Die letzte Analyse. Amanda Cross

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Die letzte Analyse - Amanda  Cross


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verlassen und bist rund um den See getrabt.«

      »Du siehst«, unterbrach Nicola sie, »obwohl du glaubst, dass es so war, klingt es doch verrückt, sogar aus deinem Mund.«

      Emanuel lächelte sein helles Lächeln. Hinweis darauf, dass er sich in das Unvermeidliche schickte. Kate wurde klar, dass Emanuel mehr als jeder andere, den sie kannte, die Fähigkeit besaß, sich in das Unvermeidliche zu schicken. Es war etwas, zu dem vielleicht die Psychiatrie erzog, ein Beruf, der dem, der ihn länger und gut ausübte, nur noch wenige Überraschungen bot. Konnte der Mord an Janet Harrison als solch eine berufliche Überraschung angesehen werden? Kate schob den Knochen erst einmal beiseite, um später an ihm weiterzunagen. »Ich bin nicht direkt aus meinem Sessel zum See gesprungen«, sagte Emanuel. »Ich brauche zwar mein Training, aber so dringend ist es nicht. Ich bin also erst nach hinten in die Wohnung gegangen und habe mich umgezogen. Und dann bin ich in einem Aufzug hinausgewandert, den man als Freizeitkleidung bezeichnen könnte.«

      »Hat dich jemand hinausgehen sehen? Bist du jemandem begegnet?«

      »Niemandem, der das beschwören könnte. Flur und Halle waren leer.«

      Nicola setzte sich auf. »Vielleicht hat ihn einer von Dr. Barristers Patientinnen am Fenster vorbeigehen sehen in Richtung Fifth Avenue. Ich bin sicher, wenn wir ihn bitten, dann fragt er sie, bei einer so wichtigen Angelegenheit. Vielleicht hat er dich auch selbst von seiner Praxis aus gesehen.«

      »Das ist unwahrscheinlich. Aber gleichgültig, ob sie oder er mich gesehen haben – aus Sicht der Polizei hätte ich mich auch wieder zurückschleichen können. Und auf dem Weg rund um den See bin ich niemandem begegnet. Ich bin zwar an einigen Leuten vorbeigekommen, aber an die kann wiederum ich mich nicht erinnern. Wie sollten die dann auch einen Mann identifizieren, der in schmutziger Hose und alter Jacke schnell an ihnen vorbeizog?«

      »Diese Sachen hattest du an, als du zurückkamst«, sagte Nicola. »Ganz sicher hättest du so etwas nicht während ihrer Analysestunde getragen. Beweist das nicht, dass du sie nicht ermordet hast?«

      »Er könnte sich umgezogen haben, nachdem er sie erstochen hat«, sagte Kate. »Aber einen Moment. Wenn man von dir annimmt, du hättest dein Alibi geplant, falls man ein paar Runden um den See ein Alibi nennen kann, wer soll dann die beiden Anrufe mit den Absagen für die Patienten gemacht haben? Du sagtest, der Auftragsdienst notiere die Zeiten. Wenn du mit einem Patienten beschäftigt warst, und das warst du, kannst du die Anrufe nicht selbst gemacht haben. Selbst wenn der Patient das Lämpchen nicht gesehen hat – und der Mörder kann das ja gewusst haben –, weiß der Auftragsdienst, wann die Anrufe angekommen sind.«

      »Daran habe ich auch gedacht«, sagte Emanuel. »Ich bin sogar so weit gegangen, es der Polizei gegenüber zu betonen, obwohl das vielleicht nicht gerade klug von mir war. Sie sagten nichts dazu, aber zweifellos wollen sie darauf hinaus, dass ich jemanden dafür bezahlt haben könnte, an meiner Stelle anzurufen, oder dass ich Nicki oder dich dazu benutzt habe.«

      »Das ist noch eine schwache Stelle in ihrer Rechnung. Ich persönlich werde das fest in meinem Busen bewahren. Warum nimmst du übrigens an, dass der Mörder genau zu der Zeit angerufen hat und nicht, als du allein in deiner Praxis warst? Dann gäbe es nämlich nur deine Aussage.«

      »Vielleicht konnte er zu keinem anderen Zeitpunkt. Wahrscheinlicher klingt aber: Er wollte sichergehen, dass ich nicht ans Telefon gehe und die Nachricht selbst entgegennehme. Ich hätte ja erkennen können, dass das gar nicht die Stimme eines meiner Patienten war, oder ich hätte – doch das erscheint mir unwahrscheinlich – die Stimme am Telefon erkennen können.«

      »Es gibt noch eine Möglichkeit«, sagte Nicola. »Wenn er früher angerufen hätte, dann hättest sogar du, bei all deinem Drang, draußen herumzurennen, dir möglicherweise noch etwas anderes vorgenommen. Du hättest es zum Beispiel mir gegenüber erwähnen können, und ich hätte gesagt: Wunderbar, dann können wir uns zusammensetzen und unsere Haushaltspläne durchgehen, oder wir können uns lieben – natürlich nur, wenn ich auch meine Analysesitzung abgesagt hätte. Ich weiß, das klingt unwahrscheinlich, aber jeder, der uns so gut kennt wie dieser Mörder, konnte möglicherweise auch wissen, dass ich genau der Typ bin, der so etwas macht. Pandora war aus, und da hätte ich doch auf die Idee kommen können, wie nett es zur Abwechslung einmal wäre, am Vormittag miteinander ins Bett zu gehen – also, ich glaube, der Mörder oder die Mörderin wollte verhindern, dass Emanuel über Alternativen nachdachte, und er wollte sichergehen, dass ich aus dem Haus war.«

      »Wie dem auch sei«, sagte Kate, »es ist vielleicht eine Schwachstelle, die dem Mörder noch zu schaffen machen könnte. Hoffen wir es. Als du nach Hause kamst, Emanuel, war da der Vorhang sozusagen schon aufgegangen?«

      »Besser gesagt, das Chaos war ausgebrochen. Wenn es einen nicht selbst betroffen hätte, hätte man es sogar interessant finden können.«

      »Dr. Barrister sagte zu mir, ich sollte besser die Polizei anrufen«, sagte Nicola. »Er schien sogar die Nummer zu wissen, Spring sowieso, aber ich war offenbar nicht einmal fähig zu wählen, hob nur den Hörer ab und rief das Amt an, sodass er mir den Hörer abnahm und die Nummer selbst wählte. Dann drückte er ihn mir wieder in die Hand. Eine Männerstimme sagte: ›Polizeirevier‹, und ich dachte: Das alles hier ist nichts als Einbildung; ich werde morgen gleich mit Dr. Sanders darüber reden. Was bedeutet das alles? Dann kann es, nehme ich an, keine Minute gedauert haben, bis sie einen dieser Streifenwagen, die dauernd unterwegs sind, angerufen hatten – erinnert ihr euch, als wir Kinder waren, da gingen die Polizisten noch zu Fuß.«

      »Als wir Kinder waren«, warf Emanuel ein, »waren die Polizisten gewöhnlich alte Männer. Wie hieß das noch? Sie sind alt genug, dein Vater zu sein, und plötzlich sind sie jung genug, dein Sohn zu sein.«

      »Jedenfalls«, fuhr Nicola fort, »warfen diese Streifenpolizisten nur einen Blick auf die Leiche, als wollten sie sichergehen, dass wir sie nicht auf den Arm nehmen, und dann riefen sie an, und als Nächstes sahen wir, wie der Aufmarsch begann: Männer mit allen möglichen Ausrüstungen, Kriminalbeamte, einen nannten sie Inspektor, Leute, die herumfotografierten, ein ulkiger kleiner Mann, den sie alle mächtig vergnügt mit ›Mister Medicus‹ anredeten. Ich habe sie nicht auseinanderhalten können. Wir haben uns hier ins Wohnzimmer gesetzt. Ich weiß nicht, wann Emanuel heimgekommen ist, aber mir scheint, es war lange, bevor sie sie hinausgetragen haben. Das Einzige, was ich wirklich bewusst aufgenommen habe, war, dass eine Ambulanz kam mit ein paar Männern in Weiß, und einer von ihnen sagte zu einem der Polizisten: ›Tot bei Eintreffen, in Ordnung.‹ Ich habe mal einen Film gesehen, der hieß Tot bei Eintreffen. Bei wessen Eintreffen?«

      »Sie schienen sehr interessiert, mich zu sprechen, nachdem ich zurückgekehrt war – das muss ich ja nicht extra betonen«, fuhr Emanuel fort. »Aber ich musste mich erst einmal ans Telefon setzen und meinen Nachmittagspatienten absagen. Ich konnte sie nicht alle erreichen, und eine Patientin wurde von einem Polizisten wieder weggeschickt, was mir nicht besonders gefiel, aber vielleicht war es besser, als wenn ich in dem ganzen Durcheinander aufgetaucht wäre und sie heimgeschickt hätte. Jedenfalls ist ›Durcheinander‹ das richtige Wort. Wie gründlich die Polizei vorgeht, und wie wenig sie dabei begreift!«

      Später am Abend gingen Kate seine Worte wie ein Echo durch den Kopf: Wie wenig sie begreift! Kaum hatte Emanuel das gesagt, schon war wieder ein Kriminalbeamter erschienen und hatte noch einmal mit ihnen sprechen wollen. Kate hatte er nach einem langen Blick gehen lassen. Aber die Fakten, dachte Kate, während sie müde ins Bett fiel, die Fakten, wenn es denn welche waren, sahen für Emanuel nicht so aus, dass die Polizisten, die alle einen soliden Untere-Mittelklasse-Hintergrund hatten, sie begreifen würden: dass nämlich ein Psychiater, auch wenn er vielleicht unter größerem Druck stehen mochte als andere Menschen, niemals ein Verbrechen in der eigenen Praxis, sozusagen auf dem Grund und Boden seiner eigenen Profession, begehen würde; dass Emanuel sich niemals mit einer Patientin einlassen würde, so schön sie auch sein mochte; dass Emanuel niemals jemanden ermorden könnte, bestimmt nicht mit einem Messer; dass ein Mann und eine Frau, die sich einmal geliebt hatten, nämlich sie und Emanuel, jetzt Freunde sein konnten. Was würde die Polizei mit so etwas anfangen, eine Polizei, die wahrscheinlich nur Sex auf der einen und Ehe auf der anderen Seite kannte? Und was war mit Nicola? »Sie war sehr


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