Zwei Jahre Ferien. Jules Verne
Читать онлайн книгу.wieder. »Die Yacht ist fest gebaut …! Der Strand ist nicht mehr fern …! Wartet nur, wir werden den Strand schon erreichen!«
»Und warum sollen wir warten?« fragte Doniphan.
»Ja … Warum denn …?« setzte ein anderer, zwölfjähriger Knabe, Wilcox mit Namen, hinzu. »Doniphan hat recht. Warum denn warten?«
»Weil der Seegang noch zu schwer ist und uns auf die Felsen schleudern würde«, erwiderte Briant.
»Und wenn die Yacht nun in Stücke geht …?« rief ein dritter Knabe, namens Webb, der mit Wilcox etwa gleichaltrig war.
»Ich glaube nicht, dass das zu befürchten ist«, antwortete Briant, »mindestens nicht mehr, wenn die Ebbe eintritt. Sobald das Wasser sich soweit zurückgezogen hat, wie der Sturm das zulässt, werden wir an unsere Rettung gehen!«
Briant hatte völlig recht. Obwohl die Gezeiten im Stillen Ozean verhältnismäßig schwach auftreten, so können sie doch zwischen Flut und Ebbe eine nicht unbeträchtliche Verschiedenheit des Wasserstandes hervorbringen. Es war also von Vorteil, einige Stunden zu warten, zumal wenn dann auch der Wind abflaute. Vielleicht legte die Ebbe einen Teil der Klippen trocken; dann war es leichter, den Schoner zu verlassen und die letzte Viertelmeile bis zum Strand zu überwinden.
So vernünftig dieser Rat indes erschien, zeigten sich Doniphan und zwei oder drei andere doch gar nicht geneigt, demselben Folge zu geben. Sie traten auf dem Vorderdeck zusammen und sprachen gedämpften Tones miteinander. Es trat schon klar zutage, dass Doniphan, Wilcox, Webb und ein anderer Knabe, namens Cross, keine Lust hatten, sich mit Briant zu verständigen. Während der langen Fahrt des »Sloughi« leisteten sie ihm noch Gehorsam, weil Briant, wie erwähnt, einige seemännische Erfahrung besaß. Sie hegten dabei aber stets den Gedanken, sofort nach dem Wiederbetreten eines Landes sich ihre Freiheit des Handelns zu wahren — vor allen Doniphan, der sich durch genossenen Unterricht und natürliche Veranlagung sowohl Briant wie allen seinen Kameraden überlegen dünkte. Diese Eifersucht Doniphans gegen Briant bestand übrigens schon seit langer Zeit, und schon weil letzterer von Geburt Franzose war, empfanden junge Engländer wenig Neigung, sich seiner Oberherrschaft zu fügen.
Es lag also die Befürchtung nahe, dass diese Umstände den Ernst der ohnehin beunruhigenden Lage noch verschlimmern könnten.
Inzwischen betrachteten Doniphan, Wilcox, Cross und Webb das schäumende, von Wirbeln aufgeregte und von Strömungen hingerissene Wasser, welches freilich schwer zu überwinden schien. Der geübteste Schwimmer hätte der Brandung des zurücksinkenden Meeres, welches der Sturm von rückwärts packte, nicht zu widerstehen vermocht. Der Ratschlag, einige Stunden zu warten, rechtfertigte sich also von selbst. Doniphan und seine Kameraden mussten das endlich einsehen, und so kehrten sie wieder nach dem Hinterdeck zurück, wo die Kleinen sich aufhielten.
Da sagte Briant zu Gordon und einigen anderen, die ihn umstanden:
»Wir dürfen uns auf keinen Fall trennen …! Bleiben wir zusammen, oder wir sind verloren!«
»Du nimmst dir doch nicht heraus, uns Vorschriften machen zu wollen?« rief Doniphan, der jene Worte verstanden hatte.
»Ich nehme mir gar nichts heraus«, antwortete Briant, »und verlange nichts, als dass wir zum Heile aller vereinigt handeln.«
»Briant hat recht«, erklärte Gordon, ein ernster, schweigsamer Knabe, der nie sprach, ohne seine Worte reiflich erwogen zu haben.
»Ja …! Ja …!« riefen einzelne der Kleinen, welche eine Art geheimer Instinkt trieb, sich an Briant anzuschließen.
Doniphan erwiderte nichts mehr; doch er und seine Kameraden hielten sich abseits in Erwartung der Stunde, wo zur Rettung geschritten werden sollte.
Doch welches Land lag eigentlich vor ihnen? Gehörte es zu einer der Inseln des Stillen Ozeans oder zu einem Festland? Diese Frage musste vorläufig offenbleiben, da der »Sloughi« sich viel zu nahe dem Ufer befand, um einen hinreichenden Gesichtskreis überblicken zu können. Seine hohle, eine geräumige Bucht bildende Masse lief in zwei Vorgebirge aus — das eine ziemlich hoch und nach Norden zu scharf abgeschnitten, das andere in einer nach Süden vorgestreckten Spitze endigend. Vergebens suchte aber Briant mit einem der an Bord befindlichen Fernrohre zu erkennen, ob das Meer jenseits dieser Vorberge die Uferlinien einer Insel badete.
Im Fall dieses Land nämlich eine Insel war, entstand die ernste Frage, wie man diese wieder verlassen könne, wenn es sich als unmöglich erwies, den Schoner wieder flottzumachen, den die nächste Flut schon dadurch, dass sie ihn auf den Klippen hin und her warf, elend zertrümmern musste. Und war diese Insel obendrein unbewohnt — solche gibt es im Stillen Ozean gar viele —, wie sollten auf sich selbst angewiesene Kinder, die nichts besaßen, als was ihnen vielleicht von den Vorräten der Yacht zu bergen gelang, sich die notwendigsten Lebensbedürfnisse verschaffen?
Auf festem Land dagegen hätte sich die Aussicht auf Rettung entschieden verbessert, weil dieses Festland kein anderes als Südamerika sein konnte. Da mussten sie, auf dem Gebiet von Chile oder Bolivien, jedenfalls Hilfe finden und wenn auch nicht sofort, so doch wenige Tage nach stattgehabter Landung. Freilich waren auf diesen Nachbargebieten der Pampas mancherlei schlimme Begegnungen zu fürchten — jetzt handelte es sich aber einzig darum, überhaupt erst das Land zu erreichen.
Die Witterung war jetzt klar genug geworden, um alle Einzelheiten desselben zu erkennen, und deutlich unterschied man das Vorland des Strandes, das hohe, diesen im Hintergrund einrahmende Ufer, nebst verschiedenen, auf letzterem zerstreuten Baumgruppen. Briant erkannte sogar die Mündung eines Rio rechts am Ufer.
Wenn der Anblick dieser Küste auch nichts besonders Anziehendes bot, so wies doch der grüne Vorhang derselben auf eine gewisse Fruchtbarkeit hin, welche der der Länder unter mittlerer Breite zu entsprechen schien. Voraussichtlich zeigte die Vegetation jenseits der Uferhöhe, wo sie Schutz vor den Seewinden und gewiss noch günstigeren Boden fand, eher eine üppige Entwicklung.
Bewohnt schien der sichtbare Teil des Ufers nicht zu sein, wenigstens bemerkte man hier kein Haus und keine Hütte, nicht einmal an der Mündung des Rios. Vielleicht wohnten die Eingeborenen, wenn es solche gab, mit Vorliebe mehr im Innern des Landes, wo sie dem heftigen Ansturm