Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Tag. Sie erinnerte sich an »Phädra« und gedachte zweifellos jener vergifteten Liebe, welche die Ristori zur Darstellung gebracht. Und um den jungen Mann nicht mehr in ihrem Hause zu sehen, um für alle Zeiten einen Abgrund der Schmach und der Schande zwischen Vater und Sohn zu schaffen, zwang sie ihren Gatten von der Blutschande zu erfahren, erzählte sie ihm, daß Maxime ihr seit langer Zeit nachgestellt und an dem Tage, da Saccard sie mit ihm überraschte, ihr Gewalt habe anthun wollen. Saccard war im höchsten Grade aufgebracht über die Hartnäckigkeit, mit welcher sie ihm die Augen öffnete. Er war gezwungen, mit seinem Sohne zu brechen, jeden Verkehr mit ihm einzustellen. Nun bezog der junge Wittwer, den die Mitgift seiner Frau zu einem reichen Mann gemacht, ein kleines Hôtel in der Avenue de l'Impèratrice. Er hatte auf sein Amt im Staatsrath verzichtet und hielt einen Rennstall. Dies bildete den letzten Triumph Renée's. Sie hatte sich gerächt und den beiden Männern die eigene Infamie ins Gesicht geschleudert; sie sagte sich, daß dieselben nicht mehr über sie spotten werden, während sie wie zwei Kameraden mit einander verkehren würden.
Als Renée von allen Personen, denen ihre Zärtlichkeit gegolten, verlassen war, trat ein Zeitpunkt ein, in welchem sie nur mehr ihre Kammerdienerin liebte. Allmälig faßte sie eine mütterliche Zuneigung für Céleste. Vielleicht rief ihr die Gegenwart dieses Mädchens, das allein von der Liebe Maxime's in ihrer Nähe zurückgeblieben, die für immer entschwundenen Stunden des Glückes ins Gedächtniß zurück. Vielleicht auch war sie nur gerührt durch die Treue dieser Dienerin, dieses wackeren Herzens, dessen ruhige Anhänglichkeit nichts zu erschüttern vermochte. Von Gewissensbissen gequält, dankte sie ihr dafür, daß sie trotz aller Schmach bei ihr ausharrte und sich nicht von Abscheu erfüllt, von ihr wendete; sie bildete sich ein, es bedürfe eines ganzen entsagungsvollen Lebens, um die Ruhe der Kammerdienerin angesichts der Blutschande, ihre eisigen Hände, ihre stille, achtungsvolle Dienstfertigkeit richtig würdigen zu können. Und die Ergebenheit ihrer Magd machte sie umso glücklicher, als sie wußte, daß dieselbe rechtschaffen und sparsam sei, weder ein Laster noch einen Liebhaber besitze.
Zuweilen, wenn die Traurigkeit sie übermannte, sagte sie:
»Du wirst mir die Augen zudrücken, meine Tochter.«
Céleste gab keine Antwort, sondern lächelte nur so eigenthümlich. Und eines Morgens theilte sie ihrer Herrin ruhig mit, daß sie den Dienst verlassen und in ihre Heimath zurückkehren werde. Renée war wie niedergeschmettert, als wäre ihr ein großes Unglück zugestoßen. Sie versprach und bestürmte die Dienerin mit Fragen. Weshalb ging sie von ihr, nachdem sie so gut mit einander auskamen? Sie wollte ihren Lohn verdoppeln.
Die Zofe aber hatte auf alle guten, freundlichen Worte nur ein Kopfschütteln zur Antwort.
»Und wenn Sie mir alle Schätze der Welt anböten, gnädige Frau,« erwiderte sie schließlich, »so bliebe ich keine Woche länger. Sie kennen mich eben nicht. Seit acht Jahren bin ich in Ihren Diensten, nicht wahr? Am ersten Tage sagte ich mir bereits, daß ich an dem Tage in meine Heimath zurückkehren werde, da ich mir fünftausend Francs erspart haben werde; ich würde ein Haus in Lagache ankaufen und dort ruhig und glücklich leben ... Dieses Gelübde, welches ich mir selbst gethan, will ich nun erfüllen. Und seit gestern habe ich mit meinem Lohne, den Sie mir ausbezahlten, die fünftausend Francs beisammen.«
Ein kalter Schauer beschlich Renée's Herz. Sie sah Céleste hinter sich und Maxime, während sie einander umschlungen hielten; sie sah sie mit ihrer Gleichgiltigkeit, ihrer unerschütterlichen Ruhe, während sie an ihre fünftausend Francs dachte. Dessenungeachtet versuchte sie sie zurückzuhalten, entsetzt bei dem Gedanken an die Leere, in welcher sie fortan leben sollte und trotz Allem bemüht, diese halsstarrige Person, die sie für ergeben gehalten und die nur eigennützig gewesen, an sich zu fesseln. Die aber schüttelte lächelnd den Kopf und erwiderte:
»Nein, nein, das ist nicht möglich ... Ich würde damit meine Mutter von mir weisen. Ich werde zwei Kühe kaufen und vielleicht sogar einen kleinen Kramhandel beginnen ... Bei uns ist's sehr hübsch und darum möchte ich, daß Sie einmal zu uns kämen. Wir wohnen in der Nähe von Caën und ich werde Ihnen die Adresse sagen.«
Nun drang Renée nicht weiter in sie. Allein geblieben weinte sie heiße Thränen und am nächsten Tage wollte sie aus krankhafter Laune Céleste in ihrem eigenen Wagen nach dem West-Bahnhofe bringen. Sie überließ ihr eine ihrer Reisedecken, machte ihr ein Geldgeschenk und war um sie bemüht wie eine Mutter, deren Tochter eine gefährliche und langwierige Reise unternimmt. Im Wagen hielt sie die feuchten Augen fortwährend auf sie gerichtet und Céleste plauderte, berichtete, wie sehr sie sich darüber freue, daß sie nunmehr nach Hause gehen könne. Kühner werdend, sprach sie mit weniger Zurückhaltung; ja, sie ertheilte ihrer Gebieterin sogar Ratschläge.
»Ich, gnädige Frau, hätte das Leben nicht so aufgefaßt wie Sie. Gar oft fragte ich mich im Stillen, wenn ich Sie mit Herrn Maxime sah: Mein Gott, wie kann man nur der Männer wegen so dumm sein ... Das hat immer ein schlimmes Ende... Ja, ich war immer so mißtrauisch!...«
Sie lachte und lehnte sich in die Kissen zurück.
»Meine blanken Thaler hätten es zu bereuen gehabt!« fuhr sie fort; »und heute könnte ich mir die Augen aus dem Kopfe weinen. Darum auch ballte ich stets beide Fäuste, wenn sich mir ein Mann näherte ... Ich getraute mich niemals es Ihnen zu sagen; außerdem ging mich die Sache ja nichts an. Sie waren vollkommen frei und ich hatte mich blos darum zu kümmern, mein Geld auf rechtschaffene Weise zu erwerben.«
Auf dem Bahnhofe angelangt wollte Renée für sie zahlen und löste eine Karte erster Klasse. Da sie etwas zu früh gekommen waren, nahm sie Céleste beiseite, drückte ihre Hände und wiederholte immer wieder:
»Geben Sie Acht auf sich, pflegen Sie sich, meine gute Céleste.«
Diese duldete schweigend die Liebkosungen und angesichts der thränenüberströmten Augen ihrer Gebieterin schien sie glücklich und heiter. Renée sprach von der Vergangenheit, als die Andere mit einem Male sagte:
»Ich habe ganz vergessen; ich erzählte Ihnen nicht die Geschichte von Baptiste, dem Kammerdiener des Herrn, wie? ... Man wollte Ihnen gewiß nichts sagen ...«
Die junge Frau gestand, daß sie wirklich nichts wisse.
»Sie erinnern sich doch seiner würdevollen Miene, seiner verächtlichen Blicke, von denen Sie selbst einmal sprachen. ... Nun, das Ganze war nichts als Komödie ... Er liebte die Frauen nicht, kam niemals ins Gesindezimmer, wenn wir dort waren und er behauptete sogar, – heute kann ich es Ihnen schon sagen – es sei zu ekelhaft im Salon mit den vielen ausgeschnittenen Kleidern der Damen. Ich will's gerne glauben, daß er die Frauen nicht leiden mochte!«
Damit neigte sie sich an das Ohr Renée's und während diese bei den Worten, die sie ihr zuflüsterte, tief erröthete, behielt sie selbst ihre rechtschaffene, ruhige Miene bei.
»Als der neue Stallknecht,« fuhr sie darauf fort, »dem Herrn Alles mitgetheilt hatte, zog es der Herr vor, Baptiste zu entlassen, statt ihn der Behörde zu übergeben. Es scheint, daß diese gräßlichen Dinge schon seit Jahren in den Ställen getrieben wurden ... Und dabei gab sich der Bengel den Anschein, als liebte er die Pferde! Ja, Possen! Die Stallburschen liebte er, nicht die Pferde.«
Das Läuten der Glocke unterbrach sie. Schnell raffte sie die verschiedenen Bündel zusammen, von denen sie sich nicht trennen wollte, ließ sich küssen und schritt davon, ohne sich umzuwenden.
Renée blieb im Bahnhofe, bis der Pfiff der Lokomotive ertönte. Und als der Zug davonrollte, wußte sie in ihrer Verzweiflung nicht, was sie thun sollte; die nun folgenden Tage dehnten sich vor ihr aus, endlos und leer wie dieser große Saal, in welchem sie allein zurückgeblieben. Sie stieg wieder in ihren Wagen und befahl dem Kutscher, nach Hause zu fahren. Doch unterwegs besann sie sich; sie fürchtete sich vor ihrem Zimmer, vor der Langeweile, die ihrer harrte und sie fühlte nicht einmal den Muth in sich, nach Hause zu gehen und die Toilette zu ihrer gewohnten Fahrt ins Bois zu wechseln. Sie empfand das Bedürfniß nach Menschen und Sonnenschein.
Sie befahl dem Kutscher, ins Bois zu fahren.
Es war vier Uhr und das Bois erwachte aus seiner dumpfen Nachmittagsruhe. Längs der Avenue