Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.den Speisesaal. Derselbe war leer. Von den geplünderten Speiseschränken, den benützten Tellern und Flaschen umgeben saßen Maxime und Luise an der Ecke eines Tisches bei einander und soupirten ruhig. Sie schienen sich sehr behaglich zu fühlen und lachten inmitten dieser Unordnung, dieser beschmutzten Gläser, dieser von Fett triefenden Teller und den Ueberresten, die noch warm waren von der Gier der weißbehandschuhten Gäste. Die beiden jungen Leute begnügten sich, die Brosamen wegzuputzen. Baptiste dagegen schritt ernst und würdevoll neben dem Tische auf und ab, ohne anscheinend den Raum zu beachten, in welchem ein Rudel Wölfe gehaust zu haben schien. Er wartete blos, bis die Diener etwas Ordnung geschafft haben würden.
Maxime hatte noch ein ganz erträgliches Souper zusammengestellt. Luise schwärmte für Mandelkuchen mit Pimpernüssen, von welchen noch ein Teller voll in einem Schrank entdeckt wurde. Vor sich hatten sie drei Flaschen Champagner, welche bereits angebrochen waren.
»Papa hat sich vielleicht schon entfernt,« sagte das junge Mädchen.
»Umso besser,« erwiderte Maxime; »dann werde ich Sie nach Hause begleiten.«
Und da sie über diese Worte lachte, fügte er hinzu:
»Sie wissen doch, daß man durchaus will, ich möge Sie heirathen. Das ist kein Scherz mehr, sondern vollster Ernst ... Was werden wir denn thun, wenn wir verheirathet sein werden?«
»Dasselbe was die Anderen thun!«
Die Worte waren ihr etwas zu rasch entschlüpft und so fügte sie lebhaft hinzu, gleichsam als wollte sie dieselben vergessen machen:
»Wir werden nach Italien gehen, was für meine Brust sehr gut sein wird ... denn ich bin sehr krank ... Ach, mein armer Maxime, Sie werden eine absonderliche Frau haben! Ich habe nicht für zwei Sous Fett am Leibe.«
Sie lächelte traurig trotz ihres kecken Pagenkostüms und ein trockener Husten färbte ihre Wangen roth.
»Das kommt vom Mandelkuchen,« sagte sie. »Zu Hause läßt man mich keinen essen ... Reichen Sie mir den Teller, damit ich den Rest in meine Taschen stecken könne.«
Sie hatte gerade den Teller geleert, als Renée eintrat. Sie schritt sofort auf Maxime zu, wobei es ihr eine unerhörte Anstrengung kostete, nicht zu fluchen oder nicht mit den Fäusten über diese Buckelige herzufallen, die sie in so traulicher Unterhaltung mit ihrem Liebhaber antraf.
»Ich will mit Dir sprechen,« stammelte sie mit dumpfer Stimme.
Von Furcht erfaßt zögerte er, da er sich vor einer Unterredung ängstigte.
»Mit Dir allein und zwar sofort,« drängte Renée.
»Gehen Sie doch, Maxime,« sagte Luise mit ihrem unerklärlichen Blick. »Und schicken Sie mir gleichzeitig meinen Vater, den ich immer aus den Augen verliere, wenn wir in Gesellschaft sind.«
Er erhob sich und versuchte die junge Frau noch im Speisesaale aufzuhalten, indem er sie fragte, was sie ihm denn so Dringendes mitzutheilen habe. Sie aber sagte mit aufeinander gepreßten Zähnen:
»Folge mir oder ich sage Alles in Gegenwart der Leute!«
Er wurde sehr bleich und folgte ihr mit dem widerstandslosen Gehorsam eines geprügelten Thieres. Sie glaubte, daß Baptiste sie anblickte; doch was kümmerte sie sich in diesem Augenblick um die klaren, ruhigen Augen dieses Lakaien? An der Thür wurde sie zum dritten Male durch den Kotillon aufgehalten.
»Warte,« murmelte sie; »diese Tölpel wollen noch immer nicht fertig werden.«
Und damit erfaßte sie seine Hand, damit er ihr nicht entschlüpfen könne.
Herr von Saffré placirte den Herzog von Rozan in einer Ecke des Salons auf derselben Seite, auf welcher sich die Thür des Speisesaales befand, mit dem Rücken gegen die Wand. Vor ihm stellte er eine Dame hin, sodann einen Herrn mit dem Rücken gegen den der Dame, hierauf eine zweite Dame vor den Kavalier und so fort paarweise in langer Schlangenlinie. Als er fertig geworden, rief er mit lauter Kommandostimme:
»Vorwärts, meine Damen; Platz für die Kolonnen!«
Dem Befehl entsprechend wurden die Kolonnen gebildet. Die ungeziemende Stellung, welche die Damen innehatten, die sich derart zwischen zwei Männer gedrängt sahen, einen hinter und einen vor sich, trug viel zur Erheiterung der Gesellschaft bei. Die Brüste berührten die Rockaufschläge der Herren, die Beine der Kavaliere verschwanden in den Röcken der Damen und wenn sich die Köpfe lachend bewegten, mußten die Schnurrbarte zur Seite gewendet werden, damit die Dinge nicht bis zum Kusse gediehen. Ein Spaßvogel mochte der ganzen Linie einen leichten Stoß gegeben haben, denn dieselbe schrumpfte etwas zusammen, so daß die schwarzen Beine noch tiefer in den Röcken versanken; man vernahm leises Kreischen und unterdrücktes Gekicher, welches sich gar nicht mehr beruhigen wollte. Man hörte die Baronin von Meinhold sagen: »Aber, mein Herr, Sie erwürgen mich ja; drücken Sie mich nicht so sehr!« und dies war so drollig, entfesselte eine so unbändige Heiterkeit, daß die erschütterten »Kolonnen« schwankten, gegen einander stießen und sich gegenseitig stützen mußten, um nicht zu fallen. Herr von Saffré, der mit erhobenen Händen dastand, um zu klatschen, wartete. Endlich schlug er die Hände zusammen und auf dieses Signal drehte sich jede Person um. Die Paare, die sich einander gegenüber befanden, faßten sich um den Leib und die ganze Linie wirbelte im Walzer davon. Nur der arme Herzog von Rozan stieß mit der Nase gegen die Wand, als er sich umdrehte, was allgemein belacht wurde.
»Komm!« sagte Renée zu Maxime.
Das Orchester spielte noch immer den Walzer. Die weiche Melodie, deren monotoner Rythmus auf die Dauer fade und langweilig wurde, erhöhte noch die Erbitterung der jungen Frau. Sie trat ohne die Hand Maxime's los zu lassen, in den kleinen Salon und ihn zu der in das Ankleidezimmer emporführenden Treppe drängend, gebot sie ihm erstickten Tones:
»Hinauf!«
Sie selbst folgte ihm. In diesem Augenblick langte Frau Sidonie, die erstaunt über das ruhelose Umherirren ihrer Schwägerin durch alle Räume, sich während des ganzen Abends in der Nähe derselben aufhielt, auf dem Perron des Wintergartens an, gerade als die Füße eines Mannes in dem Dunkel der kleinen Treppe verschwanden. Ein fahles Lächeln erhellte ihr wachsbleiches Gesicht und ihren Magiertalar emporraffend, um rascher gehen zu können, suchte sie ihren Bruder auf, wobei sie rücksichtslos eine Kotillonfigur zerstörte und die ihr in den Weg kommenden Diener befragte. Endlich fand sie Saccard allein mit Herrn von Mareuil in einem an den Speisesaal stoßenden Raum, welcher zeitweilig zum Rauchzimmer umgestaltet worden war. Die beiden Väter sprachen über die Mitgift, die einzelnen Punkte des Kontraktes. Als ihm aber seine Schwester einige Worte zugeflüstert hatte, stand Saccard auf, entschuldigte sich flüchtig und verließ das Zimmer.
Im Ankleidekabinet aber herrschte die größte Unordnung. Auf den Stühlen lagen das Kostüm der Nymphe Echo, das zerrissene Tricot, auf der Erde Spitzen und durcheinander geworfene Wäschestücke umher, – Alles was eine Frau, auf die gewartet wird, in ihrer Eile zurückläßt. Von den silbernen und elfenbeinernen Toilettegeräthschaften war an allen Ecken und Enden etwas zu sehen: auf dem Teppich sah man Bürsten und Nagelfeilen und die noch feuchten Tücher die auf den Marmorplatten vergessenen Seifenstücke, die entkorkten Fläschchen verbreiteten einen starken, durchdringenden Geruch, welche den zarten Duft des Frauenleibes verdrängten. Um die weiße Farbe von Armen und Schultern zu entfernen, war die junge Frau nach den lebenden Bildern in die rosa Marmorwanne gestiegen und glitzernde Stellen waren auf der erkalteten Wasserfläche zu sehen.
Maxime strauchelte über ein Schnürleibchen, daß er beinahe gefallen wäre und versuchte zu lachen. Doch zitterte er vor Kälte, als er in das harte Gesicht Renée's blickte. Sie trat auf ihn zu und fragte mit leiser Stimme:
»Du gedenkst also die Buckelige zu heirathen?«
»Aber nicht im Traume,« murmelte er. »Wer hat Dir Das gesagt?«
»Leugne doch nicht; es nützt ja nichts ...«
Er wurde ärgerlich. Sie begann unbequem zu werden und dem wollte er ein Ende machen.
»Nun denn ja, ich heirathe