Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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      Er lächelte beinahe und nur seine Hände zitterten noch ein wenig. Er machte einige Schritte, worauf er hinzufügte:

      »Man erstickt ja hier. Welch' eine Idee, in diesem Dampfbade einen Eurer tollen Streiche auszuhecken!«

      Und sich zu Maxime wendend, der überrascht durch den friedfertigen Ton, welchen sein Vater anschlug, den Kopf emporgehoben hatte, nahm er von Neuem auf:

      »Vorwärts, komm'! Ich sah Dich hierher gehen und wollte Dich abholen, damit Du Dich von Herrn von Mareuil und seiner Tochter verabschiedest.«

      Damit entfernten sich die beiden Männer mit einander plaudernd. Renée blieb allein in dem Ankleidezimmer zurück und starrte auf die gähnende Oeffnung der kleinen Treppe, durch welche sie soeben die Schultern des Vaters und des Sohnes verschwinden gesehen. Sie vermochte die Augen von dieser Oeffnung nicht abzuwenden. Ei! sie hatten sich ruhig, unter freundschaftlichem Geplauder entfernt. Die beiden Männer hatten sich nicht entzweit. Angestrengt lauschte sie, als wollte sie das Geräusch zweier in wildem Ringen über die Treppe kollernder Körper vernehmen. Doch nichts regte sich. In der Dunkelheit ward nichts weiter hörbar, als die wiegenden Klänge der Musik; ja, sie meinte sogar von Weitem das Lachen der Marquise, die helle Stimme des Herrn von Saffré zu vernehmen. Das Drama war also zu Ende? Ihre Schuld, die heißen Küsse in dem grau-rosafarbenen Bette, die wilden Nächte im Treibhause, – all' diese fluchwürdige Liebe, die sie seit Monaten verzehrte, nahm ein so alltägliches, gemeines Ende? Ihr Gatte wußte Alles und hob nicht einmal die Hand gegen sie! Und diese Stille rings um sie her, diese Stille, in welcher blos die Klänge des endlosen Walzers vernehmbar wurden, erschreckte sie mehr als das Getöse eines Meuchelmordes. Sie fürchtete sich vor dieser Ruhe, vor diesem verschwiegenen, lieblichen Gemach, welches von dem Dufte der Liebe erfüllt war.

      Da erblickte sie sich in dem hohen Spiegel des Schrankes. Sie trat näher, ganz erstaunt darob, daß sie sich sah, und dabei vergaß sie an ihren Gatten, an Maxime, da die fremde Person, die sie da vor sich sah, sie völlig in Anspruch nahm. Der Wahnsinn bemächtigte sich ihrer immer mehr. Ihre gelben Haare, die sie an den Schläfen und am Nacken zurückgestrichen hatte, dünkten ihr eine Nacktheit, eine Unzüchtigkeit zu sein. Die Falte auf ihrer Stirne grub sich so tief, daß sie sich wie ein Schatten, wie die dünne, bläuliche Spur eines Peitschenhiebes über ihren Augen hinzog. Wer hatte sie doch derart gezeichnet? Ihr Gatte hatte ja nicht einmal die Hand gegen sie erhoben. Sie staunte über die Blässe, über die Farblosigkeit ihrer Lippen und ihre kurzsichtigen Augen schienen todt zu sein. Wie alt sie war! Sie neigte den Kopf und als sie sich in ihrem Tricot, in ihrer leichten Gazeblouse erblickte, betrachtete sie sich plötzlich erröthend mit gesenkten Wimpern. Wer hatte sie denn derart entkleidet? was wollte sie denn in diesem schamlosen Anzug einer Dirne, die sich bis zum Bauch entblößt? Sie wußte es nicht mehr. Sie betrachtete ihre Schenkel, welche das Tricot prall umspannte, ihre Hüften, deren volle Linien sie unter der dünnen Gaze verfolgte, ihre üppige Büste und eine tiefe Scham überkam sie, die Verachtung ihrer selbst erfüllte sie mit einem dumpfen Zorn gegen Jene, die es duldeten, daß sie so unter die Leute ging, blos mit dünnen Goldspangen an den Knöcheln und Handgelenken, die ihre Blöße verdecken sollten.

      Und wie sie da mit der Beharrlichkeit eines allmälig sich verwirrenden Geistes darüber nachgrübelte, was sie denn ganz nackt vor diesem Spiegel wolle, sah sie sich mit einem Male in ihre Kindheit zurückversetzt, als siebenjähriges Kind in den ernsten Räumen des Hôtels Béraud. Sie erinnerte sich eines Tages, da Tante Elisabeth sie Beide, sie und ihre Schwester Christine, in reizende, grauwollene Kleidchen mit kleinen, rothen Vierecken gekleidet hatte. Es war gerade zu Weihnachten gewesen. Wie sehr hatten sie sich dieser gleichen Kleider gefreut! Die Tante verzog sie und schenkte ihnen sogar ein Arm- und Halsband aus Korallen. Die Aermel waren lang, das Leibchen reichte bis an's Kinn und der Schmuck lag ganz auf dem Zeug, was ihnen sehr gefiel. Renée erinnerte sich, daß auch ihr Vater zugegen gewesen, der mit seiner traurigen Miene gelächelt hatte. An diesem Tage waren sie, ihre Schwester und sie, im Kinderzimmer auf- und abgeschritten wie zwei große Personen, ohne zu spielen, um sich ja nicht zu beschmutzen. Im Kloster zur »Heimsuchung Maria« aber hatten sie ihre Kolleginen mit ihrem »Pierrotkostüm« geneckt, das ihr bis zu den Fingerspitzen reichte und die Ohren verdeckte, so daß sie während des Vortrages zu weinen begonnen. Und damit man sich nicht mehr über sie lustig mache, hatte sie während der Schulpause die Aermel emporgeschürzt und den Kragen des Leibchens eingeschlagen. Das Korallenhalsband und Bracelet däuchten ihr nun doppelt so schön auf der weißen Haut des Nackens und der Arme. Hatte sie an jenem Tage begonnen, sich nackt zu gefallen?

      Ihr ganzes Leben zog an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie sah den langen Rausch, dieses Toben des Goldes und des Fleisches, das in ihr immer ärger geworden, das ihr bis zu den Knieen, dann bis zum Bauche und schließlich bis zu den Lippen reichte. Und nun fühlte sie, wie die Fluth über sie hereinbrach und wild pochend an ihr Gehirn hämmerte. Es war das einem schlechten Safte vergleichbar, der ihre Glieder ermattete, ihr Herz mit den Auswüchsen einer schmachvollen Leidenschaft erfüllte und in ihrem Geiste krankhafte, thierische Begierden zeitigte. Dieser Saft hatte seine Herrschaft ausgeübt, wo sie sich auch befinden mochte, in den Kissen ihres Wagens, in anderen Kissen ebenfalls, auf all' diesem Sammt und dieser Seide, welche sie seit ihrer Verheirathung umgaben. Die Schritte Anderer mußten diesen Giftkeim an diesem Orte zurückgelassen haben, welcher sich immer mächtiger in ihren Adern entfaltete. Sie erinnerte sich ganz deutlich an ihre Kindheit. So lange sie klein war, hatte sich nur Neugierde oder Vorwitzigkeit in ihr geregt. Selbst später, nach jener Vergewaltigung, welche sie in die Arme des Schlechten gestoßen, hatte sie soviel Schmach und Schande nicht angestrebt. Gewiß, es wäre ein besseres Wesen aus ihr geworden, wenn sie sittsam bei Tante Elisabeth geblieben wäre. Und deutlich vernahm sie das Klappern der Stricknadeln der Tante, während sie starr in den Spiegel blickte, um in dieser friedlichen Zukunft zu lesen, die ihr entgangen war. Sie sah aber nichts Anderes, als ihre rosigen Schenkel, ihre rosigen Hüften, dieses fremde Weib in rosa Seide, das sie vor sich hatte und das für die Liebe der Puppen und Hampelmänner geschaffen schien. So weit war es mit ihr gekommen; sie war eine große Puppe geworden, deren zerrissene Brust blos noch einen dünnen, schwachen Ton von sich gab. Und angesichts der Scheußlichkeiten ihres Lebens machte sich das Blut ihres Vaters, dieses spießbürgerliche Blut, welches sie in ihren schweren Stunden so erbarmungslos quälte, geltend und empörte sich in ihr. Sie, die bei dem Gedanken an die Hölle stets von Zittern erfaßt worden, hätte ihr Leben eigentlich in den dunkeln Räumen des Hôtels Béraud verbringen müssen. Wer hatte sie denn ganz nackt entkleidet?

      Und in dem bläulichen Schatten des Spiegels glaubte sie die Gesichter Saccard's und Maxime's erscheinen zu sehen. Saccard mit schwärzlichem, grinsendem Gesicht, sah eisenfarben aus, sein Lachen erinnerte an eine Beißzange auf dünnen, kleinen Beinen. Dieser Mann bedeutete einen Willen. Seit zehn Jahren sah sie ihn am Hochofen stehen, vom Glanze der glühenden Metalle bestrahlt, mit verbranntem Gesicht, keuchend, stets in Bewegung und Hämmer schwingend, die seine Kraft um ein Zwanzigfaches überstiegen, auf die Gefahr hin, sich selbst mit denselben zu zerschmettern. Nunmehr verstand sie ihn und er erschien ihr groß in seinen übermenschlichen Anstrengungen, in seinen Schurkenstreichen, die er in unerhörtem Maße betrieb, in seinem unablässigen Ringen nach einem ungeheuren Vermögen. Sie sah ihn über alle Hindernisse hinwegsetzen, sich im Kothe wälzen und sich nicht einmal Zeit zum Reinigen nehmen, nur um je früher anzulangen, ohne daß er unterwegs angehalten hätte, um sich des Gewonnenen zu freuen. Hinter den breiten Schultern des Vaters tauchte jetzt der hübsche Blondkopf Maxime's auf, mit seinem einfältigen Mädchenlachen, seinen ausdruckslosen Augen einer Metze, die sich niemals zu Boden senkten und dem Haartheil in der Mitte der Stirne, welches den weißen Schädel sehen ließ. Er machte sich lustig über Saccard, weil sich derselbe so unsägliche Mühe gab, die Reichthümer zu erwerben, welche er mit so herrlicher Lässigkeit verzehrte. Er war ein Ausgehaltener. Seine langen, weichen Hände verriethen sein Laster, sein schlanker Leib hatte die schlaffe Haltung einer gesättigten Frau. In diesem ganzen feigen, widerstandslosen Wesen, durch dessen Adern das Laster sanft wie laues Wasser rollte, verrieth sich nicht einmal der Schimmer des nach dem Schlechten trachtenden Verlangens. Und als Renée die beiden Schatten aus dem Spiegel treten sah, wich sie einen Schritt zurück, denn sie sah, daß Saccard sie wie einen Einsatz, wie ein Betriebsmittel ausgesetzt hatte und daß Maxime zugegen gewesen, um den aus der


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