Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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noch immer mehr in die köstliche Naivität dieser von Herzen kommenden Worte vertiefen!

      »Alt, so alt wie die Welt,« wiederholte der Sekretär. »Frau von Espanet hat es in den Tuilerien schon zweimal gesagt.«

      Dies war der Gnadenstoß und nun kehrte sich der Präfekt weder an den Minister, noch an den ganzen Salon. Er schritt auf die Estrade zu, als das Piano zu präludiren begann; traurige, klagende Töne entquollen den Fingern des Spielenden. Lauter tönte die Klage und der Vorhang glitt auseinander. Herr Hupel de la Noue, der bereits zur Hälfte verschwunden war, trat in den Salon zurück, als er das leise Knirschen der Ringe vernahm. Er war bleich, erbittert und machte eine heftige Anstrengung, um den Damen nicht einige zermalmende Worte zuzurufen, da sie es gewagt, ihre Plätze ohne seine Anweisungen einzunehmen. Die kleine Espanet mußte das Komplot angezettelt haben, den Wechsel der Kostüme zu beschleunigen und sich ohne ihn zu behelfen. Doch das war nicht mehr das Richtige; das Ganze hatte so keinen Werth.

      Er kehrte zu den Uebrigen zurück, wobei er einige heftige Worte murmelte. Nachdem er dann einen Blick auf die Estrade geworfen, sprach er halblaut vor sich hin:

      »Die Nymphe Echo ist zu sehr am Rand... Und dieses Bein des schönen Narziß ... ach! wie steif und starr, ohne jede Weichheit und Anmuth...«

      Die Herren Mignon und Charrier, die sich ihm genähert hatten, um sich die Sache »erklären« zu lassen, richteten die Frage an ihn, was »denn der junge Mann und das junge Mädchen machten, die auf der Erde lagen.« Er aber gab keine Antwort und verweigerte es, sein Poëm weiter zu erläutern; als die Herren aber weiter in ihn drangen, sagte er zornig:

      »Ach! das geht mich gar nichts mehr an, sobald die Damen ihre Plätze ohne mich einnehmen!«

      Das Klavier schluchzte in weichen Tönen. Auf der Estrade eröffnete eine Waldlichtung, welche das elektrische Licht mit hellem Sonnenschein erfüllte, einen weiten Ausblick auf Waldesgrün. Es war das eine ideale Waldlichtung mit blauen Bäumen und großen gelben und rothen Blumen, die so hoch waren wie Eichenstämme. Hier hatten sich auf einem Rasenhügel Venus und Pluto zusammengefunden; Beide waren von den Nymphen umgeben, die aus dem ganzen Walde herbeigeeilt gekommen, um sich zu einem Gefolge zu schaaren. Es gab hier Baumnymphen, Quellennymphen, Bergnymphen, – all die lachenden, nackten Halbgottheiten der Wälder. Und der Gott und die Göttin triumphirten; sie straften die Kälte des Hochmüthigen, der sie verachtet hatte, während die Gruppe der Nymphen im Vordergrunde neugierig und mit einer gewissen heiligen Scheu der Rache des Olymp beiwohnte. Das Drama schloß hier ab. Am Rande eines Baches liegend betrachtete sich der schöne Narziß in der klaren Wasserfläche und man hatte die Täuschung so weit getrieben, daß man am Grunde des Baches einen wirklichen Spiegel angebracht hatte. Er war aber nicht mehr der junge Halbgott, der frei und unbehindert durch die Wälder strich; der Tod überraschte ihn inmitten seiner entzückten Bewunderung des eigenen Bildes, der Tod beraubte ihn seiner Kräfte und gleich einer Fee der Apotheose beschwor Venus mit dem ausgestreckten Finger sein Verhängniß über ihn herauf. Er wurde zur Blume. Seine Gliedmaßen gingen allmälig in dunkles Grün über; die leicht zurückgebogenen Füße, die den biegsamen Stengel darstellten, versenkten sich in die Erde, um daselbst Wurzel zu fassen, während der Oberkörper, welchen breite, weiße Seidenstreifen zierten, sich in eine herrliche Blumenkrone verwandelte. Die blonden Haare Maxime's vervollständigten die Täuschung und die langen Locken bildeten die gelben Staubfäden inmitten der weißen Kelchblätter. Und die große werdende Blume, die noch menschlich fühlte, neigte den Kopf dem Wasserspiegel zu, während die Augen trunken blickten und das Gesicht in wonnevoller Begeisterung lächelte, als hätte der schöne Narziß im Tode die Befriedigung der Begierden gefunden, die er sich selbst eingeflößt. Wenige Schritte von ihm entfernt lag auch die Nymphe Echo im Sterben; sie starb, weil ihr Verlangen unbefriedigt geblieben. Allmälig ging die Regungslosigkeit des Bodens auf sie selbst über und ihre von heißem Leben erfüllten Glieder wurden kalt und starr. Sie ward nicht zum gewöhnlichen, von Moos bedeckten Felsen, sondern zu weißem Marmor, dank ihren Schultern und ihren Armen, dank ihrem schneeweißen Kostüm, dessen Laubgürtel und blaue Schärpe verschwunden waren. Kraftlos zusammensinkend, während ihr weißes Satinkleid sich in weiten Falten gleich den Umrissen eines Marmorblocks um sie legte, glitt sie zu Boden und ihr zur Statue gewordener Leib hatte nichts Lebendes mehr in sich außer ihren Augen, diesen Augen, die sich sehnsuchtsvoll auf das Spiegelbild des Baches richteten. Und schon schien es, als ob alle Liebeslaute des Waldes, die lang gezogenen Töne des Dickichts, das geheimnißvolle Rauschen der Blätter, die tiefen Seufzer der mächtigen Eichen, sich auf die Marmorfläche der Nymphe Echo niederlassen wollten, deren Herz auch inmitten des Blockes blutend, selbst die leisesten Klagen der Erde und der Luft wiedergab.

      »Ach Gott! wie sie den armen Maxime vermummt haben!« sagte Luise halblaut. »Und Frau Saccard sieht aus, als wäre sie todt.«

      »Sie ist ganz bedeckt vom Reispuder,« behauptete Frau Michelin.

      Andere, ebenso wenig verbindliche Bemerkungen wurden laut. Das dritte Bild konnte sich des rückhaltslosen Beifalls der beiden ersten nicht rühmen. Und dessenungeachtet war es gerade dieser tragische Ausgang, welcher Herrn Hupel de la Noue über sein eigenes Talent in Begeisterung versetzte. Er bewunderte sich in demselben, wie sich sein Narziß im Spiegelbilde der Quelle bewunderte. Er habe – meinte er – eine Menge poetischer und philosophischer Gedanken eingestreut. Als sich der Vorhang zum letzten Male geschlossen und die Zuschauer, wie es sich für wohlerzogene Leute schickt, ihren Beifall gespendet hatten, empfand er bittere Reue darob, daß er seinem Zorne nachgegeben und den letzten Theil seines Poëms nicht erläutert hatte. Er wollte nun den Personen, die sich in seiner Nähe befanden, eine Erklärung der liebenswürdigen, großartigen oder einfach nur schelmischen Dinge liefern, welche der schöne Narziß und die Nymphe Echo darstellten und er wollte sogar sagen, was Venus und Pluto im Hintergrunde der Lichtung getrieben; all' diese Herren und Damen aber, deren auf das Praktische gerichteter Sinn für die Grotte der Liebe und die Höhle des Goldes volles Verständniß gezeigt, verriethen keinerlei Neigung, sich in die mythologischen Auseinandersetzungen des Präfekten zu versenken. Nur die Herren Mignon und Charrier, die Alles wissen wollten, waren so liebenswürdig, ihn zu befragen. Er bemächtigte sich ihrer, drängte sie in eine Fensternische und hielt ihnen da einen zweistündigen Vortrag über Ovid's »Metamorphosen«.

      Der Minister zog sich indessen zurück. Er entschuldigte sich, daß er die schöne Frau Saccard nicht erwarten könne, um ihr seine Bewunderung über die vollendete Anmuth der Nymphe Echo auszudrücken. Er war Arm in Arm mit seinem Bruder zwei- oder dreimal durch den Salon geschritten, hatte einigen Leuten die Hand gedrückt und mehrere Damen begrüßt. Niemals noch hatte er sich Saccard's wegen in solchem Maße bloßgestellt. Der Spekulant strahlte vor Freude, als er ihm bei der Thür angelangt, mit lauter Stimme sagte:

      »Ich erwarte Dich morgen; komm' zum Frühstück zu mir.«

      Der Ball sollte beginnen. Die Diener hatten die Fauteuils der Damen an die Wände gerückt. Ueber den Boden des großen Salons erstreckte sich nun von dem kleinen, gelben Salon bis zur Estrade der purpurrothe Teppich, dessen große Blumen sich unter dem blendenden Lichte der Kronleuchter zu erschließen schienen. Immer höher stieg die Hitze und der Reflex der rothen Tapeten bräunte das Gold der Möbel und der Decke. Um den Ball zu eröffnen, wartete man nur noch, bis die Damen, die Nymphe Echo, Venus, Pluto und die anderen die Toilette gewechselt haben würden.

      Frau von Espanet und Frau Haffner waren die ersten, die zum Vorschein kamen. Sie hatten die Kostüme des zweiten Bildes angelegt; die Erstere stellte das Gold, Letztere das Silber dar. Man umringte, beglückwünschte die Beiden, worauf sie über ihre Eindrücke zu berichten begannen.

      »Es fehlte nicht viel, so hätte ich laut zu lachen begonnen,« sagte die Marquise; »als ich von Weitem die große Nase des Herrn Toutin-Laroche erblickte, der mich anstarrte.«

      »Mein Hals ist ganz steif,« warf die blonde Susanne schmachtend ein. »Nein, wahrhaftig, wenn dies eine Minute länger gedauert hätte, so hätte ich den Kopf in die natürliche Lage gebracht, denn mein Hals schmerzte fürchterlich.«

      Aus der Fensternische, in welcher Herr Hupel de la Noue die Herren Mignon und Charrier gefangen hielt, warf er unruhige Blicke nach der Gruppe, die sich um die beiden jungen Frauen gebildet


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