Der flammende Sumpf. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.— und was liegt an mir? Hier gibt es wichtigere Persönlichkeiten! Dort sitzt der Mönchspriester Damaskin, der flämische Geisterseher Aymerich, der berühmte Monsieur Jules Ruben aus Paris . . . Was bedeutet da eine arme Magd Gottes wie ich?“
Das junge Mädchen hat sich umgewendet, um die Sterne des Salons Tschurin zu zählen. Ihr Antlitz, das im Gegensat zu den anderen Peterburger Mondänen Puder und Schminke verschmäht, wetterleuchtet jetzt launisch und hochmütig. Ihe Auge, das über die Gäste hinstreicht, fällt auf mich. Ich bin ihr fremd. Aber in keiner Weise interessant. Sie blickt mich leer und gleichgültig an. Doch dann klatscht sie in die Hände und ruft in die Gruppe junger Petersburger Stutzer hinüber.
„Platon! Kümmere dich um deine Gäste! Was ist das hier bei uns für ein Dorfkrug? Man läuft durcheinander wie die Hühner! Hier an der Türe steht einer deiner Freunde und wartet, was Gott ihm beschert!“
Ein junger Mann eilt feurig und lebhaft, federnden Schrittes, auf mich zu. Er ist etwas grösser und älter als das Mädchen, das ihn rief, und nicht so brünett wie sie, sondern blauäugig und von dunkelblondem Haar. Er prüft mich rasch mit einem funkelnden Blick, die Hand in der Tasche, offenbar am Kolben eines revolvers, ob ich nicht ein eingedrungener Terrorist sei? Als er meinen Namen hört, verzieht sich sein wildes, schnurrbärtiges Gesicht zu einem verbindlichen Lächeln. Er macht eine knappe, fast militärische Verbeugung und reicht mir die Hand.
„Ich bin der Kollegienassessor Tschurin, der Sohn des Hausherrn! Seien Sie hier willkommen!“ sagt er. Aber ich weiss ja von Gatschina her von seinem Vater, dass Tschurin der Jüngere zu den fanatischsten Panslawisten gehört, zu der Geheimorganisation der ,Heiligen Schar’ des Zaren, die am liebsten alles in Russland, was nicht zur orthodoxen Taube betet, mit Feuer und Schwert vertilgen möchte: die Deutschen — die Polen — die Tataren — die Lutheraner — die Katholiken — die Hebräer — die Moslemin. Ich als deutscher Lutheraner muss ihm ein Dorn im Auge sein. Aber er versetzt höflich:
„Nun — Mama erwartet Sie schon hier! Sie waren jahrelang im Ausland? Was taten Sie in dem faulen Westen?“
„Ich füllte die Lücken meiner medizinischen Bildung aus, die sich in Russland nicht schliessen liessen!“ erwidere ich. Wir schauen uns einen Augenblick an. Wir fühlen: wir sind einander sehr umsympathisch: ich — der Deutschrusse — und er, der Deutschenfresser. Der Kollegienassessor Tschurin schweigt. Er hat, wenn er nicht gerade panslawistisch aufkollert, ein ziemlich unbedeutendes Gesicht. Er führt mich zu seiner Mutter. Der Hausherr, der alte Tschurin, ist natürlich nicht anwesend. Seine Hohe Exzellenz hat unter Tag mehr zu tun als Tee zu trinken.
Das geistvolle, weissgepuderte Mopsgesicht der Dame des Hauses zeigt, unter eisgrauen, gebrannten Löckchen, für jedermann ein verständnisvolles, einschmeichelndes Lächeln, als sei gerade er ihr besonderer Freund und Vertrauter. Oder ein neuer Protegé, wie ich. Sie versichert es mir gütig, während ich ihr die fette, reichberingte und durchdringend parfümierte Hand küsse. Marina Georgiewna Tschurin, die geborene Fürstin Koguschew aus Moskau, besitzt die Gabe, gleichzeittig mit drei Menschen zu reden und dabei alles um sie herum zu hören. Sie erkundigt sich so lebhaft nach meinen Studien un Zukunftsplänen, als ob sie das eine Sekunde auch nu rim entferntesten interessierte. Sie verfolgt zugleich das Gespräch der beiden Gäste neben ihr und unterbricht es entrüstet.
„Wie? Pogrome in Südrussland? Wenn es sein muss — dann wenigstens später! Nicht gerade jetzt, während der Zar nach der Krim reist! . . . Doch ein bisschen Takt, ein bisschen Geschmack . . .“
„Wie wollen Sie den Muschik hinder?“ erwidert, mit einer hohen, sanften, singenden Stimme, der Mönchpriester Damaskin. Der berühmte Damaskin. Der Klostergeistliche und Weltmann in allen Petersburger Salons, der mondane Heilige für gelangweilte hohe Damen. Er ist mit seinem langwallenden, losen Blondhaar, seinem feinen, vollbärtigen Christuskopf, in seinem langen Kirchenrock, ein auffallend schooner Mann in den Dreissigern. Neben ihm lächelt sarkastisch der spitzbärtige, pechschwarze Monsieur Jules Ruben aus Paris, der grosse französisch-russische Finanzmann. In seiner Tasche klimpern förmlich hörbar die kommenden Milliarden-Anleihen zum Bau der strategischen Bahnen in Polen.
„Und wie wollen Sie die französische Bankwelt hindern, kein Geld mehr nach Russland zu schicken?“ fragt er. Vater Damaskin schweigt milde. Es ist, als dächte er über das Problem nach, in Russland die Hebräer zu hetzen, ohne dass in Frankreich die Rothschilds etwas davon merken.
Die Dame des Hauses beachtet mich nicht mehr. Ein graubärtiger Gardegeneral erzählt ihr mit tiefer Stimme von einer Sitzung der slawischen Wohltätigkeitsgesellschaft, der mächtigen Kampforganisation des Panslawismus. Sie hört ihm nicht mehr zu. Sie beginnt nervös zu zittern.
„Aymerich spurt seine Ätherwellen!“ fluster sie atemlos.
Am Fenster sitzt mit geschlossenen Augen, in einem aufgeregten Kreis von Damen und Herren, Jan Aymerich, ein stämmiger Vlame, dessen rosiges Gambrinusgesicht fast völlig unter goldblondem Haupthaar un Vollbart verschwimmt. Er ist, scheint es, der augenblickliche Modeprophet Petersburgs. Dessen Salons wimmeln ja von jeher von heiligen Idioten, ekstatischen Nonnen, tibetanischen Zauberern, spiritistischen amerikanischen Zahnärzten. Ein verlebter, wundervoll gekleideter junger Mann wendet sich empört von dem Hellseher ab.
„Und mit diesem Humbug will man Russland retten!“ ruft er. „Es wird erst besser, wenn der Zar mich zum Minister macht!“
„Ausgesprochener Grössenwahn!“ murmelt der Gardegeneral zu einem langbärtigen, bebrillten, allrussischen Professor. „Er leidet dank seinen Ausschweifungen an Gehirnerweichung!“
„Ist dieser Woinitsch denn noch im Staatsdienst?“
„Jetzt eben als Gehilfe in das Ministerium des öffentlichen Unterrichts berufen! Ich bitte Sie: ein Mensch mit diesem Selbstbewusstsein . . . Sieh da, Erlaucht . . .“ Der General der slawischen Wohltätigkeit erhebt sich ehrfurchtsvoll: „Wir sahen uns zuletzt auf dem allrussischen Kongress in Moskau. Sie sind ein seltener Gast in Petersburg!“
Der neue Besucher ist ein Mann im besten Alter, von sehr breitschultrigem, plumpem und untersetztem Wuchs und mit der hochfahrenden Sorglosigkeit eines grossen Herrn vom Lande gekleidet. Der Ansatz eines Höckers entstellt seine Gestalt. Sein Gesicht ist gross, rund wie der Mond, bartlos, mit schwammigen, aber geistig regen Zügen. Er drückt jedem von uns im Vorbeigehen, ohne weitere Vorstellung, schweigend die Hand und begibt sich bedächtigen Schritts auf die alte Tschurin zu. Die vergisst sofort ihren Geisterseher am Fenster. Sie lüftet ihren dicken, kurzen Körper vom Kanapee und eilt erfreut dem hohen Gast entgegen. Er küsst ihr nicht die Hand. Er schüttelt ihre Rechte nur kräftig und versetzt dabei mit einer dumpfen und markigen Stimme:
„In der Tat — ich bin es, Marina Georgiewna! Zehn Jahre oder länger war ich nicht in Petersbrug! Ich verabscheue diese Beamtenstadt. Nun aber führten mich Verhandlungen mit dem Ingenieurinstitut der Verkehrswege aus Moskau auf einen Tag hierher. Man baut, ohne mich zu fragen, eine Bahnlinie, die auf mehr als hundert Werst meine Güter durchschneiden soll . . .“
„Nun — und bei dieser Gelegenheit . . .“, er nimmt breit und schwer neben der alten Tschurin Platz, „überbringe ich die Grüsse Ihrer Schwester Jelena, meiner Tante!“
„Wer ist dieser Fürst?“ frage ich. Der panslawistische Professor belächelt meine Unerfahrenheit.
„Haben Sie niemals von den berühmten Kunstschätzen in Andrjuschinow im Moskauer Kreis gehört? Doch? Nun — dort sehen Sie den Sammler un Eigentümer, Fürsten Chowansky!“
„Er ist wohl sehr reich?“
„Einer unserer grössten Grundbesitzer. Sein kleines, körperliches Gebrechen — Sie sehen es ja — hat ihn menschenscheu gemacht. Auch in Moskau trifft man ihn selten. Er lebt völlig zurückgezogen, nur mit seinen Sammlungen beschäftigt, auf seinen Gütern!“
Ich fühle, dass ich jetzt hier, im Allerheiligsten der Villa Tschurin, überflüssig bin. Ich trete wieder in den Nebenraum. Es zieht mich unwiderstehlich dort hin. Dort ist dies wunderschöne Mädchen. Gottlob — sie ist noch da. Sie sitzt in einem Schaukelstuhl und wippt träumerisch