Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.mit einem häßlichen Lachen seine Hände ergreifend, sprach sie:
»Dein eigener Herr! Du! Dein eigener Herr! ... Du weißt ja, daß Du das nicht bist. Dem Herr bin ich. Ich würde Dir die Knochen im Leibe zerbrechen, wenn ich wollte, denn Du hast ja nicht mehr Kraft, als ein kleines Mädchen.«
Und da er sich wehrte, preßte sie seine Arme mit der ganzen nervösen Kraft zusammen, die ihr der Zorn verlieh. Er stieß einen leisen Schrei aus, worauf sie ihn losließ und sagte:
»Wir wollen es nicht auf die rohe Kraft ankommen lassen; Du siehst, daß ich die Stärkere wäre.«
Er schwieg, bleich und beschämt über den Schmerz, den er noch an den Handgelenken verspürte; dann sah er, wie sie in dem Gemach auf- und niederschritt. Sie stieß die Möbel hin und her, während sie den Plan überlegte, der in ihrem Kopfe reifte, seitdem ihr Gatte ihr von der bevorstehenden Vermählung Mittheilung gemacht.
»Ich werde Dich hier einschließen,« sprach sie endlich; »und sobald es Tag geworden, reisen wir nach Havre.«
Er erbleichte noch mehr vor Unruhe und Staunen.
»Aber das ist ja Wahnsinn!« rief er aus. »Wir können nicht mit einander reisen. Du verlierst den Kopf!«
»Das ist möglich; aber gewiß ist, daß Ihr, Dein Vater und Du, daran schuld seid ... Ich kann Dich nicht missen und nehme Dich in Besitz ... Umso schlimmer für die Einfältigen!«
Es flackerte unheimlich in ihren Augen und wieder so dicht an ihn herantretend, daß ihr Athem sein Gesicht versengte, fuhr sie fort:
»Was sollte denn aus mir werden, wenn Du die Buckelige heirathest? Ihr würdet Euch über mich lustig machen und ich wäre vielleicht gezwungen, mich von Neuem an diesen Einfaltspinsel Mussy zu hängen, der mir selbst die Beine nicht warm machen kann ... Wenn man gethan hat, was wir gethan haben, so bleibt man beisammen. Im Uebrigen ist es klar, daß ich mich langweile, wenn Du nicht bei mir bist und da ich fortgehe, so nehme ich Dich mit mir ... Du wirst Céleste sagen, was sie Dir von Deinen Habseligkeiten herüberholen soll.«
Der Unglückliche faltete flehend die Hände:
»Um Gotteswillen, meine kleine Renée, mache doch keine Dummheiten. Besinne Dich ... Denke ein wenig an den Skandal.«
»Was kümmert mich der Skandal? Wenn Du Dich weigerst, so gehe ich in den Salon hinunter und schreie es allen Leuten ins Gesicht, daß ich mit Dir geschlafen habe und Du feige genug bist, jetzt noch die Buckelige zu heirathen.«
Gesenkten Hauptes hörte er ihr zu, während er im Innern sich schon halb diesem Willen unterwarf, der sich in so rücksichtsloser Weise über ihn geltend machte.
»Wir gehen nach Havre,« nahm sie von Neuem, ihren Traum weiterspinnend, auf; »und von dort nach England. Niemand wird uns mehr im Wege stehen. Sind wir dort noch nicht weit genug, so reisen wir nach Amerika, wo ich mich wohl fühlen werde, da ich ohnehin immer friere. Gar oft schon habe ich die Kreolinen beneidet ...«
Doch je weiter sie über ihren Plan sprach, desto höher stieg der Schrecken des jungen Mannes. Paris verlassen, so weit fort mit einer Frau gehen, die zweifellos wahnsinnig war, eine Begebenheit, deren Schmach ihn für alle Zeiten aus Paris verbannte, hinter sich lassen, – das war wie ein entsetzlicher Alpdruck, der ihn erwürgte. Verzweifelt suchte er nach einem Mittel, um dieses Gemach, diesen rosenfarbenen Schlupfwinkel verlassen zu können, in welchem er das Läuten des Irrenhauses zu vernehmen meinte. Endlich glaubte er das gesuchte Rettungsmittel gefunden zu haben.
»Ich habe aber kein Geld,« sagte er sanft, um sie nicht noch mehr zu reizen; »und kann mir auch keines verschaffen, wenn Du mich hier einschließest.«
»Aber ich habe welches,« erwiderte sie triumphirenden Tones. »Ich besitze hunderttausend Francs und damit ist Alles in bester Ordnung ...«
Damit entnahm sie dem Spiegelschranke die Cessionsurkunde, welche ihr Gatte von der unbestimmten Hoffnung bewegt, sie könne noch anderen Sinnes werden, bei ihr zurückgelassen. Sie legte dieselbe auf den Toilettetisch, zwang Maxime, ihr aus dem Schlafzimmer Feder und Tinte zu holen und Seife und Fläschchen zurückschiebend, setzte sie mit raschem Zuge ihren Namen unter das Dokument, worauf sie sagte:
»Wohlan, die Thorheit ist ausgeführt. Wurde ich bestohlen, so ließ ich es in klarem Bewußtsein geschehen ... Bevor wir nach dem Bahnhofe fahren, werden wir bei Larsonneau vorsprechen ... Und jetzt, mein kleiner Maxime, werde ich Dich einschließen und sobald ich all' die Leute hier vor die Thür gesetzt, entfliehen wir durch den Garten. Nicht einmal unser Gepäck brauchen wir mit uns zu nehmen.«
Sie war wieder heiter geworden; dieser Handstreich entzückte sie. Es war das eine letzte Ueberspanntheit, ein Abschluß dieses heißen Kampfes, welcher ihr durchaus originell dünkte. Dies war noch bedeutend großartiger, als die geplante Auffahrt mit dem Ballon. Sie schloß Maxime in die Arme und murmelte:
»Ich habe Dir vorhin weh gethan, mein armer Schatz! Und darum hast Du Dich geweigert ... Du wirst aber sehen, wie schön das sein wird. Könnte Dich denn Deine Buckelige so lieben wie ich Dich liebe? ... Diese kleine Mulattin ist ja gar keine Frau ...«
Sie zog ihn mit girrendem Lachen an sich und küßte ihn leidenschaftlich, als ein Geräusch sie die Köpfe umwenden ließ. Saccard stand auf der Schwelle der Thür.
Eine fürchterliche Stille trat ein. Langsam löste Renée die Arme von dem Halse Maxime's; doch ohne die Stirne zu senken, blickte sie ihren Gatten mit großen, starren Augen an, während der junge Mann wie zu Boden geschmettert, gesenkten Kopfes taumelte, nun er durch sie nicht mehr gestützt ward. Wie vom Schlage gerührt durch diese entsetzliche Entdeckung, welche endlich den Gatten und den Vater in ihm erweckte, blieb Saccard regungslos, leichenblaß stehen und nur von Weitem flogen seine brennenden Blicke zu den Beiden hinüber. Hell, mit senkrechter Flamme und der Unbeweglichkeit einer heißen Thräne brannten die drei Kerzen in der feuchten, duftenden Luft des Gemaches. Und die Stille, die fürchterliche Stille ward nur durch einen über die enge Treppe heraufdringenden Hauch der Musik unterbrochen und schlangengleich glitt, wand sich der sinnberückende Walzer über den schneeweißen Teppich, zwischen dem zerrissenen Tricot und den zur Erde geglittenen Frauenröcken.
Endlich trat der Gatte vor. Ein Drang nach brutalem Ausbruch verzerrte sein Gesicht; er ballte die Fäuste, um die Schuldigen niederzuschmettern. Der Zorn brach sich in dem kleinen, beweglichen Manne unter lautem Toben Bahn. Ein würgendes Lachen stieg in seiner Kehle empor und immer näher kommend, fragte er:
»Du hast ihr von Deiner bevorstehenden Verheirathung Mittheilung gemacht, nicht wahr?«
Maxime wich zurück, bis er an die Mauer stieß und dort stammelte er:
»Höre mich an ... sie war es, die ...«
Er wollte sie feige anklagen, die ganze Schuld auf sie wälzen, sagen, daß sie mit ihm entfliehen gewollt, sich mit der Demuth und dem Zittern eines auf seinen Schlichen ertappten Schuljungen vertheidigen. Doch hatte er nicht die Kraft dazu, die Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Renée aber verharrte regungslos wie eine Statue, ihre Haltung drückte schweigende Verachtung aus. Da ließ Saccard, sicherlich um eine Waffe zu entdecken, den Blick suchend durch den Raum gleiten und auf dem Toilettetisch, inmitten der Kämme und Nagelbürsten erblickte er die Cessionsurkunde, deren gelbes Papier sich von dem Marmor abhob. Sein Auge schweifte von dem Schriftstück zu den Schuldigen hinüber. Dann neigte er sich vor und gewahrte, daß das Dokument unterschrieben sei. Sein Blick glitt von dem offenen Tintenfaß nach der noch feuchten Feder, die am Fuße des Kandelabers lag. Schweigend, nachdenklich blieb er vor dieser Unterschrift stehen.
Die Stille schien sich noch zu vertiefen; die Flammen der Kerzen wurden länger, weicher glitt die Melodie des Walzers über die Tapeten hin. Ganz leise zuckte Saccard die Schultern. Noch einmal blickte er seine Frau und dann seinen Sohn durchdringenden Auges an, als wollte er aus ihren Mienen eine Erklärung schöpfen, die ihm versagt blieb, worauf er das Schriftstück langsam zusammenfaltete und in seine Rocktasche steckte. Seine Wangen waren ganz bleich geworden.
»Sie thaten ganz recht daran zu unterschreiben, meine