres Herrn Vaters Exzellenz empfangen! Ich wollte Ihrem hohen Hause dienen und damit Preussen dienen — denn ich weiss ja: Sie und die Ihren — das ist Preussen!“

      „Glauben Sie, dass in Preussen sonst nichts da ist — ausser dem Adel und des Königs Majestät?“ sagte der ehemalige Generaldirektoriums-Minister langsam. Der Kandidat blickte ihm überrascht und erhitzt in das unbewegte Gesicht.

      „Sie sind doch Preussen, Exzellenz! Sie sind der Staat! Sie sind die Armee! Der gemeine Kerl bei der Truppe ist doch bezahlt. Der Bauer ist doch hörig. Was sind wir — das Volk — ohne Ihre Führung? Wir Untertanen sind auf Sie angewiesen wie die Herde auf den Hirt!“

      Der Graf legte die Hände über den flaschengrünen, goldknöpfigen Frackschössen auf dem Rücken zusammen und trat zum Fenster. Er wandte dem jungen Mann den schwarzgeflochtenen Zopf im weissgepuderten Haarbeutel zu. Er schaute auf die Gasse hinaus. Er schwieg.

      „Portez les armes!“ hallte draussen ein scharfes, französisches Kommando. Die Tritte des Wachttrupps schütterten gleichmässig auf dem Pflaster. Der Graf von Möllenbeck betrachtete stumm diese Franzosen vom 27. leichten Infanterieregiment in ihren kreuzweis von den weissen Tornisterriemen gegürteten blauen Tuniken und langen hellgrauen Hosen — diese noch halb knabenhaften Köpfe unter dem gewitterigen schwarzen Napoleon-Zweispitz — diese dürftigen, kleinen, welterobernden jungen Kerle. Diese Söhne des Volks . . .

      „Das zieht nun gestern in Wien ein und heute in Berlin — jetzt in Rom und jetzt in Warschau . .“, sagte er, mehr zu sich, als zu dem jungen Mann im Zimmer. Und dann lauter, in einem seltsamen Ton: „So weit haben wir euch gebracht . . .!“

      „Das ist es ja eben, Exzellenz — warum jeder treue Preusse verzweifelt!“ Der Sohn des Hufschmieds Wisselinck trat mit ratlos gerungenen Händen näher. „Der König verliert heute sein halbes Volk und Land. Die Armee ist nicht mehr. Der Adel ist verarmt und vertrieben, seine Güter sind von den Franzosen besetzt und verheert, die Beamten abgesetzt und zersprengt! Es ist nichts mehr da in Preussen. Nichts . . . Nichts . . . Was können wir noch tun?“

      „Stark bleiben, damit wir stark werden!“ Der Graf von Möllenbeck wandte sich um. „Hoffen. Hassen. Wachen. Warten. Warten, Wisselinck! . . . Es gibt zu viele Leute bei uns, die stets bereit sind, ihren Kopf für die gute Sache zu verlieren, und nie bereit, ihn vernünftig für die gute Sache zu gebrauchen . . . Wisselinck . . .“ Er trat rasch auf den Kandidaten zu. „Ich kann mich auf Sie verlassen . . .“

      „Mit Blut und Leben, Exzellenz . .“

      „Wisselinck: Es wird jetzt viele geben, die glauben, sie ertragen den heutigen Tag nicht, wenn sie sich nicht gegen ihn wehren! Ich weiss: Es ist vielfach eine gefährliche Stimmung — da oben zwischen Tilsit und Nimmersatt. Haben Sie auf Ihrem Ritt hierher etwas davon verspürt?“

      „Ja, Exzellenz! . . . Ich traf hier unten einen Pächterssohn . . . und unterwegs einen jungen Offizier . . .“

      „Von der Artillerie? . . . Von der geht die Bewegung aus . .! Haben Ihnen diese Schwarmköpfe gestanden, was sie planen? Nur Andeutungen? Nun — so will ich es Ihnen verraten!“ Der Minister von Möllenbeck stand Aug’ in Auge mit dem jungen Mann und dämpfte seine tiefe, feste Stimme. „Der König soll dazu gebracht werden, zugunsten seines Bruders, des Prinzen Wilhelm, abzudanken! Das ist das Ende Preussens, Wisselinck! Der dämonische Mensch, gegen den wir kämpfen, sitzt auf dem Thron eines enthaupteten Königs. Er mag Könige verjagen — neue Könige an Tiber und Elbe und Neckar und Isar schaffen — nie werden wir ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen, sondern nur mit einer Art des Umsturzes, die uns nicht um das Alte ärmer macht, sondern um das Neue reicher!“

      „Hier in Ostpreussen hege ich keine Sorge!“ fuhr der Graf Möllenbeck ruhiger fort. „Hier sind wir im Lande und halten die Schwarmgeister im Fass, bis es Zeit ist, den Most auf Flaschen zu füllen. Aber die Fäden dieses Spinnennetzes laufen nach Pommern hinüber! Dort sind wir, von hier aus, ohne Einfluss. Wir, in Amt und Würden, dürfen uns nicht in das von den Franzosen besetzte Gebiet wagen. Wir können nur jetzt eilends, mit dem vollen Schwerklang unserer Namen, eine Warnung an die dortige gräfliche Kreuzspinne mitten im Netz der Missvergnügten schicken! Diese Warnung lässt sich, wo es sich um die Krone handelt, nicht dem Papier anvertrauen. Sie kann nur mündlich durch einen unbedingt zuverlässigen Beauftragten erfolgen!“

      „Wann soll ich reisen, Exzellenz? Wann ich wieder bei Kräften bin? Pah! . . heute noch wenn’s not tut!“

      „Sagen wir: morgen! Sie können jetzt, nach Friedensschluss, ungefährdet auf dem geraden Weg nach Königsberg und von da zur See!

      Und verzagen Sie nicht an Preussen und seinem Volk!“ Der Graf Möllenbeck drückte dem Königsberger Kandidaten die Hand. „Denken Sie an das Wort der Schrift: ,So du frei sein kannst, so gebrauche das doch viel lieber!’ Das ist ein Wort von morgen! Das Wort verstehen Sie heute noch nicht! . . . Herr Sekretarius!“ Er stülpte sich, während der Geheimschreiber aus dem Nebenzimmer eintrat, die gekrämpte Hutröhre über den Haarbeutel und griff nach dem dünnen Bambusstock. „Lasse Er den Herrn Generalmajor Scharnhorst und den Herrn Oberstleutnant Gneisenau durch Boten wissen, dass ich morgen in Memel zu Diensten stehe, und expediere Er diesen Brief an den Herrn Reichsfreiherrn vom Stein in Nassau!“

      3

      Also ich täť mich an Eurer Stell’ schäme!“ So rief das eine der beiden jungen Frauenzimmer, das grössere, braune, mit dem feinen, schmalen, vom Schutenhut beschatteten Gesicht. Sie stand zornmütig aufrecht in dem haltenden offenen Reisewägelchen, die Pelz-Wiltschura um die Schultern des ausgeschnittenen, hochgegürteten, weissen Empirefähnchens, im langen blauen Tuchrock. „An uns ist nix zu gaffe — ihr Schote! Hier ist kein Affekaste!“

      Um das Fuhrwerk wogten wie Schneegestöber die weissen Waffenröcke der sächsischen Musketiere vom Infanterieregiment Loë. Hundert braungebrannte Gesichter grinsten unter den hohen, blauen Tschakos. Die Sonne brannte heiss auf die grünen Reiser und bläulichen Kochfeuer und gelben Kornschütten der stundenlangen Biwaks der Grossen Armee. Fern flimmerten in der zitternden Luft die Türme von Tilsit.

      „Das sind jetzt deutsche Landsleuť, Märtche!“ rief wieder empört die Braune.

      „Bettinche


Скачать книгу