Eliza. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.schutzlose Mainzer Mädche ungeniert passiere lasse . .“
„Ich mein’, die Jungfern haben Schutz genug!“ schrie ein Korporal. Alles grölte. Vor dem Wagen hielt als Wache ein grüner, Grossherzoglich-Warschauscher Ulan zu Pferde, das weiss-rote polnische Fähnchen an der aufrechten Lanze. Eine andere rot und weiss geflammte Riesen-Tschapka und rot eingesetzte Ulanka schimmerte hinter dem Fuhrwerk. In einer zweiten, unmittelbar folgenden Kutsche raunte ein schwammiger, bleicher Franzose mit tiefschattenden Augen aus den fünf Falklappen seines braunen polnischen Wettermantels heraus zu einem an den Wagenschlag getretenen Offizier:
„Sie sehen in mir den Geheimagenten Bienassis des Herrn Polizeiministers Fouché! Ich eskortiere zwei junge Frauenspersonen, die sich des Hochverrats schuldig gemacht haben, in das Hauptquartier. Es wollen die Demoiselles Dullenkopf und Zipfler, Modeschneiderinnen aus Mainz, sein! Nun — man wird sehen!“
„Wartet nur! Ich sag’s dem Kaiser Napoleon, wie ihr euch hier unmanierlich aufführt!“ schrie drüben die Demoiselle Dullenkopf. Ein wieherndes Gelächter als Echo. Immer mehr sächsische Rheinbundkrieger strömten hinzu, Musketiere von den Infanterieregimentern Aus dem Winckel und Nostiz, Gersdorff-Cheveaulegers, weisse Zezschwitz-Kürassiere. Auch der wachhabende Leutnant amüsierte sich. Er liess den ehemaligen Abbé und Jakobiner Bienassis in seinem Wagen sitzen, schlenderte nach vorn zu den beiden Demoisellen und lüftete ironisch den hohen Dreispitz.
„Der Kaiser der Franzosen hat gerade Zeit für Dämchen eures Kalibers!“ sagte er. „Ausserdem steht Seine Majestät im Begriff, nach der gestrigen Unterzeichnung des Friedens, nach Paris, zurückzukehren. Er wird in kurzem hier durchpassieren . . .“
„Er kommt hier vorbei . .? Heilig und gewiss . .? In einer Stund’ schon?. . .“ Die Demoiselle Dullenkopf liess sich, beglückt aufatmend, steil aufrecht auf das Wagenpolster nieder. Sie faltete die Hände und warf aus ihren braunen Augen einen dankbaren Blick zum Herrn im Himmelsblau empor. „Jetzt wird alles gut!“
„Sie werden sich nicht etwa beifallen lassen, den Kaiser zu belästigen, Mamsell! Dafür wird man sorgen!“
„Ei — warum habt ihr mich denn dann per Schub aus Polen hierhergeschafft?“ frug das braune Fräulein aus Mainz spitzbübisch. „Ich bin euch allen dafür zu herzlichstem Dank obligiert, Messieurs!“
„Sie wird schon etwas angestellt haben! Lache Sie nicht, Sie Gans! Ich sehe Sie schon beim Wollespinnen in St. Lazare!“ Der Sachse blinzelte vielsagend zu dem zweiten Wagen zurück. „Mit der Pariser Polizei ist nicht zu spassen!“
Ein Haufe Offiziere stand jetzt dort an dem Kutschenschlag um Monsieur Bienassis. Aus dem himmelblau leuchtenden Biwak der Bayern nebenan war ein Brigadier der Infanterie herübergestiefelt. Blutrot flammte das Band der Ehrenlegion auf seinem blauen Herzen. Sein rundes Gesicht perlte von Schweiss. Er liess sich von dem Geheimagenten auf französisch Bericht erstatten.
„So einem z’wideren Preissen haben’s Vorschub geleistet — die Madel — die verdächtigen!“ dolmetschte er den um ihn gescharten schwarzen Raupenkämmen über hohen Schirmhelmen. „Aber am End’— jetzt ist Frieden!“
„Hären Sie — ich täť die hibschen Tierchen loofen lassen!“ sprach ein Sachse vom Infanterie-Regiment Lindt. Der dicke, kleine, bayerische Kapitän vom dritten leichten Infanteriebataillon neben ihm nickte gutmütig:
„Die Flintscherln sollen schaug’n, dass ’s weiterkommen!“
„Attention!“ Eine gelle Stimme. Die buntscheckigen Rheinbund-Uniformen spritzten salutierend auseinander. „Le maréchal!“
Der französische Korpsgeneral Lacroux trat rasch, sporenklirrend, den Reitstock wagrecht unter der Achsel, in die Mitte seiner deutschen Untergebenen. Er war ein Mann zu Anfang Dreissig, mit einem bartlosen, barschen, jungen Gesicht voll ungebildeter Bravour. Hinter ihm wimmelte sein Stab von grauköpfigen Colonels und schwarzbärtigen Brigadiers, alle um Jahrzehnte älter als er. Er schüttelte zu dem vertraulichen Getuschel des Geheimagenten ungeduldig den harten Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Ah — la — la! Das ist nicht gut! Das ist Senf nach dem Essen, mein Herr! Wir haben den Frieden . . .“
Und schroff, so gedämpft, dass nur der Vertraute des allmächtigen Polizeiministers ihn verstehen konnte:
„Wenn dieser Preusse wirklich mit der Weltgeschichte um die Wette ritt, so hat sie ihn überholt! Der Wiener General Stutterheim ist seit gestern abend in Tilsit und stellt sich, angesichts der vollendeten Tatsache des Friedens, als habe er niemals den Krieg in den Falten seines weissen Mantels getragen! Dem Kaiser ist es recht. Er wünscht jetzt keine nachträglichen Verwicklungen mit Österreich. Er hat in nächster Zeit genug mit Spanien zu tun! Also schicken wir diese schönen Kinder schleunigst dahin, woher Sie gekommen! . . Einverstanden? Sie können sich dem Gewicht meiner Gründe nicht entziehen? Gut!“
Der General Lacroux trat zu dem vorderen Wagen.
„Stehen Sie auf, Demoiselles, wenn ich mit Ihnen spreche!“ befahl er kurz. „Sie haben Glück! Die Grossmut Frankreichs lässt Gnade für Recht ergehen! Sie erhalten die Erlaubnis, ungesäumt nach Mainz zurückzukehren! Schlagen Sie sofort, nachdem Ihre Pässe umgeschrieben sind, von hier aus den Weg nach Skaisgirren ein! . . . Sehen Sie mich nicht so schnippisch an! Kein Wort mehr! Sie sind französische Bürgerinnen! Sie befinden sich in der Zone des französischen Kriegsrechts! . . Lassen Sie sich das gesagt sein! Gute Reise!“
„In einer Stunde gehorche ich mit Vergnügen, mein Marschall!“ sprach die Demoiselle Dullenkopf sanft und setzte sich wieder. „Vorher muss ich noch hier den Kaiser sprechen!“
„Sind Sie toll geworden?“
„Wegen dieser Konversation tat ich ja die Reise! Die Fahrt nach Danzig war nur ein Vorwand!“
„Und Sie bilden sich ein, der Kaiser hat auch nur einen Blick für leichtfertige kleine Frauen Ihres Schlags, die im Biwak die Gemüter seiner Soldaten verwirren? Wolle einer der Herren, die Deutsch sprechen, dem Kutscher befehlen, im Galopp mit diesen beiden Abenteurerinnen nach Skaisgirren abzufahren. Die Pässe folgen nach.“
„Ich bleibe hier — und wenn man mich totschlägt . .“ Die Demoiselle Dullenkopf kletterte eilfertig aus dem Wagen und stand blass, die kleinen Fäuste geballt, rebellisch aufgereckt, mit den schwarz bebänderten Halbschuhen tief im weissen Staub. Der General Napoleons verzog keine Miene.
„Wir sind mit den Preussen fertig geworden!“ sagte er. „Wir werden auch mit Ihnen, Demoiselle, noch fertig werden! . . Hebt das Hühnchen wieder in den Wagen . . . Tausend Donner . . . Es widerstrebt mir, Gewalt gegen eine Frau anzuwenden! . . Nehmen Sie Vernunft an . .!“ Er furchte grimmig die Stirne. „Der gesunde Menschenverstand müsste Ihnen doch sagen, dass Personen Ihrer Art der Zutritt zum Kaiser verschlossen ist . . Halt! . . Nähern Sie sich mir nicht! Sie sind hübsch — ich gebe es zu aber ich wünsche keine Küsse! Wie? Nur zwei Worte ins Ohr . . .?“
Der Marschall Lacroux neigte seinen Zweispitz unwirsch zu den roten Lippen der Demoiselle Dullenkopf. Er presste den bartlosen, willensfesten Mund beim Zuhören immer nachdenklicher zusammen. Der Ausdruck seiner Züge blieb kalt und unbewegt. Aber aus den schwarzen Augen glitt ein jäher, unwillkürlicher Blick höchster Überraschung an dem jungen Frauenzimmer hernieder.
„Haben Sie irgendeinen Beweis für das, was Sie da behaupten?“ frug er leise und schnell.
„Ich weiss, dass im Gefolge des Kaisers Generale genug sind, die mich von Frankfurt und Mainz her kennen!“
„Und wenn dies eine Finte ist, Madame — wenn Sie doch wirklich die kleine Schneiderin Dullenkopf aus Mainz sind — wenn ich eine Unwürdige vor das Angesicht Napoleons liesse — nein — das ist unmöglich . .“
„Ebenso unmöglich, mein Marschall, dass Sie mir die Hilfe Frankreichs verweigern, nachdem Sie wissen, wer ich bin! Ich stehe, wenn nicht heute, so doch über kurz oder lang vor dem Kaiser! Und dann würde es Ihnen, schon aus Rücksicht auf die Rheinbundfürsten, übel vermerkt werden, dass Sie eine Fremde meiner Distinktion hier als fahrendes