Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die Hitze hatte etwas nachgelassen. Das Haus war mäßig, wie während einer Aufführung beleuchtet; die Bühne strahlte im hellsten Lichtschein.
Einen seltsamen Anblick bot das Parkett. Es war, als ob da ein Fastnachtsball abgehalten werden sollte. Die Bänke waren ziemlich dicht, namentlich in der Mitte, von allerhand Leuten besetzt, die »zum Bau« gehörten oder wenigstens glaubten, sich dazu rechnen zu dürfen. Da saßen die Angehörigen der Mimen, die Lieferanten und Ouvriers, der Pächter des Biertunnels mit seiner Familie und ein paar Freunden, weiter nach hinten hin Haufen von Garderobièren Nähterinnen, ganze Schwärme von Theaterkindern, die, erst in der Apotheose am Schluß beschäftigt, müßig mit den Beinen schlenkernd und halboffenen Mundes auf die Bühne starrten; da und dort ein Kellner in schmierigem Frack.
Von den vorderen Parkettreihen hielt sich diese misera plebs respektvoll fern. Da saß der Herr Direktor, den Maschinenmeister und die Regisseure neben sich. Die dicken Schweißtropfen liefen über sein rotes, freudeglänzendes Gesicht. Hinter ihm ein paar Theater-Agenten und einige Reporter, die sich durch krampfhaft fortgesetzte Reklame-Notizen Einlaß verschafft hatten. Der Kapellmeister saß mit dem Rücken gegen die Bühne auf seinem Stuhl und sah ziemlich stumpfsinnig, den Kopf auf die Hand gestützt und mit dem Taktstock wippend in das Parkett hinein.
In dessen linkem Gange lehnte an der Brüstung einer Loge der Polizeileutnant des Reviers, dem die Sache viel Spaß zu machen schien, wenn er schon in dienstlicher Eigenschaft da war. Er blickte mit verstohlenem Lächeln auf den phantastisch geputzten Märchen-König herunter, der die Krone von Goldblech auf der Perrücke, neben ihm auf dem ersten Parkettplatz saß und eben bedächtig eine Prise nahm. Hinter ihm saßen zwei kleine Teufelchen. Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, in feuerroter Tracht, die die Beine übereinander geschlagen hatten und sich eifrig in die Ohren wisperten.
Und ähnliche fremdartige Gestalten blinkten da und dort im Zuschauerraum, denn da das Vorspiel des Stückes nur einige Solisten, namentlich die Ernesti, beschäftigte, so benutzten die übrigen Mitwirkenden die Gelegenheit, sich wenigstens einen Teil des Vaudevilles vom Parkett aus anzusehen und namentlich die große Wandeldekoration am Schluß des Bildes zu bewundern. – Da unterhielt sich ein auffallend bösartig aussehender Mephisto in unverfälschtem Lerchenfelder Dialekt mit ein paar Nonnen; eine schöne, von Kopf zu Fuß in Weiß gekleidete Fee hatte neben einem Agenten Platz genommen und sprach eifrig auf ihn ein, zwei flotte weibliche Husaren, denen der Säbel immer zwischen die Kniee geriet und die Sporen in einander hängen blieben, drängten sich auf den Fußspitzen durch eine Parkettreihe, ein dicker Mann in der Tracht eines Bürgermeisters aus dem 18. Jahrhundert, mit einer Halskrause angethan einen Knaufstock in der Hand, sah ihnen wohlgefällig nach.
Auf der Bühne aber, hinter den Kulissen, saß eine ganze Reihe ältlicher, als Furien, mit grauen Schleiern und Gewändern verkleideter Damen. Sie strickten eintönig schwatzend Strümpfe und nahmen ab und zu einen Schluck aus dem Bierseidel. Auch eines der vielen, sich überall herumtreibenden halbwüchsigen Teufelchen stellte sich dann und wann zu diesem Zweck ein. Die Amorettchen, die auf dem Boden herumkauerten, waren noch zu klein dazu, Geschöpfchen von acht bis zehn Jahren, aber schon mit dem Ausdruck altkluger Verderbtheit in den Blicken. Viele von ihnen waren eingeschlafen, andere schauten halb geistesabwesend aus den großen Kinderaugen um sich. Man sah, wie es sie in der späten Nachtstunde nach ihrem Bett verlangte.
Van Look hatte sich eine Parkettloge aufschließen lassen und nahm müde darin Platz. Er hatte Erna versprechen müssen, in die Generalprobe kommen und ihr Kostüm, namentlich aber ihre Couplets zu bewundern. Aber eigentlich interessierte ihn die ganze Sache sehr wenig. Das ausgelassen heitere, dabei mehr als bedenkliche Stück langweilte ihn trotz der prickelnden Walzermelodien und der prächtigen Kostüm-Aufzüge, der Direktor mit seiner unterwürfigen Vertraulichkeit und seinen plumpen Manieren war ihm zuwider und vor allem ... er hatte andere Dinge im Kopf, Dinge, die er niemandem erzählen, niemandem andeuten durfte.
Seit mindestens einer Woche hatte er kaum mehr geschlafen. Er war müde bis zum Umfallen. Aber er wußte, daß er die Ruhe nicht finden würde, wenn er in seine prächtige Wohnung heimkehrte, in sein Schlafgemach, von dessen hoher Decke eine blaue Ampel ihren milden Schein über die persischen Teppiche und Vorhänge, das breite geschnitzte Bett und die kostbaren Bilder an den Wänden warf. Er würde sich wieder ruhelos umherwälzen wie die vergangenen Nächte, er würde wieder aufstehen und sich an den Schreibtisch setzen, um beim flackernden Kerzenlicht zu rechnen und wieder zu rechnen, er würde dann wieder Cigaretten rauchend durch die Räume irren, um am anderen Ende der Zimmerflucht mit neidischem Grimm aus dem anstoßenden Gemach das sonore Schnarchen seines Kammerdieners zu vernehmen, er würde sich endlich wieder auf sein Lager werfen und wachen Auges in die Dunkelheit starren, während neben seinem Bette die Frau Sorge sitzt und strickt und strickt ...
Nein ... dann schon lieber hier! Er legte sich in den Stuhl zurück und sah auf die Bühne. Wie Traumbilder zogen da allerhand leuchtende Gestalten an seinem Auge vorbei, sie sangen und sprangen, eine einschmeichelnde Musik tönte melodisch dazwischen, die Kulissen flimmerten in buntem Wirrwarr und immer neue Menschen strömten grell geputzt aus ihnen heraus, sie mischten sich unter die andern, der Gesang wurde voller, die Klänge aus dem Orchester reicher ... wie eine bunte, klingende Scheibe begann es sich vor van Look zu drehen ... er ließ den Kopf nach vorn sinken und schlief ein ... jenen tiefen, traumlosen Schlaf, der einer gewaltigen seelischen Erschütterung folgt.
Auf der Bühne ermahnte der Direktor seine Leute, sich zusammenzunehmen, um vor dem Herrn van Look, der ihnen die Aufführung des Stückes ermögliche, Ehre einzulegen, und in den Pausen zwischen dem Tanzen und Singen richtete sich manches neugierige Auge nach der Parkettloge, in deren Finsternis man nur undeutlich die Umrisse einer menschlichen Gestalt erkennen konnte.
Wenn sie geahnt hätten ... die kleinen Balletteusen, die Mimen und Sänger, die Ernesti selbst, daß sie mit all ihrer Kunst dem armen Millionär nur das Eine schenken, was die Natur dem geplagten Ackerknecht mit vollen Händen spendet, – ein paar Stunden erquickenden Schlafs! Sie kamen ihm teuer zu stehen, die paar Stunden. All der Prunk und die Flitterherrlichkeit die da auf den Brettern vor seinen geschlossenen Augen vorbeizog, verdankten ja seiner Börse ihr Entstehen. Aber gern hätte er noch mehr, hätte er, was man verlangte, gegeben für diese kleine Spanne der Ruhe, des Vergessens.
Die Kunde von seinem drohenden Sturz war natürlich noch nicht bis hierher gedrungen, die Ernesti ausgenommen. Die anderen konnten es erst erfahren, wenn sich die Zeitungen des Stoffs bemächtigten und dann plötzlich der Skandal emporlohte, wie ein langsam fortglimmendes Feuer, das der belebende Lufthauch trifft.
Erst gegen ein Uhr Nachts erwachte van Look, von dessen Thüre der Logenschließer jeden Besuch mit der Bemerkung, der Herr wolle nicht gestört sein, abgewiesen hatte, und sah einen Augenblick verdutzt um sich. Er wußte nicht recht, wo er sich befand. Dann schaute er auf die hellerleuchtete, menschenwimmelnde Bühne. Man war bei der Schluß-Apothese angelangt. Das Paukengetöse und Trompetengeschmetter des Orchesters hatte ihn geweckt.
Eilig erhob er sich, warf einen flüchtigen Blick auf das Parkett, wo alles aufgesprungen war und enthusiastisch applaudierte, und verließ eilig, um den Moment, bevor man ihn noch stören konnte, zu benutzen, seine Loge. Draußen drückte er dem tief dienernden Bewacher seines Schlummers ein Zehnmarkstück in die Hand und schritt auf die Straße.
Er fühlte sich erfrischt und gekräftigt. Die kalte Nachtluft that ihm wohl. An ein paar Passanten vorbeigehend, die neugierig nach dem erleuchteten Theater starrten, gab er seinem Wagen einen Wink, nach Hause zu fahren, und schlenderte zu Fuß weiter, ziellos das Trottoir entlang.
In seine Wohnung zurückzukehren, brachte er nicht über sich. Er wußte doch, daß er bis zum Morgengrauen im Zimmer auf- und niederlaufend auf jenen Brief aus London warten würde, dessen Ankunft ihm telegraphisch angezeigt war. Wozu sich dieser Pein aussetzen? Da war es besser, Vergessenheit zu suchen und die Zeit totzuschlagen ... so oder so ...
Vor einem Nachtcafé des Potsdamer Viertels blieb er schließlich stehen, überlegte einen Augenblick und schritt hinein, durch die spärlich besetzten Vorderräume hindurch in die Hinterzimmer.
Hier waren die Tischchen mit grünem Tuch ausgeschlagen. Größere und kleinere Gruppen von Herren, saßen daran und spielten.