Eliza. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Schutenhüte im Innern bewegten sich bejahend. Eine kleine Hand deutete nach vorn. Eine sanfte Stimme erwiderte in tadellosem Französisch:
„Und was für einen Reiter, mein Kapitän! Einen englischen Kunstreiter ohne Sattel und Bügel!“
„Einen Hochverräter, Madame! Einen Verschwörer gegen den Kaiser der Franzosen und dessen hohe Verbündete!“ Der Graf Grodcicki rief es schon im Davonjagen. Er stob den schmalen, geschlängelten Waldweg zwischen undurchdringlichem Erlengestrüpp dahin, glitt plötzlich beinahe über den Hals des Pferdes, so jäh stieg sein scheuender Rappe . . . In einer Blutlache, seitlings im Graben, lag da tot, die Hufe abenteuerlich gen Himmel reckend, der sattellose Gaul. Sein Reiter war verschwunden. Das Erlendickicht stand rechts und links weithin wie eine grüne Mauer. Sumpfspiegel brüteten im Wurzelgewirr unter seinem verfilzten Geäst. Es war unmöglich, hier eine Menschenspur zu verfolgen . . .
Aber ein hinterhältiger Schuss aus diesem Urwald heraus war möglich. Der Pole schaute sich unbehaglich um. Er kaute die Enden seines langen Schnurrbarts und trabte dann den Weg zurück, den auf ihren Ackergäulen hinter ihm gebliebenen Schlachzizen entgegen.
Da, um die Kutsche herum, die er vorhin gesehen, hielt die Schlachta. Der schnauzbärtige Pan Thaddäus Tyszka musterte stirnrunzelnd die Reisepapiere der beiden Demoisellen. Er trug noch aus dem Vorjahre, da Warschau preussisch gewesen, den verschmutzten, weissverschnürten, scharlachroten Dolman und die langen, blutfarbenen Pluderhosen des Regiments Towarczysz, der preussischen Bosniaken, aber auf dem Kopf statt der Bärenmütze die nagelneue, polnische Czapka mit der rotweissen Nationalkokarde. Er riss erschrocken die wässerigen Augen auf.
„Graf, wo ist der Preusse?“
„Zu Fuss in den Wald entwischt! Aber er entgeht uns nicht. Wir reiten ihm nach dem Weichselufer voraus. Wir besetzen die Fährstellen! Er muss uns in den Rachen laufen! Vorwärts! Was vertrödelt ihr hier mit den Weibern die Zeit! Spioninnen — was?“
„Nichts Gefährliches, Graf! Zwei kleine Putzmamsells mit ordnungsgemässen französischen Pässen des Präfekten des Departements Mainz nach Danzig unterwegs! Die Zierliche, Mittelgrosse rechts die Demoiselle Bettina Dullenkopf, dreiundzwanzig Jahre alt — die Dralle, Grössere links die Demoiselle Märtchen Zipfler — zwanzigjährig. Beide protestantisch und ledig!“
Der Graf Grodcicki blickte in das Innere des wackeligen Hauderer-Fuhrwerks. Die beiden Putzmacherinnen waren hübsch und jung — die Demoiselle Dullenkopf dunkelbraun, mit einem zarten, schmalen, lebhaften Gesicht, die Demoiselle Zipfler flachsblond, pausbäckig, mit vergnügten wasserblauen Äuglein. Die Braune, Lebendige, hatte sich über ihrem breitkragigen, hochgeschlossenen weissen Empirefähnchen und dem fussfreien, blauen Tuchrock zum Schutz gegen die Stechmücken in eine Wiltschura, einen polnischen Pelzmantel, gewickelt. Sie hob das dunkeläugige Köpfchen unter dem weissen Schutenhut mit schwarzer Schleife seelenvoll zu dem Polen empor.
„Spioninnen, mein Kapitän? Nein! Meine Freundin und ich sind als geborene Mainzerinnen von Herkunft Deutsche. Aber seitdem es kein deutsches Kaiserreich mehr gibt und die Franzosen die Rheinlande besetzt halten, sind wir Bürgerinnen Frankreichs und gehorsame Subjekte und Verehrerinnen Napoleons des Grossen!“
„Warum verehren die Demoisellen den Kaiser nicht am Rhein, statt sich hier . . .?“
„Wir ernährten uns in Mainz von unserer Handfertigkeit im Damenputz. Nachdem aber nunmehr das polnische Reich wieder errichtet und Danzig durch Napoleon den Grossen zu dessen Freistaat erklärt wird, trieb uns die Hoffnung auf günstigeren Erwerb dorthin auf Reisen, wo französische Sprachkenntnisse seltener sind als in Mainz!“
„Was Sie sagen, ist richtig, Demoiselle. Es gibt kein deutsches Kaiserreich mehr. Die Franzosen stehen am Rhein. Polen ist auferstanden. Danzig Freistaat. Dies alles wissen wir in diesem glorreichen Jahr 1807. Aber es erklärt mir nicht, warum Ihre Reise nach Danzig Sie so weit nach Osten, bis hinter Thorn, verschlägt!“
„Mein Gott — von Posen ab nordwärts sind alle Wege durch die Kanonen zu Brei zerfahren, aller Hafer von den Heeresintendanten requiriert, mein Kapitän!“ sagte die kleine Putzmamsell sanft. „Es gibt dort kein Stück Brot mehr im Lande. Die Truppen haben alles verzehrt. Wir mussten also ausbiegen, wenn wir überhaupt weiterkommen wollten! . . Dürfen wir unsere Reise fortsetzen?“
„Meinetwegen bis zum Grosstürken, Demoiselle! Vorwärts! Zur Weichselfähre!“
Das Trappeln der Hufe verhalte fern, dumpf, im Schweigen des Waldes. Einsam hauderte die Halbkutsche dahin, im Schritt, schwankend und knarrend, über die mit Feldsteinen ausgefüllten Löcher, die mit Fichtenknüppeln überbrückten Moraste der polnischen Landstrasse. Aus dem Graben daneben spreizten sich vier starre Pferdebeine windschief zum heissen Hundstagshimmel. Schwärme von Fliegen umsummten den halb in gelben Dotterdolden und blauem Vergissmeinnicht des Moorgrunds versunkenen Kadaver.
„Da liegt das Pferd von dem Kujon! Schad’, dass er’s nit selber ist, Märtche!“ sagte die Braune, Zarte — die Demoiselle Bettinche — hitzig in Mainzer Mundart.
„Verdient hätt’ er’s!“ nickte heftig die semmelblonde Putzmamsell neben ihr. „Sich gegen den Napoleon mausig mache! . . Ja — du liebe Zeit! Der Napoleon ist doch nit e Mensch — der ist doch das Schicksal selber! Unser Herrgott wird schon wisse, was er mit dem grossen Mann als noch vorhat! Wenn wir nur weiter käme! . . Das ist e Gezoddel und Gezoddel . .“
Immer langsam voran — in Gerumpel und Gehumpel — Schritt für Schritt . . Die Demoiselle Dullenkopf sass ungeduldig aufrecht. Ihre Kleinen, weissen, zartgepflegten Hände spielten nervös mit dem als antike Blechurne geformten, lackierten Ridicüle auf ihrem Schoss. Sie fächelte sich mit ihrem batistdünnen Fazzettel Kühlung. Sie schüttelte die kleinen Ohren wider die Stechmücken. Sie wippte mit den breiten Bandschleifen auf den schmalen Halbschuhchen. Sie tat einen tiefen Stossseufzer.
„Wir sind recht einfältige Gäns’, dass wir unsere lange Röck nit daheim gelasse habe, Märtche!“ sagte sie. „Wenn ich wieder ’mal in die Welt hinaus muss, dann mach’ ich’s wie viele Dame auf Reisen und lauf’ in Männerkleidern! Dann wär’ ich jetzt schon an der Weichsel! . . Jetzt guck’ nur das wasserpolackische Kroppzeug an, das uns da entgegekarriolt! Was die Schote auf ihre Wägelche mit den Händ’ fuchtele und kreische!“
Die dralle Blonde klopfte ein wenig ängstlich dem alten Kutscher auf die Schulter und führte fragend mit der Hand eine unsichtbare Schnapsflasche zum Mund. Der Greis grinste nach den vorbeirasselnden Bauern. Betrunken? Nein! Er wies nach vorn. Er muschelte zahnlos irgend etwas Gottergebenes in sich hinein.
„Verstehst du den alten Simpel, Märtche?“ frug das Fräulein Bettinche. „Ich hör’ als nur was von Janowka!“
„Janowka!“ nickte der Alte vielsagend.
„Janowka!“ schrie zornmütig der Letzte der davonfahrenden Bauern zurück.
„Was ist denn das für e schlimm’ Mädche — die Janowka — vor der sich all die Mannsbilder bekreuzige?“ Die feine, kleine Demoiselle Dullenkopf lachte über das ganze, zartgeschnittene, grossäugige Gesicht. Sie klatschte in die Hände. „Allong! Ich bin selber e Frauenzimmer! Ich fürcht’ mich vor eurer Janowka nit!“
„Gott sei Dank! Da hat der Wald e End’!“ schrie die Märtche. „Da sieht man Wasser zwischen den Bäumen . . .“
„Hurra! Die Weichsel!“
„. . und dort noch mehr Wasser . . und da erst . . überall . . ja — du — so viel Wasser gibt’s ja gar nit . .“
„Da ist ja der Rhein ein Rinnstein dagege!“ Das Bettinche Dullenkopf stand langsam, ungläubig auf. Der Wagen hielt auf einer Lichtung vor dem Fährhaus. Der Hauderer drehte sich um und deutete auf die flutende Weite. „Janowka“, wiederholte er fast feierlich. Und jetzt begriffen die beiden Mainzer Modistinnen, dass er damit das alljährliche Johannishochwasser der Weichsel meinte.
Die Weichsel war kein Strom mehr, sondern ein mächtiger, lehmgelber, reissender, schnell dahinschiessender See. Ein Fussgänger hätte eine Viertelstunde gebraucht,