Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.nach einer Stelle. »Es stimmt ...« sagt sie dann mit bebender Stimme, »es ist richtig mit dem Paragraphen ... ich kann vier Wochen nach Beginn der Saison mit vorhergehender vierzehntägiger Kündigung entlassen werden, wenn ich mindestens einmal vorher aufgetreten bin ... ja ... das stimmt alles ... es sind erst zwölf Tage und aufgetreten bin ich ja auch ...«
Die Rätin sieht sie entsetzt an.
»Aber Kind ... um Gotteswillen!«
»Da stehts!« Käthe setzt sich schwer auf den Stuhl am Fenster, »nun ist alles zu Ende!« Und geistesabwesend starrt sie auf den Hof, aus dem eintönig, unerbittlich donnernd, das Teppichklopfen dringt. Die Kinder balgen sich schreiend, der Hund fährt kläffend dazwischen.
In dem kleinen Zimmer herrscht tiefes Schweigen.
Endlich nimmt Frau Krauß einen Anlauf: »Am Ende ist es nur ein Mißverständnis! ... geh doch hin, Kind ... dann kommt vielleicht alles in Ordnung!«
»Ich weiß, was es ist!« sagte Käthe bitter, »das ist die Rache der Ernesti ... die ist wütend auf mich ...«
»Dann geh' erst recht hin, Kind, und sprich mit dem Direktor!«
»Ja ... ich wills thun« ... Käthe steht auf und nimmt Hut und Mäntelchen ... »Eigentlich traue ich es der Ernesti gar nicht zu. Sie ist furchtbar gutmütig in ihrer Art.«
»Dann kann sie Dir vielleicht helfen.«
»Ach Gott!« trübe lächelnd steigt Käthe die Treppen hinunter und schreitet langsam, wie betäubt durch die wimmelnden Straßen gen Westen, bis das Theater in majestätischer Oede vor ihr liegt.
Der Direktor kann sie nicht empfangen. Er hat zu thun. Der Sekretär spricht mit ihr, erst einige allgemeine Phrasen über den schlechten Geschäftsgang, die hohen Betriebskosten ... endlich kommt er auch auf die Kündigung zu sprechen.
Damit hat es allerdings seine Richtigkeit. Man kann sie nicht brauchen. »Sie haben zu wenig Schneid, Fräulein ... Sie stellen auf der Bühne nichts vor, ... es fehlt an Temperament ... an Pikanterie ... da ist nichts zu wollen ...«
»Und finden Sie es denn nicht unbarmherzig?« sagte die kleine Krauß mit gepreßter Stimme, »mich nun einfach hier auf die Straße zu setzen. Was soll ich denn jetzt anfangen in Berlin?«
Der Sekretär zuckt die Achseln. »Kontraktliches Recht... mit dem Gemütsstandpunkt gehts nicht beim Theater ... glauben Sie mir ... Sie hätten ja den Kontrakt nicht zu unterschreiben gebraucht...«
»Und nun sitze ich hier ohne Engagement und ohne Geld.« Käthe wendete sich schluchzend ab ... »wie wird das enden?«
Der Sekretär sieht ihr einen Augenblick prüfend nach; dann geht er hinter ihr her und tippt sie leicht auf den Arm. »Hören Sie mal, Fräulein! Wenn Sie wollen, werd' ich noch einmal mit dem Direktor reden ...«
»Am Ende behält er mich doch!« Käthe ist ganz erbleicht vor Schrecken über dies Glück.
»Ich glaube sicher ... er behält Sie ... wenn Sie nur eben darauf eingehen ... wegen der Gage ... daß dreihundert Mark zu viel sind, müssen Sie doch selbst zugeben.«
»Und wieviel meinen Sie ...?« Käthe hält den Atem an, der Sekretär zuckt die Achseln.
»Ja ... lieber Gott ... vielleicht neunzig Mark ... monatlich ... mehr wohl kaum ...«
Neunzig Mark. Käthe Krauß braucht einen Augenblick, um sich zu besinnen. Jetzt wird ihr die Sache klar. Die Ernesti hat nichts mit der Kündigung zu schaffen. Es handelt sich einfach um eine Gagenreduktion
Ein verzweifelter Zorn steigt in ihr empor.
»Also das ists!« wendet sie sich mit zitternder Stimme zu dem Sekretär, »... erst locken sie mich aus meiner sicheren Stellung am Grünstetter Hoftheater hinweg und versprechen mir die hohe Gage und nun, wo ich hier hülflos in Berlin sitze, wollen Sie mich zwingen, mit neunzig Mark zufrieden zu sein und was ich sonst brauche, anderweitig ... wissen Sie, wie ich das nenne? ... das ist ein Betrug, ein ganz gemeiner Betrug ...«
»Sie können das nennen, wie Sie wollen, Fräulein Krauß!« tönt hinter ihr eine Stimme. Der Direktor steht mit majestätischem Gesichtsausdruck da. »Nach dieser Aeußerung bleibt es selbstverständlich bei der Kündigung. Ich verzichte auf ihr weiteres Auftreten! Den Rest der Gage bekommen Sie geschickt! Adieu!«
Gelassen schreitet er davon. Der Sekretär blickt ihm nach und murmelt halb vor sich: »Und den hab' ich noch als Cigarren-Fritzen in der Rosenthaler Vorstadt gekannt, wie er hinterm Ladentisch stand.«
Am Theater-Eingang steht die Ernesti.
»Nanu? ... wirklich gekündigt?« fragt sie Käthe, die leise weinend vorbeigeht.
»Ja! ... nun kann ich verhungern!«
»Schaffen Sie sich 'nen Liebhaber an!« sagt Erna gefühllos und wendet sich lachend wieder zu dem dicken Komiker, der neben ihr steht.
Auf der Straße fiel es Käthe Krauß ein, daß sie nun ihren Agenten aufsuchen müsse, um zu sehen, ob sie nicht irgend ein Engagement bekommen könne. Die Hoffnung war freilich gering. Eben erst waren zwei Theater gleich nach Eröffnung der Saison verkracht. In allen Agenturen saßen die stellenlosen Mimen und waren froh, von kleinen Provinzdirektoren, die sich bis dahin vorsichtig zurückgehalten, zu lächerlichen Gagen angenommen zu werden.
Auch auf dem Bureau ihres Theater-Agenten sah es nicht besser aus. In dem halbdunkeln Warteraum, an dessen einzigem Fenster zwei Schreiber, über die Pulte gebeugt, eifrig Korrespondenzen erledigten, saßen und standen wohl ein halbes Dutzend Herren und Damen umher und schauten nach der Thüre des Empfangszimmers, hinter der zwei Männerstimmen tönten.
Gleich darauf ging die Thüre auf. Ein heller Lichtstrahl fiel in das Gemach und umfloß die beiden im eifrigen Gespräch Herauskommenden.
»Sie müssen mir eine Naive verschaffen,« sagt der eine, ein eleganter, jüngerer Herr mit sympathischem Gesicht, der, wie Käthe aus dem Geflüster zweier neben ihr stehender Damen entnimmt, der Leiter des vornehmen ›Theater an der Spree‹ ist ... »Sie müssen ... ich kann wegen der kleinen Rolle die Novität nicht herausschieben und habe nun thatsächlich gerade dafür niemanden, der ...«
»Also ist Fräulein Lowinska ernstlich krank?« fragt der Agent, der seinen distinguierten Besucher dienstfertig bis zur Thür begleitet.
»Aber natürlich ... Lungenentzündung ... seit vierzehn Tagen ... mußte gleich ins Spital ...«
»Ja woher 'ne Naive nehmen und nicht stehlen?«
Der Agent sinnt nach ... »es ist gar nichts da eben!«
Käthe fühlt den Mut der Verzweiflung in sich erwachen. Sie tritt auf die beiden zu. »Ach ... verzeihen Sie ... Herr Gorwitz ...«
»Nachher, bitte ... Fräulein ... Fräulein Krauß!«
»Ich hörte eben,« fährt Käthe hastig fort ... »Sie suchen eine Naive ... ich bin eben frei ... ich habe viele naive Rollen gespielt am Hoftheater in Grünstett ... ich kann die Kritiken zeigen ... und ich ...«
»Hm ... am Hoftheater in Grünstett!« Der berühmte Bühnenleiter sieht sie forschend an. Ihr ängstliches Kindergesicht mit den großen blauen Augen gefällt ihm offenbar. Dann wirft er einen fragenden Blick auf den Agenten, der diplomatisch schweigt.
»Kommen Sie morgen um zehn Uhr zu mir zur Sprech-Probe,« sagt er endlich, lüftet höflich seinen Hut und entfernt sich.
»Na ... Sie haben Glück!« sagt Herr Gorwitz, als jener gegangen, ... »nun greifen Sie mal mit beiden Händen zu, liebes Fräulein ... Sie können sich jetzt mit einem Schlag eine Position machen!«
Die Aufregung schnürte Käthe fast die Kehle zusammen, als sie am nächsten Morgen auf der Bühne des »Spree-Theaters« stand, um mit dem Oberregisseur, der ihr die Stichworte markierte, eine Szene aus den »Journalisten« zu spielen. Der Direktor saß daneben am Regietisch und sah sie aufmerksam an. Vor ihr lag in gähnender Finsternis der mächtige