Der flammende Sumpf. Rudolf Stratz

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Der flammende Sumpf - Rudolf Stratz


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unendlich langen, spitzengefältelten Rock, der die Füsse verbirgt und in ringsgerundeter Schleppe am Boden nachschleift. Ganz enge Ärmel. Das Schwarzhaar hoch um das magere Köpfchen gewellt. Dies weisslich gepuderte Gesicht darunter, das mich spitzbübisch wie einen alten Freund und Komplicen anlächelt, ist kaum hübsch zu nennen. Auf der Bühne, geschminkt, mag es mit dem grossen Mund und den riesigen Augen wirken. Von diesen funkelnden, schwarzen Augen kommt man nicht los. Sie faszinieren. Sie wechseln fortwährend den Ausdruck. Sie gehen einem durch und durch. Es liegt wie uraltes, tausendjähriges Wissen in ihnen . . .

      Ich küsse der Krasnopolska die magere Kinderhand, die eigentlich nu rein flimmernder, fünffingeriger Diamantenladen ist. Die Geliebte des Grossfürsten schiebt vertraulich ihren dünnen Arm unter meine, schlägt, mit der Übung einer Tänzerin, mit dem rechten Fuss die Schleppe zurück und geleitet mich in den Nebenraum. „Einigt euch jetzt mit der Petroleumkonzession!“ befiehlt sie dabei auf Französisch über die Schulter dem Perser und den Russen und deutet auf den Herrn am Boden. „Baskakin hat sich das alles schon längst ausgerechnet!“

      Baskakin auf der Erde grunzt nur. Der junge Mann am Fenster dreht sich um. Ich erkenne Malkiel, den ersten Tänzer des Marientheaters. Er lächelt verächtlich, wirst seine Zigarette weg und geht ohne Gruss aus dem Zimmer. Nebenan parodiert ein icker Faun mit hoher Fistelstimme eine prude Dame im Chambre séparée. „Oh — non — non — monsieus!“ Ich kenne ihn vom Sehen. Es ist Cousin, der Komiker vom französischen Kaiserlichen Michaeltheater. Er macht eine Grossfürstin auf Seitensprüngen nach. Alles biegt sich vor Lachen. Die Krasnopolska setzt mich neben einen dicken General im Schaukelstuhl und sagt mir abei leise und schnell in ihrem ausgezeichneten Deutsch: „Warten Sie, bis alle weg sind!“ und flirt, während mir ein echter kleiner Neger arabischen Kaffeesatz mit Früchten und Eiswasser serviert, wie eine Libelle in ihren Räumen von Gast zu Gast und küsst stürmisch einer eben eingetretenen grauhaarigen Dame in unauffällig kostbarer Toilette die Reismehlschicht von den groben roten Zügen. Es ist Madame Boissonade — Inhaberin des ersten Modesalons und eine Macht in Petersburg. Sie bringt den neuesten Klatsch aud den „Sphären“ der Gesellschaft. Hesia Krasnopolska hört amüsiert zu und überfliegt dabei einen eben abgegebenen Brief und kritzelt auf dem Malachit-Tischchen mit einer Goldfeder ein paar Zeilen und springt auf und sagt zu mir beiläufig im Vorbeigehen: „Machen Sie kein so unglückliches Gesicht!“ und beschäftigt sich schon wieder in einem dritten Raum mit einem käsefarbenen Armenier, der inmittet einer Gruppe von Damen und Herren einen Haufen loser Diamanten in der Hohlhand glitzern lässt.

      „Was hat Ihnen Hesia ins Ohr geflüstert?“ ruft eine von zwei schönen Frauen aus Wolken von Parfüm und Papyrossenrauch zu mir herüber. Und die andere, noch griller geschminkte, lacht hell. „Sie sind ein hübscher Junge! Machen Sie hier keine Torheiten! Sonst schickt sie der Grossfürst in die Bergwerke!“

      Mein Gott — der Grossfürst soll mich doch nicht verbannen, sondern davor bewahren, womöglich verbannt zu werden! Mein Pass . . . mein Pass . . . Aus einer dunklen Ecke murmelt plötzlich eine schwermütige Grabesstimme:

      „Nun — da bist du ja wieder!“

      „Kennen Sie Aptekmann?“ ruft die Krasnopolska. Sie flitzt aus dem Seitenkabinett, wo sie mit einem schwammigen, bartlosen Unbekannten getuschelt hat.

      „Der Ewige Jude!“ sagt der General im Schaukelstuhl neben mir dumpf und versinkt wieder in Stumpfsinn.

      „Aptekmann und ich haben zusammen in der Augenklinik in Odessa praktiziert!“ erwidere ich der Krasnopolska. „Wir sind Freunde! Und was sitzt du die ganze Zeit hinter der Portiere, Jascha, und schweigst?“

      „Fragen Sie ihn nicht erst!“ Die Krasnopolska lackt sich mit spitzer Zunge eine flüchtig gefingerte Papyros zurecht. „Er ist verrückt!“

      „Verrückt darüber, wie es in Russland zugeht! Wärst du doc him Ausland geblieben, Axel!“ Langsam, endlos erhebt sich Jakob Aptekmanns baumlange, klapperdürre Gestalt aus dem Sessel am Fenster, Sie hängt unter einer unsichtbaren Last krumm wie ein Fiedelbogen nach vorn über. Auch die Knie, bis zu denen die zu langen Arme hinabschlenkern, knicken im Stehen ein. In mächtigem Bogen schwingt sich die Nase über dem wirren, langen, fuchsroten Vollbart, der die bitter aufgeworfenen Lippen fast verdeckt. Darüber ein Paar dunkle traurige Augen. Dr. med. Jakob Aptekmann kauert sich, die endlosen Beine bis zum Bart hochziehend, auf ein niederes Taburett neben mich und drückt mir die Hand. „Gut, dass man dich noch sieht! Ich reise in den nächsten Tagen nach Tataru zu meinen Eltern!“

      Dies Tataru ist sein Geburtsort, ein weltverlorenes bessarabisches Nest, ganz im Süden Russlands, nur von Hunderten von herbräischen Schneidern, Schustern, Schmieden, Fuhrleuten, und einem Wunderrabbi bevölkert. Mordche Bär Aptekmann, Jaschas Vater, flickt dort als Klempnermeister die Gutsdächer im Umkreis.

      „Was machst du denn in Tataru, Jascha?“

      „Es liegt Blut in der Luft!“ sagt Jakob Aptekmann ruhig mit seiner weichen, tiefen Stimme. „Es drohen Pogrome in ganz Bessarabien und im Chersonschen Gouvernement. Die rumänische Grenze ist von Tataru nur ein paar Stunden entfernt. Ich will meine Eltern nach Rumänien hinüberbringen. Ich möchte nicht, dass man mir die alten Leute totschlägt! Montag fahre ich nach Odessa und von dort weiter! Pascholl, ihr Hühnchen!“ Er klatscht, gegen die beiden hübschen Frauen gewendet, in die Hände. „Macht euch nützlich! Marsch ins Theater!“

      „Wir tanzen erst im zweiten Akt!“ sagt die eine der beiden Schönen. Aber sie brechen doch auf, seidenraschelnd, von Wohlgerüchen umweht. Auch die moisten anderen Gäste sind schon gegangen. Die Räume halb leer. Neben uns schläft der dicke General mit weit offenem Mund im Schaukelstuhl.

      „Das kommt davon, wenn man denkt, Samarkand ist weitm und dort unbefangen wie ein Kind stiehlt!“ sagt, mit einem Blick auf den General, der Ewige Jude. „Nun darf die Krasnopolska die Sache wieder mit dem Reichskontrolleur und seinen Gehilfen ordnen! Ach — es ist eine grosse Frau! Was macht sie für zentralasiatische Geschäfte mit dem bleichen Dickwanst da drinnen, der wie ein Skopze aussieht! Baumwoll-Lieferungen für die Krone. Da ist gar keine Baumwolle. Grimmig wird die Krone übers Ohr gehauen. Jetzt eben die Pariser Milliardenanleihen für den Bau der strategischen Bahnen in Polen. Was verdient die Frau da an der Vermittlung der Schmiergelder für die Grossfürsten! Jeder Tatar weiss es. Aber wer wagt etwas gegen Hesia Krasnopolska? Du hast bei ihr, scheint es, einen Stein im Brett. Halte sie dir warm! Sie ist ein Stern Petersburgs. Jede Stadt hat die Sterne, die sie verdient!“

      Der Ahasver erhebt sich in seiner gespenstigen, gebeugten Länge und reicht mir die zarte, fast frauenhafte Rechte eines Augenarztes.

      „Hast du einmal die deutsche Oper ,Die Walküre’ gesehen?“ fragt er. „Da schlagen zum Schluss überall die Flämmchen aus der Erde. Da ein Flämmchen — dort ein Flämmchen — überall Flämmchen. So schlagen auch bei uns in Russland überall die Flämmchen aus dem Boden. Die Regierung lässt die Flämmchen durch die Stiefel der Gendarmen und Kosaken austreten und denkt: Nun ist es gut! . . . Aber die Flämmchen kommen wieder, die Flämmchen werden immer wieder kommen . . . immer . . . immer.“

      Er schreitet mit langen Beinen, lautlos, wirklich wie der Ewige Jude, zur Tür. Dort rafft, mit tieser Verbeugung, der bleiche, hebräische Kammerdiener die Portiere zurück. Aptekmann schüttelt ihm freundschaftlich die Hand. Ich beobachte es erstaunt.

      „Dieser Kammerdiener ist doch Hesias Bruder! Dieser Vogel macht doch alles hier!“ brummt verdriesslich, aus seinem Schlummer erwacht und meinen Blick bemerkend, der dicke General aus Samarkand. Er steht mühsam auf, seufzt, bekreuzigt sich und schleicht geduckt zum Ausgang, das verkörperte böse Gewissen. Ich schaue mich in den von Zigarettenrauh bläulichen Räumen um. Ich bin allein. Hesia Krasnopolska kommt auf mich zu, ein verzuckertes Kiewer Veilchen im Mundwinkel, und setzt sich neben mich auf die Lehne eines Fauteuils. Irgendein betäubendes tibetanisches Aroma strömt aus ihrem blauschwarzen, hochgewellten Haarschopf. Perlen, Diamanten, Rubine, Smaragde glitzern überall an ihrer mageren, kleinen Gestalt. Aber ihre schwarzen Augen funkeln noch greller in dem kaum hübschen, weissgpuderten, ewig bewegten Gesicht. Ganz jung ist sie nicht mehr. Sicher schon dreissig.

      „Nun — was machen Sie für Dummheiten!“


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