Eliza. Rudolf Stratz

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Eliza - Rudolf Stratz


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Aufgeblähte, tote Ochsen, Binsendächer, Heuschober trieben auf der Flut. Ein aufrechtstehender Eichbaum schaukelte auf der losgerissenen Insel seines Wurzelgeästs der Ostsee zu. Das rastlose Wandern der Wassermassen erfüllte den weiten Raum zwischen Himmel und Erde mit einem eintönigen dumpfen Donner.

      Vor dem Fährhaus stauten sich ausgespannte Kutschen und Panjewägelchen, grasten abgeschirrte Pferde, standen in Haufen die festgehaltenen Reisenden um den Fergen. Der Riesenkerl trug, in seltsamem Gegensatz, einen ganz kleinen, verschmitzt-schnurrbärtigen, einäugigen Kopf auf seinen Cyklopenschultern. Er verbeugte sich geschmeidig und untertänig vor den beiden Demoisellen. Er konnte nur polnisch.

      „Er sagt: jetzt Weichsel — nix wie tot!“ dolmetschte mühsam Mendel Zeisig, der gelöckelte Handelsjude im Kaftan neben ihm. Und der polnische Kaplan, der reverendissimus dominus Joannes Batycki murmelte in lateinischem Bass: „Taceat mulier!“

      „Die Demoisellen sitzen nicht allein hier fest!“ brummte der hochgräfliche Wiesenvogt und Veteran Starzewski im schlechten Französisch der Grossen Armee, und der Warschauer Sakristan und Oratorienheizer Sobotka schüttelte gegen die Damen den Graukopf und meinte auf polnisch: „Wir sitzen hier alle in der Arche Noah und warten auf die Taube mit dem Ölzweig.“

      Die Demoiselle Dullenkopf war mit ihrer Freundin beiseite getreten. Ihr schmales, hübsches Gesicht war verstört und bleich. Sie ballte die kleinen Fäuste. Sie biss die Lippen zusammen und starrte feindselig auf die gelb gurgelnde Sintflut.

      „Gott im Himmel . . ich darf doch keine Zeit verlieren . . Für mich hängt doch alles davon ab, Märtche!“ sagte sie leise und hochdeutsch. „Sobald in Tilsit der Friede unterzeichnet ist, reist er doch in einem Ruck nach Paris. Er gründet unterwegs noch das neue grosse Königreich in Kassel. Die Könige von Portugal und Toscana muss er auch noch absetzen. Vor Ende des Jahres will er noch die Türkei teilen. Vielleicht landet er vorher noch in England! Ich krieg’ ihn in Europa nicht mehr zu fassen. Und ich muss doch Napoleon sprechen . .“

      „. . freilich . .“

      „. . ich muss . . und ihm sagen . . . Was hast du, Märtchen?“

      „Da . . das ist der Mann im blauen Redingote, der vorhin an uns vorbeigeritte ist . . ., dem sein Pferd dort hinte tot im Grabe liegt . .“

      „. . von dem der Ulan uns zugeschrien hat, er sei ein Hochverräter und ein Feind Napoleons . .?“

      „Der ist zu Fuss durch den Wald hierher . . da kommt er heran . . . Er geht auf den Fährmann zu . .“

      „Er kann polnisch . . Sie reden miteinander . .“

      „Er zeigt auf den Fluss! . . Aber der Polack will nit! Partout nit!“

      „Er drängt ihn . . der verbrecherische Mensch . . . Er kriegt ihn an der Brust zu fassen . . . Er spricht wild auf ihn ein! Schau nur sein leidenschaftliches Gesicht — das ist so recht einer von diesen Feinden der Welt, die es wagen, sich Napoleon zu widersetzen!“

      „Dem Patron müsst’ man das Handwerk lege!“

      „Jetzt holt er seinen Lederbeutel heraus . . . Er hat lauter Goldstücke darin . . . Er bietet dem Fährmann den ganzen Beutel, wenn er es wagt und ihn übersetzt . .“

      „Und auf’s Geld fliegen die Polacke wie die Raben!“

      „Weiss Gott, Märtchen . . . der habgierige Fährmann tüts . . Er nickt . . Er will mit Lebensgefahr den Menschen aufs andere Ufer bringen . . der Gott weiss was gegen Napoleon im Schild führt . . Märtchen, wer Napoleon liebt, muss das verhindern . . .“

      „Ja — wo steckt denn nur der Ulan von vorhin und sein Bauernvolk zu Pferd? Die könnte sich doch denke, wo der Spitzbub hingelaufe ist — als der Nas’ nach . . . bis an die Weichsel . .“

      „Wir müssen sehen, ob wir nicht ein paar herzhafte Männer finden . .“

      „. . komm mit zum Fährhaus, Märtche . . . Geh langsam . . schwatz’ was . . lach’ doch, damit er keinen Verdacht schöpft!“

      Auf einem leeren Futtertrog sass, rittlings wie auf einem Ross, vor dem Fährhaus der alte Pan Tyszka, der ehemalige Warschauer Towarczysz, in seiner feuerroten Attila und seinen blutroten langen Hosen, biss aus freier Hand abwechselnd in eine Gurke und ein Stück Roggenbrot und wischte sich die Finger an der weissen Ärmelverschnürung seines umgehängten scharlachen Dolmans ab. Er schmunzelte aus seinen wässerigen Äuglein die beiden Putzfräulein verständnisvoll an.

      „Kann sich nur Vogel über Weichsel!“ sprach er kauend. „Müssen schöne Offiziere von General Rapp in Danzig noch auf die Demoiselles warten! Armes Rapp! Armes Danzig!“

      „Ich begreife den Herrn nicht!“ Die braune Mainzerin rückte mit zwei Schritten dem schmierigen Greis dicht auf den Leib. „Uns harmlosen Frauenzimmern hat Er im Wald die Pässe visitiert! Dort drüben am Ufer aber steht der Hochverräter, den Er sucht, und dem Herrn ist seine Salzgurke importanter als der Feind des Kaisers der Franzosen!“

      Der alte Schlachzize schob den letzten grünen Zipfel in den strubbeligen Graubart und blinzelte pfiffig — nicht in der Richtung nach dem blauen Reitfrack bei den Kähnen drüben, sondern in das Dunkel des verräucherten Fährhauses hinter ihnen hinein. Und in dessen Zwielicht sah die Demoiselle Bettinche jetzt da drinnen die undeutlichen Umrisse des langen, hageren polnischen Ulanen und um ihn her; im Geflacker des Herdfeuers, ein paar andere Gestalten im Schafpelz, Sensen im Gürtel.

      Und jetzt erkannte sie: der adelige Bauer, der dort nicht weit von ihr, barfüssig, aber den Krummsäbel an der Seite, in der Sonne hockte, und die beiden zerlumpten Edelleute, die in einem Eimer Weichselwasser für ihre Pferde herbeitrugen, das waren alles Gesichter aus der Schlachta, die vorhin den Reisekarren umringt hatte! Der alte Pan schaute gespannt der Mamsell Dullenkopf in das hübsche, junge, erhitzte Antlitz.

      „Freundin Napoleons?“ frug er ernst und vertraulich.

      „Mit Leib und Seele!“

      „Ist sich gut! Wird sich alles gut! Braucht sich Geduld!“

      Der greise, nach Knoblauch und Stiefelschmiere dünstende Towarczysz drehte den Graukopf nach einem Schatten, der von rückwärts über ihn fiel. Der riesige Fährmann stapfte, vom Ufer kommend, schwerfällig in seinen hohen Wasserstiefeln an ihm vorbei. Er zwinkerte dabei verstohlen mit seinem einzigen, stechend schwarzen Auge und murmelte auf polnisch ein paar Worte, die die Demoiselle Dullenkopf nicht verstand. Während er in die Fährhütte trat, gähnte ihr der alte Bosniake ins Gesicht und zischte hinter der hohlen, vorgehaltenen Runzelhand:

      „Grosses Unheil . . . Grosse Gefahr für Kaiser französisches . . grosse Not für Polen . . Brandfackel für Welt hat Preusse drüben in Redingote stecken! . . . Gleich so weit, dass wir furchtbares Brief bekommen! . . Wenn die Panja ist fromme Magd Napoleons . .“

      „Für Napoleon durchs Feuer!“

      „. . dann gehe schöne Panja zu dem Preussen . . mache süsse Augen . . plaudere mit ihm . . damit er nichts merkt! Nur ein paar Ave Maria lang! Dann Söhne Polens hier bereit!“

      „Komm’, Märtchen!“

      „Ich fürcht’ mich, Bettinche!“

      „Dann geh ich allein!“

      Die Demoiselle Dullenkopf warf der Freundin verächtlich ihre Pelz-Wiltschura zum Aufheben über den Arm und schritt nach dem Ufer. Der blaue Tuchrock schaukelte unruhig um ihre schlanken, weissbestrumpften Knöchel. Das Spitzengekräusel ihres weissen, dicht unter dem Busen hochgegürteten Empireausschnitts wogte heftig auf und nieder. Ihre schmalen Züge waren unter dem Schatten des Schutenhuts blass und starr. Ihre dünnen, feinen Finger zitterten, während sie den kleinen, buntseidenen, gefranzten Pariser Parasol aufspannte und zu den Kähnen trat, die, hundert Schritte vom Fährhaus, in einer geschützten Uferbuchtung an Pflöcken angekettet lagen.

      In einem kleinen Nachen sass, ihr den Rücken drehend, der Preusse. Er hatte seinen Zylinderhut neben sich auf die Ruderbank gestellt, deren Ruder mit allen anderen drüben, in der Hütte des Fergen,


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