Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz

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Wer baut die Bahn? - Rudolf Stratz


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der Türkei gegen Bulgarien hin unberührt. Aber bei Adrianopel wurde schon fieberhaft nach dem Goldenen Horn zu gebaut. Noch ehe die achtziger Jahre dieses neunzehnten Jahrhunderts zu Ende gingen, würde — das stand in Allahs Ratschluss — der Pfiff der Lokomotive von Konstantinopel aus durch alle Länder der Ungläubigen schrillen und Stambuls heilige Abgeschiedenheit entweihen.

      „Dort kommt Europa . . .“

      Der Marschall wandte sich von der fernen gestürzten Zypresse zu dem Neffen neben ihm. Der schnurrbärtige junge Türke im Regiment Ertogrul hörte nur halb zu. Seine dunklen Augen hingen an einem Gewimmel von Kähnen unten auf den weissen Schaumkämmen des blauen Bosporus, an bunten Mauern von Menschen des Morgenlandes weithin an beiden Ufern der Meerenge.

      „Warum versammelt sich da unten das Volk?“

      „Auch da kommt Europa!“ Der Major Hünif, der einstige Berliner Gardeulan, lachte. „Da schwimmt ein Mädchen durch den Bosporus!“

      2

      Maschallah! Was doch Allah alles vermag!

      Stundenweit standen am europäischen und asiatischen Strand die farbigen Völker des Morgenlandes — Türken, Perser, Tataren, Kurden, Armenier, Hebräer, Griechen, Albanesen, Tscherkessen, Zigeuner. Die beiden Reiter oben sahen die vielen roten Kopftücher und Leibschärpen, die schwarzen Glocken verschleierter Frauen, die weissen Gewänder der Christinnen, die bunten der Jüdinnen. Alles da unten starrte auf ein Gestrudel reissend rasch am anatolischen Ufer dahingetriebener Boote — Männer in ihnen aufrecht stehend — schreiend — winkend — eine Aufregung um irgend etwas in den Wasserwirbeln, das man zwischen den vielen Nachen nicht sah.

      „Sie hat mit andern Deutschen gewettet, dass sie die Strömung des Bosporus bezwingt!“ sagte der Major Hünif. „Ich hörte es gestern in der neuen Militärschule durch die von-der-Goltzschen Offiziere!“

      Der Marschall Schükri konnte unter Abendländern, zwischen Damen im Salon, täuschend ein Pariser Weltmann sein. Aber tief in ihm wohnte der ewige Asiate, der Sohn Allahs. Er war bewusst und mit Willen ein Stocktürke aus der guten alten Janitscharenzeit. Seine hellen braunen Augen in dem dunkelbärtigen Antlitz waren blind gegen ein Weib, das da drüben vor tausend Männern zwischen zwei Erdteilen herumplätscherte.

      „Sie ist ganz oben am Teufelskap ins Wasser gestiegen!“ Der Major ritt neben seinem Oheim über eine Marmorbrücke und an einem neuen riesigen Sultansschloss vorbei, und blickte plötzlich, wie erschrocken, schweigend zur Seite. Vornehme Osmanen im Dienst Abd ul Hamids taten gut, nicht allzulange nach den hohen, dicht verhängten Arabeskenfenstern des Palastes Tschiragan hinzusehen. In diesem zweistöckigen schneeweissen maurischen Prunkbau hielt Sultan Abd ul Hamid seit Jahren seinen des Thrones entsetzten, für wahnsinnig erklärten Bruder gefangen.

      Das marmorne Irrenhaus blieb hinter den beiden Reitern und ihrem Gefolge zurück. Der junge Türke spähte nach dem fernen Gewimmel und Geschunkel der Kaiks auf schaumweisser blauer Flut.

      „Das Wasser strömt zu reissend vom Schwarzen Meer herein!“ sagte er. „Das Mädchen wird ins Marmarameer hinausgespült werden, statt hier an das europäische Ufer . . .“

      Wieder ein Schweigen an schwarzer Stätte! Da drüben lag, hinter dem Tschiragan-Palast, der unheimliche kleine Nebenkiosk Ferije Serai. In ihm hatte man den Oheim Abd ul Hamids, den vorletzten Sultan der Türkei, ein paar Tage nach seiner Absetzung plötzlich tot, mit aufgeschnittenen Pulsadern, gefunden. Das kam, wie der Jildis-Kiosk dort oben der Welt berichtete, von dem unvorsichtigen Spielen mit einer Stickschere.

      In den Menschenmassen an den Ufern zitterte eine Bewegung. Der Major richtete sich in den Steigbügeln auf.

      „Sie kämpft sich in die Mitte des Bosporus hinaus!“ rief er. „Sie wird ertrinken!“

      Der Pascha schaute gleichgültig auf einen truthahngrossen, nackthalsigen, am Weg hüpfenden Geier. „Was liegt an einer Frau!“

      „Vielleicht erreicht sie doch, wie sie gewettet hat, Ortaköi!“

      Das Dorf Ortaköi zog sich mit seinen wie Vogelbauer kleinen Armenier- und Judenhäuschen dort am Ufer hin, gefährlich nahe dem Jildis-Kiosk. In Schükri, dem Günstling des furchtbaren Sternenschlosses, wurde jäh das Misstrauen des Morgenlandes wach — die Sorge um Abd ul Hamid.

      „Was tut sie in Ortaköi?“

      „Sie wohnt dort mit ihrem Bruder! Sie ist mit ihm vor einem halben Jahr aus Deutschland gekommen, sagten gestern die deutschen Offiziere, um ihm den Haushalt zu führen!“

      „Und was tut der Bruder in Ortaköi?“

      „Er ist nicht der einzige Deutsche hier, der in aller Stille Studien für den Bau einer Bahn in das Innere Asiens macht, wenn erst die Bahn von Wien nach Stambul fertig ist . . . Da! Jetzt sehe ich sie! Die rote Badekappe im blauen Meer! Die weissen Striche von zwei Armen! Sie schwimmt mitten im Bosporus!“

      Die Pferdehufe klapperten. Leise klirrten hinten die Waffen der berittenen Leibwächter.

      „Wenn — was Allah verhüte — diese Bahn nach Asien — über die jetzige kurze Strecke nach Ismid hinaus — auch noch gebaut werden sollte“, tief nach einer Weile der Bass des Marschalls, „dann werden, dank meinem Einfluss, die Franzosen sie bauen!“

      „Und die Russen!“ Der Major Hünif wandte sich hitzig im Sattel. „Die ,Neue Russische Studiengesellschaft‘ hat sich mit dem Pariser Finanzsyndikat verbündet! Ihr Vertreter ist mit seinem Stab von Odessa hierher unterwegs!“

      „Sein Schiff hat schon vor ein paar Stunden das Christenfeuer am Eingang des Bosporus passiert! Wir wissen es! Wir kennen sogar den deutschen Namen dieses Russen: Buddenhaus!“

      „Nun — und sind die Russen nicht unsere Todfeinde?“

      „Sie sind neuerdings überall in Europa die Freunde der Franzosen!“

      „Sie schwimmt! Sie schwimmt!“

      „. . . und die Freunde unserer Freunde sind auch unsere Freunde, heisst ein französisches Sprichwort!“

      „Jetzt ist sie wieder mitten in den Wasserwirbeln — zwischen springenden Delphinen!“

      „Mein Wort in dein Ohr, statt dies Mädchen in dein Auge!“ sagte der ordenflimmernde Held vom Schipkapass. „Die wahren Feinde des Osmanenreichs sind nicht Europa — sind nicht die Franken draussen — nicht einmal die Russen —, sondern die Ungläubigen in unserer eigenen Mitte! Vor allem diese Söhne des Satans: die Armenier, und diese Brut von Strassenkötern — die Levantiner!“

      Er lenkte vorsichtig sein Pferd um ein Nest voll hochbeiniger strohgelber wilder Hunde in einem tiefen Loch inmitten des Weges herum und fuhr fort:

      „Diese Verfluchten fordern als Untertanen des Sultans dank ihrem Reichtum Teilnahme an Eisenbahnbauten in Vorderasien! Vor allem dieser eine! Sieh dort!“

      Am asiatischen Ufer des Bosporus spiegelte sich, da, wohin der Finger des Marschalls über die Wasser wies, ein blendendweisses, mächtiges, ganz modernes Palais im Blau des Meeres. Ein riesiger Park von Zedern, Zypressen, Rhododendren umgrünte seine Säulen.

      „Soll ich diesem Sohn eines Stiefelputzers in Saloniki . . .“, Schükri Pascha ritt um ein zottiges Dromedar herum, das stumpfsinnig mitten auf der Strasse stand, „heute vielleicht dem reichsten Abenteurer zwischen Alexandria und Pera . . .“

      „Jetzt nähert sie sich draussen dem Palais Lamba!“

      „Soll ich seinem Eigentümer drüben — soll ich Palamidi Lamba, dem gewissenlosesten Menschen des Mittelmeeres — einem Spieler — einem Buhler — einem Säufer . . .“

      „. . . sie kommt in einen Strudel — sie sinkt unter — nein: sie taucht wieder auf — sie hat die Badekappe verloren . . . sieh dies blonde Haar . . .“

      „Soll ich Lamba und seinen Levantinern und Armeniern zu einer Eisenbahnkonzession in Asien verhelfen? Dann schon lieber die Franzosen und, wenn es sein muss, die Russen!“


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