Damals war ich siebzehn. Marie Louise Fischer

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Damals war ich siebzehn - Marie Louise Fischer


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Magdalene vorbei, »ich wollte ihn nicht verlieren.«

      »Aber wer ist er dann wirklich? Wer sind seine Eltern?«

      »Ich weiß es nicht«, sagte Frau Hilgert, »das ist es ja eben. Ich weiß es nicht. Auf der Flucht aus Ostpreußen hat ihn mir eine Familie überlassen. Er gehörte nicht zu ihnen. Sie haben ihn in Königsberg gefunden.« Jetzt erst wurde sie auf Magdalenes Reaktion aufmerksam. »Was haben Sie?« rief sie erschrocken und ging auf Magdalene zu. »Ist Ihnen nicht gut? Um Himmels willen, Sie sind ja totenblass!«

      Von einer Telefonzelle am Kölner Hauptbahnhof aus rief Magdalene Rott ihren Mann im Verteidigungsministerium an. Sie wurde von einem Vorzimmer zum anderen verbunden, bis er endlich selbst am Apparat war.

      »Magda, du?« sagte Oberst Rott erstaunt. »Was gibt’s denn so Wichtiges?«

      »Ich muss mit dir sprechen, Herbert.«

      »Ja?«

      »Nicht am Telefon. Es ist – ich kann es dir nicht in drei Worten erklären.«

      »Na schön. Ich werde sehen, dass ich mittags hier wegkomme. Wo bist du jetzt?«

      Auf dem Telefonapparat leuchtete das rote Schildchen: »Bitte nachzahlen!« auf. Magdalene begann, den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, in ihrem Portmonee nach Groschen zu suchen.

      »Warum sagst du nichts?« fragte ihr Mann ungeduldig. »Augenblick bitte, ich möchte nur …«

      »Wo bist du?«

      »In Köln …«

      »Gut. Dann treffen wir uns bei ›Kranzler‹ in Bonn. Ich komme so bald wie möglich. Einverstanden?«

      »Ja«, sagte sie und starrte auf die beiden Zehnpfennigstücke in ihrer Hand, die jetzt überflüssig geworden waren.

      »Dann – bis gleich!«

      Magdalene hängte den Hörer ein, steckte ihr Portmonee wieder in ihre Tasche zurück, nahm ihre Handschuhe und verließ langsam die Zelle.

      Ihre Erregung war abgeklungen und hatte einer eisigen, fast gleichgültigen Ruhe Platz gemacht. Als sie ihren Mann anrief, war sie noch entschlossen gewesen, ihm alles zu erzählen – die ganze Wahrheit über ihre Vergangenheit, die sie ihm bis heute verschwiegen hatte.

      Jetzt plötzlich schien ihr diese Idee Wahnsinn. Sie musste den Verstand verloren haben, mit einem solchen Gedanken auch nur zu spielen. Ja, sie hatte den Kopf verloren. In der ersten Panik war sie sogar nahe daran gewesen, Frau Hilgert gegenüber ihre entsetzliche Vermutung auszusprechen. Wie gut, dass sie geschwiegen hatte! Magdalene atmete tief. Sie hatte das Gefühl, noch einmal davongekommen zu sein.

      Aber während der Rückfahrt nach Bonn konnte sie ihre Gedanken nicht eine Sekunde von der Eröffnung abwenden, die ihr Frau Hilgert gemacht hatte. Doch sie betrachtete sie jetzt nicht mehr durch den Nebel aufgewühlter Gefühle, sondern ganz klar mit ruhigem Verstand.

      Hans Hilgert war nicht der Sohn der Schneiderin. Sie hatte ihn als ungefähr Dreijährigen von Flüchdingen übernommen, die ihn in Königsberg gefunden hatten. Er war völlig verstört gewesen, hatte seinen Namen nicht gewusst, nichts über sich aussagen können.

      Alles stimmte. Hans Hilgert, der Mann, den ihre Tochter Evelyn liebte, war Udo, ihr Sohn – oder zumindest bestand eine starke Wahrscheinlichkeit, dass er es war.

      Deshalb nur hatte sich Evelyn so Hals über Kopf in ihn verliebt, weil sie die blutsmäßige Verwandtschaft spürte, von der sie nichts ahnen konnte. Deshalb war er auch ihr, Magdalene, vom ersten Moment an so ungewöhnlich sympathisch gewesen. Evelyn und Udo waren Halbgeschwister. Sie durften nicht heiraten, unter gar keinen Umständen, ja, sie durften sich nicht einmal Wiedersehen.

      Aber gab es nicht andere Mittel, diese unglückselige Liebe zu zerstören, als sich zu einer Wahrheit zu bekennen, die wahrscheinlich ihre eigene Ehe vernichten würde?

      Als Magdalene im »Kranzier« eintraf, war ihr Mann noch nicht erschienen. Sie setzte sich in den Vorraum, bestellte einen Kognak, den sie in kleinen Schlucken trank.

      Noch war die schreckliche Gefahr nicht gebannt, aber Magdalene fühlte sich ruhiger als seit Monaten.

      Singh Ree, ihr indischer Berater, hatte ihr eine Katastrophe vorausgesagt, eine schwere Prüfung, die sie nur mit Aufbietung aller Kräfte würde überwinden können. Der Gedanke an diese Drohung hatte beklemmende Angst in ihr wachgerufen. Oft war sie nachts aus dem Schlaf geschreckt und hatte sich in den grausigsten Farben ausgemalt, was sie erwarten konnte.

      Jetzt, da sie die Gefahr kannte, schien es ihr, wenn sie schon halb gebannt wäre.

      Oberst Rott erschien. Als seine Augen die ihren trafen, spürte sie die Liebe zu ihm wie eine mächtige erlösende Welle. Blut strömte ihr in die Wangen.

      Er kam mit raschen Schritten auf sie zu, beugte sich über ihre Hand. »Wie schön du bist«, sagte er, »wie ein ganz junges Mädchen.«

      Sie erwiderte sein Lächeln, aber ihre Augen blieben ernst. »Ich bin froh, dass du gekommen bist.«

      »Wollen wir erst mal essen gehen? Oder ist es wichtig, dass …« »Es ist sehr wichtig. Ich furchte, ich könnte kein Bissen hinunterbringen, bevor ich nicht mit dir gesprochen habe.«

      »Gut, wie du willst.«

      Ein Page kam, nahm Oberst Rott Mantel und Mütze ab. Er setzte sich neben seine Frau in einen der tiefen Sessel. »Du erlaubst, dass ich rauche.«

      »Aber ja«, sagte sie gerührt und gleichzeitig ungeduldig, weil er sie nach all den Jahren ihrer Ehe immer noch um ihr Einverständnis bat, bevor er sich eine Zigarette anzündete.

      Erst als seine Zigarette brannte, fragte er: »Also, was gibt s?«

      »Ich weiß jetzt, wer der junge Mann ist, in den Evelyn sich verliebt hat. Hans Hilgert heißt er. Ein ganz einfacher Junge. Fliegerunteroffizier. Er hat uns übrigens seinerzeit mit auf dem Flughafen Köln-Wahn abgeholt. Daher seine Bekanntschaft mit Evelyn. Es ist den beiden ernst, noch ernster, als wir glaubten. Sie wollen heiraten. Je eher, desto besser, meinen sie.«

      »Das hast du ihnen hoffentlich ausgeredet.«

      »Ich habe noch mehr getan. Ich war heute bei seiner Mutter. Natürlich hatte ich nicht viel erwartet. Aber was ich tatsächlich erlebte, übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Sie ist Schneiderin und scheint ganz gut zu verdienen. Aber das Milieu ist von einer Primitivität …«

      Er schnitt ihr das Wort ab. »Du hättest …« Dann erst fiel ihm auf, dass er sie unterbrochen hatte. »Entschuldige. Bitte, erzähl’ ruhig weiter.«

      »Was wolltest du sagen?« fragte sie.

      »Dass du dir diesen Weg hättest sparen können. Selbst wenn der junge Mann aus unseren Kreisen stammen würde, hätte ich ihm niemals die Erlaubnis gegeben, meine kaum siebzehnjährige Tochter zu heiraten.« Er streifte die Asche seiner Zigarette ab. »Ein solches Ansinnen hätte ein Mann normalerweise ja auch wohl kaum gestellt.«

      »Du bist also dagegen?« Sie konnte ihre Erleichterung nicht verbergen.

      »Aber selbstverständlich. Was hattest du denn erwartet? Kennst du mich so schlecht?«

      »Ich kenne dich als einen sehr verliebten Vater«, sagte sie tastend, »der bisher jeden Wunsch seiner schönen Tochter erfüllt hat …«

      »Hier geht es doch nicht um ein Spiel. Vielleicht gibt es junge Menschen, die mit siebzehn schon die nötige Reife für eine Ehe mitbringen. Evelyn jedenfalls nicht.«

      »Das musst du nicht mir erzählen«, sagte Marlene, bemüht, ihre Genugtuung nicht allzu deutlich werden zu lassen. »Sprich mit Evelyn.«

      »Nein. Das halte ich für wirkungslos. Ich werde mir den Burschen – wie heißt er noch gleich?«

      »Hans Hilgert. Er ist Fliegerunteroffizier.«

      »Also, ich werde mir diesen Hans Hilgert persönlich


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