Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.einer Nacht benützte, zu den Liebhabern, die sie einen Monat hatte, tauchte sie in die Flammen seines Hochofens, bediente sich ihrer wie eines Edelmetalls, um das Eisen seiner Hände zu vergolden. Und allmälig war es dem Vater gelungen, sie genügend wahnsinnig, genügend schlecht zu machen, um daß sie sich den Küssen des Sohnes hingebe. Wenn Maxime das entartete Abbild Saccard's war, so fühlte sie, daß sie selbst das Produkt, die blutschänderische Frucht dieser beiden Männer, die Infamie sei, welche jene zwischen sich geschaffen und in welche Beide versunken waren.
Nun wußte sie Alles. Diese Leute hatten sie entkleidet. Saccard hatte ihr Mieder gelöst, Maxime die Röcke heruntergezogen und zu Zweien hatten sie ihr das Hemd vom Leibe gerissen. Jetzt stand sie da, ohne einen Fetzen am Leibe und mit goldenen Spangen wie eine Sklavin. Sie hatten sie vorhin gesehen und nicht einmal gesagt: »Du bist ja nackt!« Der Sohn zitterte wie eine Memme, erschrack bei dem Gedanken, sein Verbrechen zu vollenden und weigerte sich, in ihrer Leidenschaft ihr weiter zu folgen. Der Vater aber bestahl sie, statt sie zu tödten; dieser Mann strafte die Leute, indem er deren Taschen leerte. Eine Namensunterschrift fiel gleich einem Sonnenstrahl in die Brutalität seines Zornes und um Rache zu üben, nahm er diese Unterschrift mit sich. Sodann hatte sie die Schultern der Beiden in dem Dunkel der Treppe verschwinden sehen. Und kein Blut auf dem Teppich; kein Schrei, keine Klage. Beide waren feige Memmen und hatten sie nackt ausgezogen.
Und sie sagte sich, daß sie ein einziges Mal die Zukunft gesehen und zwar an dem Tage, da angesichts der murmelnden Schatten des Monceau-Parkes der Gedanke, daß ihr Gatte sie verunglimpfen und eines Tages dem Wahnsinne preisgeben werde, sie inmitten ihrer wachsenden Begierden erschreckt hatte. Ach! wie schmerzte sie ihr armer Kopf! wie deutlich ward sie sich zu dieser Stunde der Unhaltbarkeit jenes Phantasiegebildes bewußt, welches sie hatte glauben machen wollen, daß sie in einer Atmosphäre glücklichen Genießens und göttlicher Straflosigkeit leben werde! Sie hatte im Reiche der Schande gelebt und ward durch das Ersterben ihres Leibes, durch den Tod ihres in den letzten Zügen liegenden ganzen Wesens bestraft. Und sie weinte, weil sie den eindringlichen Stimmen der Bäume kein Gehör geschenkt.
Ihre Blöße reizte sie zum Zorn. Sie wandte den Kopf ab und blickte um sich. In dem Ankleidezimmer herrschte noch immer die schwere, von Düften gesättigte Luft, dieselbe warme Stille, welche die Walzertöne nur noch wie die sich immer mehr verbreiternden Kreise des Wassers berührten, in welches ein Stein geworfen worden. Diese fernen Klänge einer übersprudelnden Lebenslust machten auf sie den Eindruck unerträglichen Spottes. Sie hielt sich die Ohren zu, um nichts zu hören. Dafür sah sie nun den wollüstigen Luxus des Gemaches. Sie erhob den Blick zu dem rosafarbenen Zelt, bis zu der silbernen Krone, welche einen pausbäckigen Amor sehen ließ, der sich anschickte, seinen Pfeil abzuschnellen; sie betrachtete die Möbel, den Marmor des Toilettetisches, welchen eine Menge von Töpfen und Toilette-Geräthschaften bedeckte, die sie nicht mehr erkannte; sie schritt zu der noch gefüllten Badewanne, deren Wasser sich nicht regte und stieß mit dem Fuße an das Kostüm der Nymphe Echo, an die Röcke und gebrauchten Tücher, die auf dem Boden umherlagen. Und all' diese Dinge verkündeten mit lauter Stimme ihre Schmach: das Nymphenkostüm sprach ihr von dem Spiele, in welches sie eingewilligt hatte, um der Originalität wegen sich Maxime vor allen Leuten anzubieten; der Badewanne entströmte der Duft ihres Körpers, das Wasser, welches ihre Glieder umspült, erfüllte den Raum mit ihrem Fieber der kranken Frau und der Tisch mit seinen Seifen und Oelen, die Möbelstücke mit ihren weichen Rundungen redeten brutal von ihrer Sinnlichkeit, ihren Liebschaften, von all' diesem Unflath, den sie vergessen wollte. Wieder kehrte sie in die Mitte des Gemaches zurück; ihr Antlitz war purpurroth und sie wußte nicht, wohin sie vor diesem Alkovenduft, diesem Luxus fliehen sollte, der sich mit schamloser Zudringlichkeit rosenroth vor ihr ausbreitete. Das Gemach war ebenso nackt wie sie; die rosa Badewanne, die rosenrothen Tapeten, die rosenfarbenen Marmorplatten der beiden Tische belebten sich, streckten und dehnten sich und umgaben sie mit solch' wollüstigen Bildern, daß sie die Augen schloß und den Kopf senkte, als lasteten die Wände und die Decke auf ihr.
Doch trotzdem sie die Augen geschlossen hielt, sah sie das fleischfarbene Ankleidezimmer vor sich, gleichwie die grauen Seidenvorhänge des Schlafgemaches, das gedämpfte Gold des kleinen Salons, das satte Grün des Treibhauses, – all' diese Reichthümer, die ihre Mitschuldigen waren. Dort hatte sie die schlechten Säfte eingesogen. Auf dem elenden Lager eines kahlen Mansardenstübchens hätte sie nicht mit Maxime geschlafen. Das wäre zu gemein, zu niedrig gewesen. Die Seide hatte ihrer Schuld den Anstrich des Koketten verliehen. Und sie wollte all' diese Spitzen von den Wänden reißen, auf diese Seide speien, ihr großes Bett mit Fußtritten zertrümmern, ihren ganzen Luxus durch die Gosse zerren, damit er abgenützt und verunreinigt gleich ihr wieder zum Vorschein komme.
Als sie die Augen wieder öffnete, trat sie zum Spiegel und betrachtete sich von Neuem. Es war zu Ende mit ihr und sie sah sich todt. Ihre ganze Physiognomie sagte ihr, daß die geistige Zerrüttung Fortschritte mache. Maxime, diese letzte Verirrung ihrer Sinne, hatte das Werk vollbracht, ihre Kräfte erschöpft, ihren Geist gebrochen. Sie hatte keine Freuden mehr zu verkosten, kein Erwachen zu erwarten. Bei diesem Gedanken regte sich ein wilder Zorn in ihr. Und in einer letzten Krise brennenden Verlangens wollte sie ihre Beute wieder an sich reißen, in den Armen Maxime's sterben und ihn mit sich nehmen. Luise konnte ihn nicht heirathen; Luise wußte, daß er nicht ihr gehöre, denn sie hatte es mitangesehen, wie sie einander umarmt und geküßt. Sie warf einen Pelzmantel um ihre Schultern, um nicht nackt unter den Leuten zu erscheinen und stieg hinab.
Im kleinen Salon fand sie sich Frau Sidonien gegenüber, die neuerdings an der Thür des Treibhauses Stellung genommen, um das sich vorbereitende Drama zu genießen. Sie wußte aber nicht, was sie sich denken sollte, als Saccard mit Maxime zum Vorschein kam und ihre mit leiser Stimme gestellten Fragen brutal dahin beantwortete, daß sie wohl geträumt habe und daß »absolut nichts« gewesen sei. Dann ward ihr der Zusammenhang klar. Ihr gelbes Gesicht wurde ganz bleich; die Sache erschien ihr wirklich stark. Und vorsichtig drückte sie das Ohr an die Thür der Treppe, da sie glaubte, sie werde Renée oben weinen hören. Als die junge Frau die Thür öffnete, traf dieselbe beinahe den Kopf ihrer Schwägerin.
»Sie spioniren also hinter mir?« fragte sie zornig.
Frau Sidonie aber erwiderte voll edler Verachtung:
»Kümmere ich mich etwa um Ihre Unfläthigkeiten?«
Und ihren Magiertalar zurechtziehend, entfernte sie sich mit einem hoheitsvollen Blick, indem sie sagte:
»Ich bin ganz unschuldig daran, mein Schatz, wenn Ihnen Unannehmlichkeiten widerfahren ... Ich bin aber keine rachsüchtige Person, das halten Sie stets vor Augen, ebenso, daß Sie in mir eine zweite Mutter gefunden hätten und immer noch finden würden. Wann immer Sie bei mir vorsprechen, sollen Sie mir willkommen sein.«
Renée vernahm ihre Worte gar nicht. Sie trat in den großen Salon und wanderte mitten durch eine sehr komplizirte Kotillonfigur, ohne gar das Erstaunen zu bemerken, welches ihr Pelzmantel erregte. In der Mitte des Raumes standen Damen und Herren, die sich unter einander mengten, während die Stimme des Herrn von Saffré sprach:
»Vorwärts, meine Damen; nun kommt der »Krieg von Mexiko« ... Die Damen, welche das Gesträuch darstellen, setzen sich mit ausgebreiteten Röcken auf die Erde ... Darauf umtanzen die Herren das Gesträuch und sobald ich in die Hände klatsche, tanzt jeder Herr mit seiner Dame.«
Er klatschte in die Hände, das Orchester fiel ein und noch einmal jagte der Walzer die Paare durch den Salon. Die Figur fand nur geringen Beifall. Zwei Damen waren auf dem Teppich sitzen geblieben, da sie sich in ihre Röcke verwickelt hatten. Frau Daste erklärte, daß an dem »mexikanischen Kriege« nichts weiter Ergötzliches sei, als daß sie einen großen »Käse« machte, wie in der Schule.
Im Vestibule angelangt, fand Renée Luise und deren Vater vor, die von Saccard und Maxime begleitet wurden. Baron Gouraud hatte sich bereits entfernt. Frau Sidonie zog sich in Gesellschaft der Herren Mignon und Charrier zurück, während Herr Hupel de la Noue Frau Michelin begleitete, deren Gatte von Weitem folgte. Der Präfekt hatte den Rest des Abends dazu verwendet, der brünetten Schönheit den Hof zu machen und sie schließlich bewogen, in der schönen Jahreszeit einen Monat in dem Hauptorte seines Departements zu verbringen, »wo es wirklich sehenswürdige Antiquitäten