Eliza. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.schwarzen Halbschuhe schon auf zehn Schritte. Er wandte jäh den bartlosen, scharfkantigen Kopf. Sein Blick leuchtete eine Sekunde unheimlich blaustählern. Dann schloss er gleichgültig wieder halb die Lider und sah das junge Frauenzimmer seelenruhig im Sitzen von unten her an. Sie stand vor ihm. Sie fühlte ihr Herz hämmern. Sie versetzte, so unbefangen sie konnte, auf deutsch:
„Wollen Sie wirklich über die Weichsel?“
„Endlich mal wieder ein deutsches Wort hier unter den Polacken!“ sagte der Fremde erfreut und nahm seinen Zylinderhut von der Bank, um ihr Platz zu machen. Aber sie blieb neben dem Boot stehen.
„Ich bin keine Deutsche, Monsieur! Ich bin Citoyenne des Départements Mainz des französischen Kaiserreichs.“
Der junge Mann erwiderte nichts. Die Mainzer Mamsell hub wieder an:
„Alle Leute im Fährhaus sagen: Man kann jetzt nicht über den Strom!“
„Aber man will, Demoiselle!“
„Haben Sie so wichtige Affären, dass Sie Ihr Leben daran hängen?“
„Ich?“ Der blonde, noch nicht dreissigjährige Mann im Boot lächelte treuherzig. „Ich bin ein einfacher Negociant aus Königsberg, oder, ehrlich gesagt, sogar nur ein schlichter Musterreiter. Mein Schinder bekam im Wald den Sonnenstich. Dort liegt er jetzt noch.“
„Ich hab’ ihn gesehen!“
„Während ich um Hilfe ausging, stahlen mir die verfluchten Bauern Sattel, Musterpacken — alles! Was tu’ ich noch hier? Ich will heim! Und wo ist die Mamsell zu Haus?“
„In Mainz, Herr Musterreiter!“
„Und wes Standes, Sie artiges Kind?“
„Ich bin auch nur ein einfach Mädche . . . eine Putzmacherin . . . Enfin . . ich blieb’ an Ihrer Stelle hier am Ufer, statt Gott zu versuchen!“
„Ich muss aber hinüber!“ sprach der Fremde zerstreut und nachdenklich. Er holte ein langes Taschenmesser mit Hirschhorngriff aus seiner gelbledernen Reithose und klappte es vorsichtig auf. „Wenn die Demoiselle mich obligieren will, dann bleibe sie gerade so stehen wie jetzt . . . So spendet Ihr Schirm mir auch etwas Schatten in der heissen Sonne . . . ah . . . das erquickt . . .“
Er beugte im Sitzen den zopflosen, nach neuester Sitte kurzgeschorenen Blondkopf nach vorn und schnitzelte spielerisch mit seinem Messer an der Spitze des Kahns herum. Sein Profil, das er der Demoiselle Dullenkopf zuwandte, zeigte eine zähe, harte, in festen Linien geschlossene Kühnheit. Die Mainzer Untertanin oben begriff nicht, dass diesen verwegenen Napoleonsfeind die Sonne belästigen könne. Aber sie stand still, um den Bösewicht nicht aus seiner beschaulichen Ruhe zu bringen. Sie glaubte, wenn sich die drei roten Schulterkragen seines Spenzers beim Hantieren mit dem Messer am Schiffsschnabel verschoben, in der Ausbuchtung der Brusttasche das siebenfach versiegelte Dokument zu erkennen, an dem das Schicksal Europas hing. Diesen Brief musste man ihm abnehmen. Dann konnte man ihn ja laufen lassen. Sie neigte sich über den Bootsrand. Sie öffnete den Mund.
„So verharre doch die Demoiselle auf ihrem Platz, wie ich sie gebeten habe!“ rief der Fremde unwirsch. Er arbeitete da unten, dass die Späne flogen. Die Modistin fügte sich, um ihn nicht zu reizen. Sie beschattete ihn wieder mit ihrem Schirm und mit ihrer zierlichen Gestalt. Sie sagte drängend:
„Ich, an des Monsieurs Stelle, würde, wie wir anderen Reisenden auch, tant bien que mal Quartier im Fährhaus nehmen!“
„Im Fährhaus werde ich umgebracht und in die Weichsel geworfen!“ Der junge Mann schnitzte emsig. „Das, einäugige Vieh denkt doch nicht daran, mich über die Weichsel zu setzen. Er wird jetzt gleich fahrtfertig kommen und verlangen, dass ich die Hälfte des Fahrgelds, für den Fall, dass er unterwegs ertrinkt, ihm drinnen im Haus für sein Weib und Kind auf den Tisch zähle! Im Haus sind, nach meiner Zählung, bis jetzt zehn edle Polen verborgen! Das ist zu viel für einen friedlichen Musterreisenden in Kattun und Zephir . . . Wackele die Demoiselle doch nicht mit ihrem Sonnendach, wenn ich submissest bitten darf, sondern rühre kein Glied, wie auf der Wachparade in Potsdam . .!“
Die Demoiselle Dullenkopf stand still. Auch ihr Herzschlag stand still. Sie bekam kaum mehr Atem. Ein bleiernes Entsetzen legte sich ihr auf die Brust: Sie wollen aus mir eine Mörderin machen . . . eine Mörderin . . . . .
„Sie erwägen jetzt, Demoiselle, ich könnte mich in den Wald retirieren!“ sprach, mit seiner Arbeit im Boot beschäftigt, der Fremde, als ob er ihre Gedanken erriete. „Dort liegt schon, seit Sie hierher kamen, ein alter, roter, dem Preussenkönig desertierten Towarczysz und noch ein paar Schlachzizen mit ihren Donnerbüchsen auf der Lauer. Man versenkt mich dort in den Sumpf. Das ist der ganze Unterschied! Die Demoiselle sieht: Es gibt nur einen Ausweg: hinaus auf die Weichsel!“ Er klappte sein Messer zu und schob es befriedigt in den Hosensack. „Und das bald! In fünf Minuten bin ich tot.“
. . Durch mich . . . Auch über mich sein Blut . . . Die Mainzer Modistin stand mit starren Augen . . . am ganzen Leib zitternd . . . Der Preusse nestelte gebückt und hastig vorn am Schiffsbord. Er murmelte dabei, etwas unruhiger als bisher.
„Habe die Demoiselle die Gewogenheit und melde mir, wenn der Fährmann kommt . .“
„Eben tritt er aus dem Haus!“ Die Mamsell Dullenkopf rief es fast unwillkürlich. Ein Schauer von Spritztropfen übersprühte sie vom Schutenrand bis zur Schuhschleife. Der Fremde war mit einem Satz in das seichte Uferwasser gesprungen. Er warf die Eisenkette beiseite, die den Kahn am Landpflock festhielt, und jetzt begriff die Demoiselle, dass er mit seinem Messer den Haltering der Kette aus dem Holz der Bootspitze herausgeschnitten hatte. Er schob, bis zu den Knien watend, das Fahrzeug in tieferes Wasser und schwang sich im letzten Augenblick wieder hinein. Der Nachen schoss in das Gegurgel und Geschäume des freien Stroms und pfeilschnell flussabwärts. Der Preusse drinnen schaufelte sitzend aus Leibeskräften mit einer Bohle des Bodenbelags, und nun verstand die Demoiselle Dullenkopf, warum er diese faulig-feuchten Bretter vorhin zum Zeitvertreib aufgehoben und wieder hingelegt hatte. Mit dem Stück Holz als Handruder zwängte er sein dahingerissenes Schifflein in die Weichselmitte hinaus. Es wurde schon winzig wie eine Nussschale. Er selbst schrumpfte zu einem fernen, dunklen Punkt zusammen. Der einäugige Ferge stand mit geballten Fäusten. Die aus dem Fährhaus und Föhrendickicht gestürmten barfüssigen Edelleute hielten ratlos die Pistolen in der Faust. Es war gar keine Zeit gewesen, zu feuern.
„Eine Fahrt auf Leben und Tod!“ sprach der Wiesenvogt. Der Oratorienheizer blinzelte unter der vorgehaltenen Hand. „Er treibt im Sturm zwischen den überschwemmten Erleninseln hin . .“
„Jach seh nix mehr von dem Preussenleben!“ Mendel Zeisig zog die Kaftanschultern hoch. Neben ihm bestätigte der düstere Bass des hochwürdigen polnischen Kaplans Batycki: „Effugit — evasit — erupit!“
„Seine Mitverschworene wenigstens haben wir hier!“
Die Demoiselle Dullenkopf fühlte sich unsanft am Arm gepackt. Der schnurrbärtige Graf Grodcicki stand finster in seiner grünen Warschauer Lancier-Litewka vor ihr.
„Wir hatten den Hochverräter durch die Fenster des Fährhauses im Auge. Sie stellten sich mit Ihrem Parasol vor ihn wie eine Schildwache und hinderten uns, zu bemerken, dass er in anscheinend harmlosem Gespräch mit Ihnen den Kahn von der Kette löste! Oh — Mamsell — Ihre Praktiken sind durchschaut . . . Sie waren mir schon gleich zu Anfang im Wald verdächtig! . . . Gut, dass Sie endlich angefahren kommen, Monsieur Bienassis! Der Fall mit diesen beiden Mainzer Mamsellen fällt in Ihr Fach. Ich übergebe diese Demoiselle hiermit der Geheimen Kaiserlichen Polizei!“
„Und wir werden unsere Schuldigkeit tun!“ sprach der schattenäugige, bleiche ehemalige Abbé und Jakobiner. „Ihre Affaire, meine schöne Dame, schmeckt nach Hochverrat! Man wird Sie im Grossen Hauptquartier verhören! Ich werde persönlich Seiner Majestät Rapport erstatten!“
„Das werd’ ich selber alles dem Kaiser erzählen!“
Die Polacken ringsum wieherten auf. Der schwammige, bartlose Vertraute des Polizeiministers Fouché lächelte ein böses Lächeln.
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