Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Broden angefüllt hatte. Auch die beiden Unternehmer kehrten von ihrem Feldzuge zurück: Mignon mit einer und Charrier mit zwei Flaschen Champagner; dagegen hatten sie blos zwei Gläser aufzutreiben vermocht. Doch sagten sie, daß das nichts zu bedeuten habe; sie würden aus einem Glase trinken. Auf einem im Hintergrunde des Raumes stehenden kleinen Blumentische nahmen die drei Herren ihr Mahl ein, ohne ihre Handschuhe abzulegen, die von der Keule abgelösten Schnitten auf ihr Brod legend und die Champagnerflaschen unter den Armen haltend. So aufrecht stehend, plauderten sie mit vollem Munde, wobei sie sich ein wenig nach vorn neigten, damit die Abfälle nicht ihre Westen, sondern lieber den Teppich beschmutzten.
Charrier, der mit seinem Weine früher als mit seinem Brode fertig geworden, fragte einen Bedienten, ob er nicht ein Glas Champagner bekommen könnte.
»Warten Sie doch!« versetzte der bestürzte Diener zornig, da er den Kopf verloren und vergessen hatte, daß er sich nicht in der Küche befinde. »Man hat schon dreihundert Flaschen ausgetrunken.«
Inzwischen hatte das Orchester wieder zu spielen begonnen. Man tanzte die damals auf den öffentlichen Bällen sehr beliebte »Kuß-Polka«, bei welcher die Tänzer den Rythmus mit einem ihren Tänzerinen versetzten Kuß markiren mußten. Jetzt erschien Frau von Espanet an der Thür des Speisesaales; ihre Wangen waren geröthet, ihre Haare ein wenig zerzaust und mit reizend schmachtender Bewegung zog sie ihre große Silberrobe nach sich. Man trat gar nicht zur Seite, um sie durchzulassen und auch sie mußte sich mit Hilfe ihrer Ellenbogen einen Weg bahnen. Sie machte zögernd, mit schmollend verzogenen Lippen einen Rundgang um den Tisch, worauf sie geradeaus auf Herrn Hupel de la Noue zuschritt, der sein Mahl beendet hatte und sich mit dem Taschentuche den Mund abtrocknete.
»Sie wären sehr liebenswürdig, mein Herr, wenn Sie mir einen Stuhl beschaffen wollten«, sprach sie mit einem entzückenden Lächeln zu ihm. »Ich habe mich vergebens umgesehen ...«
Der Präfekt grollte der Marquise, seine Galanterie aber verleugnete sich trotzdem nicht. Er beeilte sich, einen Stuhl herbeizuschaffen, auf welchem sich Frau von Espanet niederließ, während er hinter ihr stehen blieb, um sie zu bedienen. Sie wünschte blos einige Krabben mit etwas Butter und einen Fingerhut voll Champagner. Von den hastig schmausenden Männern umgeben, verzehrte sie das Gewünschte langsam, die Hände anmuthig und fein zum Munde führend. Tisch und Stühle waren ausschließlich den Damen vorbehalten; für den Baron Gouraud aber wurde immer eine Ausnahme gemacht und er saß breit in einem bequemen Fauteuil und verzehrte behaglich eine Pastetenschnitte, die man ihm vorgesetzt hatte. Die Marquise eroberte sich neuerdings die Gunst des Präfekten, indem sie ihm sagte, daß sie die künstlerischen Reizungen, welche ihr die Darstellung der »Liebe des schönen Narziß und der Nymphe Echo« bereitet, niemals vergessen werde. Sie erklärte ihm auch in einer ihn völlig zufriedenstellenden Weise, weshalb man beim dritten Bilde nicht auf ihn gewartet: als die Damen nämlich erfahren hatten, daß der Minister zugegen sei, waren sie der Ansicht, es sei nicht schicklich, den Zwischenakt noch länger hinauszudehnen. Schließlich bat sie ihn, Frau Haffner zu holen, die mit Herrn Simpson tanzte, – ein brutaler Mann, wie sie sagte, der ihr sehr mißfiel. Und als Susanne bei ihr war, würdigte sie Herrn Hupel de la Noue keines Blickes mehr.
Von den Herren Toutin-Laroche, von Mareuil und Haffner begleitet, hatte sich Saccard eines Kredenztisches bemächtigt. Die Tafel war voll besetzt und da gerade Herr von Saffré mit Frau Michelin am Arme vorüberkam, hielt er ihn an und bewog die hübsche Brünette, mit ihnen zu halten. Die junge Frau verzehrte allerlei süßes Backwerk und blickte die sie umgebenden fünf Männer aus den hellen Augen lächelnd an. Die Herren neigten sich zu ihr, berührten ihre von Goldfäden durchzogenen Schleier und drängten sie immer dichter an den Kredenztisch, so daß sie bereits an demselben lehnte und so nahm sie aus den Händen aller Herren sanft und schmeichelnd die verschiedenen Mundvorräthe an, mit der verliebten Willigkeit einer Sklavin, die von ihren Gebietern umgeben ist. Herr Michelin dagegen verzehrte am anderen Ende des Gemaches in aller Gemüthsruhe eine treffliche Gänseleberpastete, deren er sich zu bemächtigen vermocht.
Inzwischen trat Frau Sidonie, die seit den ersten Klängen des Orchesters im Ballsaal herumstrich, in den Speisesalon und winkte Saccard mit den Augen zu sich heran.
»Sie tanzt nicht,« sprach sie mit leiser Stimme zu ihm; »und scheint unruhig zu sein. Ich glaube, sie bereitet einen Handstreich vor ... Den Galan konnte ich aber noch nicht entdecken ... Ich will jetzt nur etwas essen und dann wieder auf den Anstand gehen.«
Und stehend wie ein Mann verzehrte sie den Flügel eines Huhnes, den sie sich durch Herrn Michelin, der mit seiner Gänseleber fertig geworden, reichen ließ. Dazu trank sie aus einem großen Champagnerkelche Malaga und nachdem sie sich mit den Fingern die Lippen getrocknet, kehrte sie in den Salon zurück. Die Schleppe ihres Magierin-Kostüms schien bereits allen Staub der Teppiche gesammelt zu haben.
Der Ball wollte nicht mehr recht von der Stelle und auch das Orchester ließ bereits bedenkliche Pausen eintreten, als ein Gemurmel laut wurde: »Einen Kotillon! einen Kotillon!« welches neues Leben in die Tänzer und Blechinstrumente brachte. Aus allen Winkeln des Treibhauses kamen Paare herbei, der Salon füllte sich wie zur ersten Quadrille und inmitten des entstehenden Gewirrs wurde lebhaft verhandelt. Es war das letzte Aufflackern des Balles, gleich einem Lichte, welches dem Erlöschen nahe ist. Die Herren, die nicht tanzten, sahen aus ihren Nischen wohlwollenden Blickes zu, die inmitten des Raumes plaudernde Gruppe wurde immer größer, während die im Speisesaal befindlichen Personen die Hälse reckten, um zu sehen, was es denn gäbe, ohne dabei mit dem Essen aufzuhören.
»Herr von Mussy will nicht,« sagte eine Dame. »Er hat geschworen, den Kotillon nicht anzuführen ... Ach, Herr von Mussy, nur noch einmal, bitte, noch ein einziges Mal ... uns zu Liebe ...«
Der junge Botschaftsattaché aber war nicht umzustimmen. Es sei wirklich unmöglich; er habe es gelobt. Die Enttäuschung war allgemein. Maxime lehnte es auch ab; er sei ganz erschöpft und könne nicht, behauptete er. Herr Hupel de la Noue wagte sich nicht anzubieten; er ließ sich nur bis zur Poesie herab. Eine Dame, die von Herrn Simpson sprach, wurde überschrieen, denn dieser junge Mann war der absonderlichste Kotillonarrangeur, den man sich nur denken konnte. Er hatte die merkwürdigsten und boshaftesten Einfälle und in einem Salon, wo man so unvorsichtig gewesen, ihn zum Kotillonführer zu wählen, erzählte man sich, er habe die Damen gezwungen, über die Stühle zu springen und daß eine seiner beliebtesten Figuren darin bestehe, die Tänzer und Tänzerinen auf allen Vieren durch den Tanzsaal marschieren zu lassen.
»Ist Herr von Saffré nicht mehr da?« fragte eine Kinderstimme.
Er war gerade im Begriffe, sich zu entfernen und verabschiedete sich bereits von der schönen Frau Saccard, mit der er auf dem besten Fuße stand, seitdem sie nichts von ihm wissen wollte. Dieser sonderbare Liebhaber bewunderte die Launen anderer Leute. Im Triumph brachte man ihn aus dem Vestibule zurück. Er wehrte sich, sagte lächelnd, daß man ihn blosstelle, daß er ein ernster Mann sei. Und als sich ihm die vielen weißen Hände entgegenstreckten, sagte er:
»Bitte also Ihre Plätze einzunehmen, meine Herrschaften. Doch ich sage Ihnen im Vorhinein, daß ich nach klassischem Muster arbeite und nicht Phantasie für zwei Sous besitze.«
Die Paare ließen sich rings an den Wänden auf Stühlen und Fauteuils nieder, deren man gerade habhaft werden konnte und die jungen Leute holten sogar die eisernen Stühle aus dem Wintergarten. Es war ein Riesen-Kotillon. Herr von Saffré, der die feierliche Miene eines zelebrirenden Priesters angenommen hatte, erwählte zu seiner Dame die Gräfin Vanska, deren Korallenkostüm ihn in hohem Grade fesselte. Als Jedermann auf seinem Platze war, ließ er einen langen Blick über diesen Kreis von bunten Röcken schweifen, deren jeder von einem Frack flankirt war und darauf winkte er dem Orchester, welches rauschend einfiel. Renée hatte es abgelehnt, an dem Kotillon theilzunehmen. Seit dem Beginne des Balles war sie von nervöser Heiterkeit; dabei tanzte sie wenig und mengte sich immer unter die verschiedenen Gruppen, unfähig, auf einem Platze ruhig auszuharren. Ihre Freundinen behaupteten, sie sei so sonderbar heute. Sie hatte erwähnt, sie gedenke nächster Tage mit einem berühmten Aëronauten, von dem ganz Paris sprach, eine Auffahrt mit seinem Ballon zu machen. Als der Kotillon begann und sie nicht mehr unbehindert kommen und gehen konnte, hielt sie sich in der Nähe des Vestibuls auf und reichte