Der flammende Sumpf. Rudolf Stratz

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Der flammende Sumpf - Rudolf Stratz


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hübsch du geworden bist!“

      Magna schaut mir seelenruhig aus ihren blauen Augen ins Gesicht. Das Schönste an ihr sind der reine, rotweisse Teint — die schwedische Abstammung der Casparson — und die blendend weissen Zähne.

      „Als du vor zwei Jahren weggingst, war ich ja noch ein Kalb! Kaum achtzehn!“ spricht sie gelassen. „Nun bist du also wieder in Petersburg, du Ärmster!“

      „Ärmster? Wie das?“

      „Wie kann es ein Mensch in Petersburg aushalten?“

      „Eine Million Menschen bringen das Kunststück fertig!“

      „Ich nicht! Sowie die Grossfürstin aus Deutschland zurück ist — nächste Woche —, bitte ich um meinen Pass!“

      Bei dem Wort „Pass“ von Magne Casparsons roten Lippen fahre ich wider Willen zusammen . . . Sie zuckt die Achseln.

      „Man wird mich höchst ungnädig davonjagen! Einerlei!“

      „Warum willst du von hier fort? Ist der Grossfürst zu dir zuringlich?“

      „Ich bin für ihn Luft! Gelobt sei Gott!“ sagt Magna kühl.

      „Schikaniert dich die Grossfürstin?“

      „Mein Gott: die arme, kleine, deutsche Prinzessin ist froh, dass sie das Leben hat!“

      „Ärgern ich die Kinder? Das Hoffräulein? Der Intendanturchef? Der Adjutant? Der Haushofmeister? Nein? Alle nicht? Also warum denn?“

      „Weil man meinen Vater nach Sibiren schicken will!“ sagt Magne Casparson hart. „Und dabei soll ich mit diesen Leuten hier schöntun und unterwürfig gegen sie sein? Danke! Ich will heim!“

      „Freilich: Da braucht man dich jetzt!“

      „Daheim sind noch Geschwister und Verwandte genug! Aber Papa kann doch nicht allein nach Sibirien. Er braucht Pflege. Ich geh’ mit!“

      „Wird man denn das erlauben?“

      „Wenn es mit Sibiren Ernst wird — das ist dann meine letzte Bitte an die Grossfürstin! Wie die Russen sind — gerade so etwas schlagen sie einem nicht ab!“

      „Fürchtest du dich denn nicht vor Sibirien?“

      „Nein!“ sagt die blonde Magna in ihrem kühlen Baltisch. „Aber nun genug von mir! Heute morgen erst wurdest du aus dem Ausland von deinen Eltern erwartet. Warum kamst du dann gleich hierher, wenn du nicht irgend etwas brauchst?“

      „Einen Pass brauche ich!“ versetze ich leise und verzweifelt und erzähle die ganze Geschichte. Als ich geendet, faltet Magna die Hände über em blonden Haarknoten im Nacken zusammen und schaut sinnend mit zurückgelegtem Haupt zur Decke. Ich warte eine Weile. Dann versetze ich kleinlaut:

      „Papa meint, du wüsstest, wie man den Grossfürsten dazu kriegt, dass mir heute noch auf seinen Befehl ein neuer Pass . . .“

      „Natürlich weiss ich es! Du must umgehend zur Krasnopolska!“ sagt Magna so geschäftsmässig, als handle es sich um ein Billett zum Zirkus Ciniselli. „Du wirst doch wissen, wer die Krasnopolska ist! Die Kinder hier nebenan im Kronsfindelhaus wissen es! Ach so — du kommst aus dem Ausland! Also Jesse Krasnopolska oder, wie sie sich jetzt nennt, Hesia Krasnopolska, stammt aus dem Kaiserlichen Ballett, aber seit Jahr und Tag tanzt sie nicht mehr, sondern ist die Mätresse des Grossfürsten Oleg. Deswegen ist die Grossfürstin ja ewig in Deutschland bei ihren Eltern. Sie langweilt ihn. Die Krasnopolska ist entschieden amüsanter!“

      Meine Base behandelt diese russische Angelegenheit so rein sachlich wie Papa einen Fall von Influenza. Nur ihre Lippen sind dabei verächtlich gekräuselt. Ich forsche ängstlich:

      „ . . . und diese Krasnopolska besitzt Einfluss auf den Grossfürsten?“

      „Der Grossfürst kommandiert — ich weiss nicht wie viele Regimenter!“ sagt Magne. „Aber wenn die Krasnopolska ihm ihre Sofakissen an den Kopf wirft, so flieht er!“

      „ . . .und du glaubst, sie würde etwas für mich tun?“

      „ . . . wo dein Vater doch so einflussreich in Petersburg ist!“ Meine Cousine lächelt so nachsichtig, als sei ich ein kleines Kind. „Dein Vater erweist doch der Krasnopolska dann auch schon mal wieder einen Gefallen! Die beiden verstehen sich schon!“

      Ja . . . Papa kennt die Welt . . .

      „Die Krasnopolska ist ja so durchtrieben! Die weiss sicher Rat!“ beginnt meine blonde Base wieder, immer mit der gleichen objektiven Ruhe. „Sie wohnt nicht weit von hier in der Millionaja! Jeder Fuhrmann kennt das kleine Palais. Du wirst ihr dort bei ihrer Empfangsstunde hübsch die Hand küssen!“

      „Hält sie einen Salon?“

      „Es ist kein Salon. Es ist eine Menagerie! Du triffst dort die unmöglichsten Menschen! Fahre nur um fünf Uhr dorthin!“

      „Mit einem Brief von dir?“

      „Wie alt bist du eigentlich? Derlei schriftlich? Bis du hinkommst, ist die Krasnopolska völlig über die Affäre orientiert!“

      „Durch wen?“

      „Durch mich!“ sagt Magne Casparson gottergeben und steht auf. „Ich habe schon ein paarmal mit ihr über derlei Dinge vertraulich reden müssen! Man kann sehr leicht mit ihr verhandeln! Geh nun, Vetter! Danke mir nicht! Ich muss mich fertigmachen!“

      Ich setze mich draussen in meine Droschke. Am Strassenportal des Vorhofs brüllt der Schweizer den Iswoschtschik an:

      „Weiche aus, du Dorfteufel!“

      Ein Zweigespann schiesst in rasendem Trab die Morskaja entlang. Der Federbusch eines Leibjägers flatter auf dem Bock. Im offenen Innern sitzen zwei Offiziere. Ich erkenne in dem finsteren, bärtigen General zur Rechten den Grossfürsten Oleg Igorowitsch selbst. Er kommt aus Gatschina zurück. Er weiss, warum er vom Bahnhof her wie ein Rasender durch die Strassen von Petersbrug jagt. So rasch handhabt kein Attentäter die Waffe . . .

      Ein Attentäter mit meinem Pass . . . Der Pass . . . der Pass . . . Lakaientross wimmelt um den Grossfürsten Oleg. Er steigt hastig mit seinem Adjutanten aus und tritt eiligen Schritts in sein Palais. Ob seine Freundin mir helfen wird? Aber noch ist es zu früh. Ich befehle dem Iswoschtschik, mich in Petersburg herumzufahren, Wir durchqueren die Inseln bis zu den schon halb verlassenen Sommerdatschen hinaus. Wir zuckeln nach der Wiborger Seite, wohin sonst nie ein Mensch kommt. Wir kehren in die Petersbrudskaja zurück. Ich sehe Petersburg wie ein Fremder — die breite Newa — die unzähligen Paläste — die unermesslichen Plätze. Reisenhaft ist das alles, im Vergleich mit dem europäischen Westen . . . Endlich ist es fünf, und ich halte vor dem Krasnopolskaschen Palais in der Millionaja.

      Das Palais duckt sich, klein und bescheiden, schräg gegenüber der Kaserne der Preobraschenzen, zwischen den majestätischen Prunkbauten, die eine Stunde weit die Newa säumen. Ich trete ein, hämmernden Herzens be idem Gedanken, nun gleich der schönen Frau gegenüberzustehen, die heute mein Schicksal ist . . .

      Ein Schwarm dienstbarer Tataren empfängt mich, lautlos über die Afghanenteppiche des Vorsalls huschend. Es ist ganzes Familien-Artel: Greise, Männer, Knaben, alle in Weissseidenen Kaftanen mit purpurner Gürtelschnur. Tataren? Ich begreife: bei deisen schlitzäugigen Moslemin ist man vor Attentaten sicher! Der Grossfürst geht doch hier Tag und nacht, unbewacht, unbemerkt, ein und aus . . .

      Das zweite Merkwürdige: ein hebräischer kammerdiener in unauffälliger, schwarzer, wie in einem Londoner Herrenklub abgelegter Kleidung. Er schlägt die Portiere zu den Salons vor mir zurück. Er ist jung noch und bleich. Er lächelt mich rätselhaft, still tröstend, an, als wisse er schon Bescheid.

      Im ersten Raum liegt ein dicker Herr rücklings lang auf dem Teppich und runzelt, in angestrengtem Nachdenken, die Stirn bis in die Glatze. Ich steige über ihn weg, an einem Perser in schwarzem Schossrock vorbei, auf den ein paar Russen wild und gedämpft einreden. Am Fenster steht lässig ein junger Mann und zeigt, die Hände in den Hosentaschen,


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