Der flammende Sumpf. Rudolf Stratz

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Der flammende Sumpf - Rudolf Stratz


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der Schöpfung. Sie ist einen halben Kopf grosser als die ältere, heller an Haar- und Augenfarbe, sie halt sich mit dem stolzen Anstand einer Königin, sie leuchtet in Jugend uns Lebenskraft und Lachen, ganz im Gegensatz zu dem verbissenen, fahlen, hageren Leidensgesicht der Terroristin. Wo ist da nur die Ähnlichkeit? Vielleicht, manchmal nur, in einem sonderbaren, fanatischen, tief aus dem Innern kommenden Aufflimmern in den Augen. Diesen unheimlichen Blick hat — so scheint mir — den Bruchteil einer Sekunde hindurch manchmal auch die schöne Irina. Es scheint mir wenigstens so. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein . . .

      Fräulein Tschurin am anderen Ende des Zimmers drüben hat ihr Gespräch mit meinem Vetter Sascha beendet. Sie schaut durch den Raum. Sie geht zögernd ein paar Schritte. Man macht ihr Platz. Sie sucht irgend jemanden. Jedenfalls eine Dame. Denn die Männer winkt sie sich ja herbei. Die behandelt sie wie die Leibeigenen. Jetzt hat sie, was sie sucht, gefunden. Offenbar ganz in meiner Nähe. Sie kommt heran. Und nun ereignet sich das Unerwartete: sie tritt auf mich zu! Sie, die verwöhnte, hochmütige Irina Tschurin drückt mir freundlich die Hand und lächelt liebenswürdig und schaut mir freimütig ins Gesicht und versetzt:

      „Seien Si emir nicht böse, Herr von Küster! Ich habe unglückseligerweise vorhin Ihren Namen nicht verstanden! Ich habe jetzt erst von dem nichtsnutzigen Sascha dort gehört, dass Sie der Sohn unserer lieben Exzellenz Küster sind, auf den Papa mit Recht so grosse Stücke halt! Seien Sie herzlich willkommen! Hoffentlich sehen wir Sie recht oft bei uns!“

      „Zuviel der Gnade!“ stammle ich. Es fällt mir, weiss Gott, im Moment nichts Gescheiters ein. Ich fühle, wie alle Blicke auf mir ruhen. Mit Staunen. Mit Neid. Mit Neugier: Wer ist denn dieser Glückspilz? Ich gewinne für alle Anwesenden plötzlich an Interesse. Fräulein Tschurin mustert mich noch einmal wohlwollend, verabschiedet sich von mir mit einem freundschaftlichen Kopfnicken und tritt zu einer Gruppe ausländischer Diplomaten. Sie beginnt dort mit einem breitschulterigen, fischblütigen jungen Briten ein Gespräch in lachendem Englisch.

      Und ich stehe und bin glücklich. Betäubt. Sascha Etwein, der Linienleutnant, murmelt neben mir:

      „Du kannst stolz, sein, mein Vetterchen! So herablassend ist die schöne Hexe sonst nie! Du hast bei ihr einen grossen Stein im Brett!“

      „Ich danke dir von Herzen, Sascha!“

      „Es ist kein Grund! Ich musste doch von irgend etwas reden, als ich mich glücklich in ihre Nähe herangeschlängelt hatte, und da verfiel ich auf das erste beste dumme Zeug und sprach von dir!“

      „Und das interessierte sie?“

      „Offenbar. Ich begreife es ja auch nicht. Ich finde nichts Merkwürdiges an dir!“

      „Wahrscheinlich war es nur eine ihrer Launen!“

      „. . . oder sie will jemand anderen eifersüchtig machen!“ belehrt mich der weltkundige Vetter.

      „Vielleicht diesen englischen Athleten, mit dem sie spricht!“

      „Das ist ein Lord von der Britischen Botschaft — der älteste Sohn eines Herzogs. Später einmal einer der ersten Leute von England. Aber den braucht sie nicht erst zu erhitzen. Er hat längst Feuer gefangen. Jeden Augenblick legt er ihr, wenn sie will, seine Peerskrone und seine Schlösser zu Füssen!“

      „Und sie will nicht?“

      „Ich sage dir ja: sie ist unverbrennbar wie Asbest. Sie ist nicht von Fleisch und Blut. Und dabei doch voll von innerem Leben. Warmgewordener Marmor. Ach — Irina Tschurin ist und bleibt ein Geheimnis — für einfache Menschen wie dich und mich ist es nicht zu ergründen!“

      Der Linienleutnant Alexander von Etwein seufzt und schweigt. Er ist wahrscheinlich auch in Fräulein Tschurin verliebt, wie alle Welt. Bei ihm ist der Fall natürlich ganz hoffnungslos. Und mein bisschen gesunder Menschenverstand sagt mir: Bei dir gerade so! Lasse dich nur nicht durch ein paar oberflächliche, leutselige Worte verwirren! Die waren bei der Tochter des Hauses selbstredend nur eine Nachholung eines Versäumnisses, eine nachträgliche Höflichkeit, die nicht dir, sondern deinem Vater galt . . .

      „Weisst du, was komisch ist!“ versetzt mein Vetter Sascha nach einiger Zeit. „Irina Borissowna schaut nach dir herüber!“

      „Zufall!“

      „Da — ganz deutlich — wieder!“

      „Das bildest du dir ein!“

      „Hast du es denn nicht selber gemerkt?“

      „Ja“, murmle ich gepresst. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich weiss nicht, wie mir wird . . .

      „Es fällt auch anderen im Zimmer auf!“

      „Was sollte sie denn an mir finden?“ sage ich verzweifelt, mit dem Mut zur Wirklichkeit.

      „Frauen sind unergründlich!“

      Sascha Etwein ist noch sehr jung, sehr unbedeutend, sehr dürftig an Rang und Vermögen. Aber er bildet sich schon ein, ein Weiber- und Weltkenner zu sein. Ich zwinge mich zu einem spöttischen Achselzucken.

      „Wenn wir Mondscheinwandler sein wollen, werden wir es in Peterburg zu nichts bringen, Sascha!“ sage ich. „Man muss mit so törichten Gedanken nicht einmal spielen!“

      „Und hat sie dich nicht eben wieder mit einam schnellen Blick gestreift?“ Mein Vetter murmelt es, selbst fast so erregt wie ich, zwischen den Zähnen. Seine Stimme zittert. Er ist ein solcher Streber . . . In diesem Augenblick geht es ihm womöglich schon durch den Kopf, das ser urch mich in Petersburg Karriere machen kann . . .

      Ich möchte ihm den Unsinn verweisen. Abe rich kann nicht. Ich bin wie gelähmt. Denn er hat recht. Ich habe es auch gesehen. Fräulein Tschurin hat unruhig und unentschlossen zu mir herübergeschaut . . .

      Und nun . . . ich traue meinen Augen nicht . . . aber es ist so . . . der ganze Salon ist Zeuge: Fräulein Tschurin trennt sich von dem Engländer und tritt, mitten durch die Gäste, ein zweites Mal auf mich zu und sagt lebhaft und lächelnd, und noch dazu aus Höflichkeit gegen mich, den Deutschrussen, in gutem Deutsch:

      „Setzen wir uns einen Augenblick da zusammen in den Wintergarten!“

      Neugierige Augen ruhen auf mir. Ich nehme neben Irina auf zwei Korbsesseln in dem offenen Erkervorsprung Platz, in dem ein paar vergilbte Zwergpalmen aus den Treibhäusern der Krone einen shcwindsüchtigen Süden vorspiegeln. Es weht kühl von dem gelben Sand des Bodens. Man sieht den Atem in der Luft und hört vor den Fenstern das Pfeifen des Herbstwinds über der Newa und die klagenden Schreie der Möwen. In dem anstossenden gesellschaftsraum hat sich das Stimmengewirr merkwürdig gedämpft. Ich ahne dort vielsagendes Schweigen, bedeutungsvolle Seitenblicke, malitiös lächelnde Lippen: Sieh da — Irina und dieser kleine Deutsche ohne Orden und Titel, der kaum zum Tschinadel zählt, nie in der Garde gedient hat, weder dem Englischen, noch dem Neuen oder dem Iachtklub angehört . . . Erbarmen Sie sich: was soll das heissen?

      Wahrhaftigen Gottes — ich weiss es selber nicht. Ich kann kaum atmen vor Erregung. Ich höre in der Stille das Hämmern meines Herzens. Irina Tschurin sitzt vor mir und lächelt. Ihr schönes Antlitz ist liebenswürdig glatt und etwas leer. Sie beginnt die oberflächliche Konversation eines Weltfräuleins:

      „Sie kommen eben aus dem Ausland zurück, Herr von Küster? Wie war Ihre Reise? Hatten Sie Schwierigkeiten an der Grenze?“

      Ich srocke verblüfft. Soll ich es bejahen? Soll ich antworten: Allerdings! Ihre Schwester stahl mir meinen Pass! Von diesem Raub kann Fräulein Tschurin nichts wissen. Von dem weiss jai hr eigener Vater noch nichts Ich erwidere mühsam:

      „Wie sollten da Schwierigkeiten sein? Wenn man seinen Pass hat . . .“

      Fräulein Tschurin nickt beistimmend. Sie examiniert weiter.

      „Und wo hielten Sie sich in den zwei Jahren auf, Herr von Küster?“

      „In den moisten Ländern Europas!“

      „Auch an Orten, wo viele von unseren Landsleuten sind?“

      „Ich studierte


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