Wer baut die Bahn?. Rudolf Stratz

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Wer baut die Bahn? - Rudolf Stratz


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      Lamba sank auf einen Seidensessel und brach in Tränen aus. Der Perser betrachtete düster den Kampf zwischen Feigheit und Geldgier in dem kraftlosen Mann. Der Diener stand hinter ihm im Saal. Der Hausherr hatte sich erhoben und an einem persengestickten Glockenstrang gezogen.

      „Geleite den ehrwürdigen Mekkapilger zu seinem Esel!“ befahl er auf türkisch. Und weiter zu dem finster schweigenden Perser: „Lass deine Seidenteppiche hier! Ich werde sie mustern! Beim Erschliesser der Pforten des Erwerbs: Du sollst bis zum Abend Nachricht von mir erhalten, ob sie mir gefallen!“

      Lamba, der Levantiner, war allein. Er stand auf und trocknete sich mit einem weissseidenen Tuch die Angsttränen aus den Augen und rang im Goldfieber nach Luft. Er schaute wieder hinaus auf das Meer, auf den fernen, von einem andern Gold umflossenen Kopf im Geleit der Boote, der jetzt, in den Wellen auf und nieder tauchend, durch ruhigere Strömung, eine schräge, aber unbeirrte Richtung nach dem europäischen Ufer einhielt. Leidenschaftlich starrte der Levantiner auf das blonde Haar und frug sich leise zitternd wieder: Ob sie wohl blaue Augen hat . . .?

      In seinem Garten Eden um das Palais Lamba standen zwischen Lorbeerbüschen und Kakteenhecken da, wo ihr Anblick nicht den Abscheu fanatischer Bettelderwirche und frommer Moscheenhodschas jenseits der Strassenmauer erwecken konnte, marmorne Statuen aus der Welt Homers, den Palamidi Lamba für seinen Landsmann hielt.

      Und wenn von diesen Griechengöttinnen eine ihren Leib mit einer kostbaren Pariser Toilette umgürtet und sich in Wolken von Parfüm gehüllt und ihr klassisch schönes, längliches Antlitz mit den beweglichen Nasenflügeln und dem verwöhnten, üppigen Mund durch eine Puderhülle alabastern weiss gefärbt hätte, aus dem nur, anders als in den Tempeln und Museen, zwei unergründliche Augen, schwarz wie die Nacht, lebendig leuchteten — wenn solch eine Statue von ihrem Sockel herniedergestiegen wäre, dann stand sie jetzt im Saal vor Lamba, ihrem Mann, sich den einen Handschuh zuknöpfend, den andern zwischen den Zähnen, von einem breitrandigen, blumenbeladenen Strohhut das dunkle Haupt beschattet, einen weissen Spitzensonnenschirm zwischen dem Ellenbogen und der enggeschnürten Taille ihrer schon leicht zur Fülle der Dreissig neigenden Junogestalt geklemmt.

      Und der Levantiner Lamba sah seiner Frau, der Smyrniotin Charis, teilnahmlos zu. Sie hielt mit demselben Gleichmut seinen Blick aus. In ihren feuchtglänzenden Augen lagen alle Geheimnisse der Welt — Schwermut — Leidenschaft — Sehnsucht. Aus diesen Augen sprach ein träumerisches, rätselhaftes Wissen um die letzten Dinge. Diese wissenden Augen warteten gläubig auf ein Wunder . . . .

      Und Lamba, ihr Gatte — Seele und Sinn erfüllt von dem Blond da draussen —, Lamba lächelte nur müde und wusste: Diese Augen täuschen. Dahinter ist nichts als eine leichtsinnige Levantinerin . . . . . .

      Charis Lamba hatte ihren Mann schon eine Weile beobachtet, ohne dass er es merkte. Jetzt blinzelte sie spöttisch unter den langen, nachtdunklen Wimpern. Ihr Haupt mit dem kaum merklichen Ansatz eines Doppelkinns — dem frühen Alterszeichen der Levantinerin —, dies aus irgendeinem Griechentempel in das neunzehnte Jahrhundert hinübergeborgte Haupt vom Olymp — legte sich verächtlich, mit der Bewegung einer Fischverkäuferin, schief zur Schulter. Schnell und schwatzhaft unbeseelt ihre zweite kleinasiatische Muttersprache, das Französisch.

      „Nun — macht dich dieser Delphin im Bosporus verrückt?“

      Lamba antwortete nicht. Seine niedere Stirn mit dem glatt hineingekämmten Schwarzhaar lief in unheimlichen Falten.

      „Schwimm doch hinter ihm her, mein Armer!“

      Der Levantiner Emporkömmling musterte die Pariser Juno mit dem stillen Stechen der Augäpfel, durch das er am Kartentisch die fingerfertigsten Griechen, im Kontor die ausgepichtesten Perser und Armenier lähmte. Es kam, in einer Zigarettenwolke, nur aus seinem Mund:

      „Du — und eifersüchtig? . . . Du?“

      „Du tust mir leid, mein Freund! Du machst dich lächerlich! Die Gärtnerjungen da an den Papyrusstauden lachen, der Eseltreiber drüben am Schöpfrad!“

      „Was geht es dich an?“

      „Mein Gott — ich kenne doch diesen Fisch da draussen! Diese kleine Bettlerin aus Deutschland! Ich sah sie öfter in der Grande Rue! Wie sie angezogen geht — man möchte ihr einige Paras in die Hand drücken — in einem selbstgemachten weissen Fähnchen — nicht der geringste Schmuck!“

      „Und du? — Da draussen hält deine Equipage!“ Ihr Mann kreischte. Plötzlich brach bei ihm durch die europäische Tünche der Asiate durch. „Wohin fährst du jetzt? Zu Pappadiamantopulo?“

      „Pappadiamantopulo?“ In dem weissen, antiken Gesichtsoval zwei schmerzliche schwarze Sonnen der Unschuld.

      „Zu Kostolan?“

      „Kostolan!“ Charis rang mit einem Blick zum Himmel die nicht kleinen, aber wundervoll geformten Hände, an denen in wechselndem Wasser die Riesendiamanten über der Puderschicht blitzten.

      „Zu Tschepati? . . . Zu diesem Goilou? . . . Zu Benetato? Zu Kaftanzoglu?“

      „Still!“ Jetzt kreischte auch die schöne Charis auf. Die Unkultur der Levante verzerrte beiden die Gesichter. Sie fauchten wie Kater und Katze aufeinander los.

      „Zu Renieri? Zu Kantschur? . . . Gott allein weiss all die Namen!“

      „Ich gehe!“

      Lamba wandte sich zur Tür. Sie war eine berückend schöne Frau. Sie hatte den majestätischen Gang einer Göttin.

      „Zu Ronis?“

      Lamba keuchte es hinter ihr her. Die Smyrniotin wandte an der Tür das dunkle Haupt über die Schulter zurück. Sie wiederholte, merkwürdig sanft und geringschätzig:

      „Schwimme ihr doch nach!“

      Sie war weg. Draussen rollte ihr Wagen. Ihr Mann schaute wirr der Staubwolke nach und dann hinaus auf das Meer.

      Plötzlich sprang er mit drei Sätzen zwischen den Marmorlöwen die breiten Steinstufen von der Halle auf die Gartenterrasse hinab. An deren Seemauer schaukelten an Pfählen seine Kaiks. Ein Boot, mit einer Hinterkajüte aus geschnitztem Rosenholz, sechs braune Kerle in weissen Hemden mit roten Kopftüchern und Leibschärpen auf den Ruderbänken, lag fahrbereit. Er stieg ein. Er befahl atemlos dem Steuermann:

      „Halte auf die vielen Boote zu, die sich drüben dem Christenufer nähern!“

      Und während die Ruderschaufeln sich unter schnellenden Schlägen bogen, spähte er in zitternder Ungeduld über die schaumgekräuselte, sonnenglitzernde Wasserfläche: Ich muss wissen, ob sie blaue Augen hat . . . . . .

      4

      Der Kaik schoss, lang und schmal wie ein Lineal, mit dem spitz hochgekrümmten Vordersteven durch die spritzenden Wellen. Lamba hielt es auf den bunten Seidenpolstern der Kajüte nicht aus. Er stand breitbeinig auf schwanken Planken hinten im Boot und spähte nach vorn.

      Er sah nicht, in der Mitte der Meerenge, das ungeheure Rundbild der beiden Bosporusufer: die weissen Marmorschlösser und schwarzen Zypressenfriedhöfe, die grauen Burgtrümmer, die Landhäuser, die Leuchttürme, die flachen Dächer der Dörfer, die efeudunklen Mauern, die Moscheen und Minarehs, stundenweit, mit bunten, beschaulichen Morgenländern im Schatten der Platanen. Er sah nicht dort drüben sonnenverschwommen Stambul, mit seinen Tausenden von Kuppeln und Türmen und Masten, seinen Botschaftspalästen und Brandstätten und Kasernen. Er drängte nur die schweissglänzenden Bronzegestalten der Ruderknechte:

      „Rascher — rascher an den vielen Booten mit Franken vorbei nach Ortaköi!“

      Aber dort liess er vor dem Landungssteg der kleinen Raddampfer seine Luxusgondel in einer kurzen Kehre auf den Wogen tanzen und fuhr der Flottille entgegen, die dem goldblonden Schopf im Wasser folgte, und sah, ganz nahe, mit ihren rudernden weissen, dünnen Armen im Spiel der Wellen die Schwimmerin von vorn.

      Ein pudelnasses, frisches, hübsches Mädchengesicht, das heiter, aber hartnäckig entschlossen im Sprühen der Wassertropfen mit


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