Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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behielt, und während er stolz die Silberstücke in die Tasche seines blauen Jäckchens schob, sah er sich in kühnem Zukunftstraume als den Besitzer eines Monstre-Hotels in Berlin, in dem die Gäste noch ganz anders übers Ohr gehauen werden sollten, ohne daß er mit dem Portier zu teilen brauchte ...

      Frau von Braneck war auf ihr Zimmer gegangen, um sich umzukleiden, ihr Bruder ließ sich beim Friseur nebenan noch rasch den Scheitel durchziehen, der Major und Parsenow saßen sich rauchend an dem Tisch gegenüber.

      Der Graf hätte gern über die Enthüllungen des Nachmittags zu sprechen angefangen, aber er fand die Worte nicht.

      Plötzlich riß ihn der Alte selbst aus der Verlegenheit. »Wissen Sie, was mir eben passiert ist?« meint er, an seiner Havannah ziehend, »auf dem Corridor begegne ich Böseritz, altem Regimentskameraden, der jetzt in Berlin mit dem Gelde seiner Frau Terrainspekulationen macht ... höllisch schlauer Kunde, das ... also der hält mich fest und sagt ... Döbeln, haben Sie etwa Geld bei van Look und Compagnie? ... Ja ... sag' ich ... und er: abheben alter Freund, abheben so rasch als möglich ... ich rat's Ihnen im guten ... es steht oberfaul dort.«

      »Dasselbe hörte auch ich!« Parsenow giebt sich Mühe, seine Erregung zu verbergen.

      »Dies verdammte Berlin« ... der alte Herr steht zornig auf ... »ausgeraubt und totgeschlagen wird man hier! ... Sie müssen mir schon den Gefallen thun, Graf, und sehen, wie's mit Hildas Depositen steht. Ich verstehe von den Geschichten nichts und dann möcht' ichs doch auch diesem van Look nicht so gerade ins Gesicht sagen ...«

      »Ich gehe morgen so früh wie möglich hin!« erwidert Parsenow. »Hoffentlich ist es nur leeres Gerede.«

      »Nun, seid Ihr fertig« ... Hilda tritt, die Handschuhe zuknöpfend, in den Speiseraum ... »ah ... da kommt ja auch Kurt ... nun macht aber, damit wir nicht zu spät kommen ...«

      Bald darauf nähert sich ihr Wagen dem ›Theater an der Spree‹. Eine endlose Droschkenreihe, an der die Schutzleute fluchend auf- und niederreiten, schiebt sich im Schritt vorwärts nach dem hellerleuchteten Portal. Dort springen die Portiers eilfertig hin und her ... die Wagenthüren krachen zu, die alten Frauen auf der Straße rufen mit heiserer Stimme den Theaterzettel aus, ein Strom von Fußgängern flutet an ihnen vorbei und ergießt sich in das Vestibül. Alle Gänge, alle Garderoben wimmeln von erregten Menschen. Die schwüle Spannung der Première zittert über dem dichtgefüllten Haus, bis endlich das Klingelzeichen tönt und der Vorhang lautlos in die Höhe rollt.

      Auf den Fußspitzen, die Schleppe hochgehoben, um nicht mit der knisternden kostbaren Seide irgendwo hängen zu bleiben, tritt Käthe Krauß an das Gestell von Holz und Leinwand heran, das die linke Seitenwand eines Zimmers auf der Bühne markiert. Das Ohr an die Pappthüre geneigt, durch die sie einzutreten hat, lauscht sie, den Inspicienten neben sich, auf ihr Stichwort. Dumpf klingen die Stimmen der Schauspieler, der krächzende Baß des Komikers und das wohlklingende Organ des jugendlichen Liebhabers durch die Kulisse zu ihr.

      Näher und näher rückt der Augenblick. Eine furchtbare Angst preßt ihr die Brust zusammen. Bisher ist es gut gegangen, in den ersten zwei Akten, in denen sie nur im Ensemble mitzuspielen und ab und zu ein paar Worte zu sprechen hatte. Jetzt aber im dritten Aufzug, kommt ihre große Szene, kommt die Entscheidung.

      »Das kannst Du ihr alles selbst sagen ...« klingt der Baß von der Bühne. Das ist ihr Stichwort. Der Inspicient reißt die Thüre auf ... sie tritt hinaus auf die lichtüberfluteten Bretter, auf deren Mitte ihr Partner, der Liebhaber, steht, während der Komiker nach rechts verschwindet.

      Zum Glück ist zunächst eine kurze Spielpause vorgeschrieben, in der sie verschüchtert zur Seite zu sehen hat. Sie wendet den Kopf. In feierlichem Dämmerlichte liegt der riesige Zuschauerraum vor ihr. Zahllose weiße Flecken, die Hände und Gesichter, schimmern aus dem Halbdunkel. Nichts regt sich. Nicht einmal ein Hüsteln unterbricht die Totenstille. Wie versteinert sitzen vor ihr die langen dunklen Reihen, aus denen sie viele hundert Augenpaare auf sich ruhen fühlt.

      »Ach, Max!« zischelt es zu ihren Füßen, wo die Souffleuse, über das Buch gebeugt, in atemloser Aufmerksamkeit sitzt.

      Sie wiederholt die Worte. Ihre Stimme klingt ihr fremd, als käme sie von Gott weiß woher. Ihr Partner fällt ein. Die Szene nimmt ihren Anfang.

      In einem vorwiegend ernsten Stücke wie diesem fehlt jener innige Contakt der Bühne mit dem Publikum, der sich in dem Lustspiel ganz von selbst erzeugt. Das Lachen im Zuschauerraum beweist, daß ein Auftritt einschlägt, es ermutigt die Darsteller, es hebt die Stimmung vor und hinter den Kulissen. Anders bei Schauspielen. Es ist schon viel, wenn es unten ganz still ist, wenn nicht Hin- und Herrücken, Hüsteln und Flüstern die Teilnahmlosigkeit des Publikums bezeugen. Aber was dann dieses ernste Schweigen bedeutet, ob Ergriffenheit, ob Kälte, oder Mißbilligung ... wer kann das sagen?

      Und doch hat Käthe, während sie spricht und spielt, allmählich die Empfindung, daß sie nicht mißfällt! Warum, weiß sie selbst nicht, aber es kommt Leben in sie, ihre Bewegungen werden freier, ihre Stimme heller ... immer rascher das Tempo, in dem sie und ihr Partner die geschickt aufgebaute und dankbare Szene herunterspielen. Sie verspürt keinerlei Angst mehr ... sie ist ruhig, ganz ruhig. Sie denkt nicht einmal mehr an das Publikum. Sie geht ganz auf in der Darstellung, sie schmiegt ihr Spiel dem des Partners an und läßt sich von dem beliebten, temperamentvollen Schauspieler fortreißen bis zur Selbstvergessenheit.

      Und dann die letzten Worte, ein paar schnelle Schritte nach links, wo sich die Thüre vor ihr öffnet ... sie steht mit klopfendem Herzen in der Dämmerung hinter dem Holzgestell der Kulisse und lauscht ...

      Alles still! Sie hört ihren eigenen keuchenden Atem, dann da und dort ein mattes Geräusch zusammengeschlagener Handflächen, ein schüchterner Versuch zum Klatschen ... und gleich darauf ... als Antwort ... ein sanftes, zurechtweisendes Zischen, im Parkett, ein geschäftsmäßig klingendes Zischen, das leise durch das Haus geht und in Kurzem wieder verstummt. Dann tritt der dicke Komiker wieder auf... er macht einen Witz ... man lacht ... er macht einen zweiten ... man lacht wieder; das Spiel geht weiter; der kleine Zwischenfall ist schon vergessen ...

      Die ab und zugehenden Schauspieler stören Käthe Krauß nicht, die reglos im Conversationszimmer auf dem Sofa sitzt.

      Sie kennen diesen Zustand. Wer von ihnen ist nicht einmal durchgefallen? ... hat nicht einmal es an sich erfahren, das man selbst nur empfindet, was man gewollt, die andern, was man gekonnt hat?

      Lange Zeit starrt Käthe vor sich hin. Warum auch nicht? Sie hat ja Zeit genug. Im vierten Akte tritt sie nicht mehr auf. Es kommt ihr vor, als ob sie ein böser Traum umfinge, den sie abzuschütteln nicht die Macht hat. Aber jetzt dringt Lärm von der Bühne her, man hört Rufe und Händeklatschen, es entsteht ein Hin- und Hergelaufe, Requisiten werden vorbeigetragen, der Akt ist zu Ende. Sie steht müde auf und geht nach vorn.

      Dort steht der Bühnenleiter, im Frack und weißer Binde, eine Miniatur-Ordenskette auf der Brust, neben ihm eine hübsche, sehr blasse Dame, in Abend-Toilette, die offenbar aus dem Zuschauer-Raum hereingekommen ist.

      Der Direktor erblickt Käthe: »Nun ... da sind Sie ja ...« sagt er ziemlich unfreundlich, und wendet sich dann zu der blassen Dame: »... bis wann, liebe Lowinska, denken Sie denn wieder so weit zu sein, daß Sie Fräulein Krauß ablösen können?«

      »Ich bin noch recht angegriffen ... « erwidert Fräulein Lowinska mit einem flüchtigen Blick auf Käthe ... »aber ich will mich gleich dahinter machen ...«

      »Ich bitte Sie darum.« Der Direktor sieht Käthe mißbilligend an ... »schön war das eben wirklich nicht ...«

      »Ich habe mir solche Mühe gegeben!« sagt die kleine Krauß mit tonloser Stimme.

      »Ja, Mühe! ... Kunst kommt von können liebes Kind, darum heißt sie Kunst ... Es geht wirklich noch nicht mit Ihnen!«

      »Vielleicht geht es morgen besser!« flüstert Käthe in einem letzten verzweifelten Hoffnungsschimmer.

      »Nein ... nein!« Der Direktor muß beinahe lächeln, ... »das würde nichts helfen! Morgen früh steht das Unglück doch schon in allen Kritiken ... aber Sie werden


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