Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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... aber die kosten doch eine Masse Geld, Kind!«

      »Ich hab' sie auf Kredit bekommen ...!« Käthe wandte sich ab.

      Die Rätin sah sie ängstlich und erwartungsvoll an.

      »Es ist doch eine Reklame für die Firma, wenn ihre Kostüme auf der Bühne getragen werden ...« fuhr Käthe mit gepreßter Stimme fort.

      Die Mutter antwortete nichts ...

      Es herrschte ein unheimliches Schweigen in dem kleinen Raum, in den aus weiter Ferne durch die Nachtluft das Brausen der Weltstadt drang ...

      VI

       Inhaltsverzeichnis

      Der Regen rauscht und rieselt hernieder! ... in triefenden grauen Schwaden ziehen die Wolken über das steinerne Häusermeer Berlins, in feuchtem Glanze flimmert der spiegelglatte Asphalt der Straßen, und eine zähe Kotschicht legt sich schlüpfrig über den gepflasterten Teil der Plätze und Gassen. Es ist ein kalter, nebliger Herbst-Tag. Ab und zu kommt ein schwerer Windstoß aus dem Tiergarten, von dessen buntbelaubten Zweigen das Wasser trieft und die welken Blätter in zitternden Kreisen langsam auf den aufgeweichten, pfützenbedeckten Kies der Promenadenwege niederschweben. Der Windstoß fährt heulend weiter durch das Brandenburger Thor, die Linden hinauf bis zum Schloß, auf dessen Zinne die nasse Standarte sich schwerfällig bläht. Er treibt die Cylinderhüte in Sprüngen durch die Gossen, er stülpt die Schirme um und jagt die Regengüsse schräge den Passanten in Gesicht und Nacken; wer es kann, verläßt die schützende Behausung nicht, und trotzdem zeigt das bienenfleißige Berlin auch heute kaum eine Abnahme des Straßenverkehrs.

      Die Charlottenburger Chaussee freilich liegt verödet da. Die angesagten Rennen in Westend finden wohl statt, aber die Schar der Sportfreunde, die dem scheußlichen Wetter zum Trotz sich in die Kälte und das Nebelgeriesel hinauswagen, ist verschwindend gering. Ab und zu nur jagt ein leichter Wagen dahin, gelenkt von einem Herrn mit hochgeschlagenem Paletotkragen und verdrießlich zwinkerndem Gesicht oder ein Kremser mit regendurchtränktem Plan holpert seines Weges. Dann gehört das Feld wieder den jammervollen Mörtel- und Steinfuhrwerken, die ächzend und kottriefend durch den Schlamm der Straße dahinkriechen, zwei keuchende Pferdegerippe davor, die stumpfsinnig-rohe Gestalt des Kutschers halb schlafend oben darauf.

      »Zum Abschiednehmen just das rechte Wetter,« sagt Graf Parsenow zu seiner Braut und deutet durch die regenblinden Scheiben des Coupés hinaus auf den Goldfischteich, an dem sie eben vorbeirollen. In zahllosen, durcheinanderfließenden Kreisen vermengen sich da die Regentropfen mit dem schwärzlichen Spiegel, in dem undeutlich an einzelnen Stellen organerote Flecke einen Goldfisch-Trupp anzeigen. Am Rande steht ein nasser Schutzmann und gähnt, was er kann. Eine alte Frau mit großem Regenschirm daneben. Es ist ein trostloses Bild. Frau Hilda sagt denn auch weiter nichts. Sie lehnt sich seufzend in die Kissen zurück und blickt mit verstohlener Zärtlichkeit auf Parsenow.

      Und weiter rollt der Wagen. In weitem Bogen schnellen die zitternden und springenden Gummiräder den Schmutz von sich, daß da und dort ein Vorübergehender fluchend zur Seite springt und eine leichte Neigung zur Sozialdemokratie in sich erwachen fühlt; schon ist das Gefährt über den großen Stern hinaus, es saust unter der Eisenbahnbrücke durch, wo eben einer Schar ältlicher Damen ein Sturmangriff auf einen vollgepfropften Pferdebahnwagen abgeschlagen wird, und die lange, öde Berliner Straße Charlottenburgs entlang, hinauf zum Rennplatz.

      Beim aussteigen braucht Frau Hilda alle Mühe, sich klar zu machen, daß das wirklich die gleiche Gegend ist, die sie Sonnabend, an Parsenows Seite sah. Freilich ... die Umrisse sind ja noch dieselben, soweit man sie durch die graue, dicke Nebelluft erkennen kann, – die weite, gewellte Hochebene mit ihren Schluchten und Hügeln, rechts das Gehölz, ganz in der Ferne, kaum mehr sichtbar, grau in grau der Wald und ein Gewässer, weiterhin am Horizont einzelne einsam ragende Mietskasernen, und ganz im Vordergrund die großen, mit regenschweren Fahnen geschmückten Holztribünen. die Totalisatorschalter und die sonstigen Gebäude. In sie hat sich alles, was überhaupt da ist, unter Dach und Fach zurückgezogen – die kleine Gemeinde der unverbrüchlichen Turf-Freunde, eine Anzahl Kavallerie-Offiziere und andere Herren der Gesellschaft, einige Sportberichterstatter, die Trainer und Jockeys und natürlich die vollzählig versammelte Gilde der Buchmacher.

      Diese letzteren Gruppen alle haben sich auf dem Sattelplatz, im Restaurant der zweiten Tribüne, versammelt, in dem auch die Musiker der heute concertierenden Garde-Infanterie-Capelle umherstehen. Der Punsch dampft da in großen Gläsern, der Kaffee wird brennendheiß in die Tassen geschenkt und die Cognacflasche kommt kaum aus der Hand der eifrig die Gläschen füllenden Schenkmaid. So ist hier die Stimmung ganz leidlich, man fühlt sich unter sich, derbe Witze im Berliner Dialekt fliegen hin und her und wieherndes Auflachen folgt ihnen.

      Im Restaurant und den Logen der ersten Tribüne herrscht feierliche, beinahe geschäftsmäßige Langeweile. Die Herren, die hier nachlässig herumpromenieren und sich ebenso nachlässig unterhalten, sind in ihre eigenen Gedanken versunken. Neugierige giebt es heute keine unter ihnen. Sie alle sind hier in ihrem Berufe ... als Herren-Reiter, als Rennstallbesitzer oder Wettende, und trotzen gleichgültig den Unbilden des Herbsttags. Die Damen fehlen natürlich fast ganz. Was sollten sie heute hier draußen, wo jede geschmackvolle Toilette in einer Viertelstunde ruiniert ist und dabei noch von fast niemand gesehen wird. So sind die Modeschauspielerinnen und die Sterne der Singspielhallen ebenso zu Hause geblieben, wie der Schwarm der buntgeputzten Halbwelt, die sonst den grünen Plan bevölkert. Nur aus der Gesellschaft sind einige unverdroßene Sportfreundinnen anwesend, junge Frauen, die im Sattel zu Hause und gewohnt sind, hinter dem roten Rock des Masters und seiner Hunde im Galopp durch das krachende Stangenholz und über die wurzelbedeckten Schneisen zu jagen. Mehr als sonst gestatten sie sich heute einen burschikosen Ton. Sie fühlen sich eins mit den Männern und werden von ihnen als gute Kameraden betrachtet.

      Um so mehr Aufsehen erregt es natürlich, als Hilda an Parsenows Arm über den öde daliegenden völlig aufgeweichten Rasen zur Tribüne schreitet. Natürlich hat schon jedermann davon gehört, daß sich Parsenow bei dem vorigen Renntag eine heftige Verlobung zugezogen und von allen Seiten richten sich forschende Blicke auf sie. Zum Glück bewahrt Parsenow wie immer seine unerschütterliche Kaltblütigkeit. Auf seinen Arm sich stützend, fühlt Hilda, wie die Befangenheit schwindet und das verräterische Rot aus ihren Wangen weicht.

      »Jetzt kommt mein letztes Rennen, sagt Parsenow melancholisch, nachdem beide in einer der Vorderlogen Platz genommen und deutet auf das Programm, wo unter I, Dahlemer Hürden-Rennen sein »Cocktail, dbr. H. vom Talbot a. d. Messalinla, a., 61 Kg.« verzeichnet steht ... »ich habe den Schinder schon vor Gott weiß wie lange genannt ... weiß eigentlich selbst nicht mehr warum ... gewinnen kann er ja nicht...«

      »Warum?« fragt Hilde gespannt.

      »... 's ist ein alter Gaul, der seinen Hafer nicht mehr wert ist,« meint ihr Bräutigam, »... na ... immerhin ... es ist ja doch das letzte Mal, daß ich ein Pferd laufen lasse.«

      »Fünfzehnhundert Mark kannst Du darauf gewinnen,« erklärt Hilda, aufgeregt das Programm studierend, »... hier stehts ... 1500 Mark dem ersten, 500 dem zweiten Pferd und so weiter ... ach ... wenn wir gewinnen ... das wäre zu nett... es ist ja doch immerhin eine Masse Geld ...

      »Wenns Dir Spaß macht, so setze doch am Totalisator! ... ich kann nicht mehr ... hab' jetzt schon mein Wort gegeben, nicht mehr zu spielen ... aber Du könntest da einen ganz netten Coup machen, für den unwahrscheinlichen Fall, daß Cocktail wirklich ...«

      »Das ist eine Idee!« Frau Hilda steht auf und späht suchend in der weiten Tribünenhalle umher, in der hier und da, fröstelnd und die Hände in den kurzen gelben Paletots, die Sportsmen bei einander stehen. Nur wenige sitzen. Es ist zu kalt dazu. Denn immer schwerer senkt sich der Nebel auf das regenüberrauschte Feld und in der grauen dunstigen Luft unter dem Tribünendache rieselt es förmlich von Feuchtigkeit.

      Während Frau von Braneck sich noch umschaut, hört sie eine Stimme dicht neben sich. Sie dreht sich um und sieht Parsenow im Gespräch mit einem dicken, vulgär


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