Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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sich nicht einmal um. »Der Kerl hat Haltung!« dachte Parsenow bei sich, während er in sein Zimmer zurückkehrte.

      Dort zündete er sich ein Cigarette an, setzte sich im Schaukelstuhl zurecht und überdachte noch einmal die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden. Es war kein Zweifel ... sie bedeuteten den Wendepunkt seines Lebens. Die eine, jedenfalls die buntere, Hälfte lag abgeschlossen hinter ihm. Es war eine hübsche Reihe Jahre, durch die ihn da die Erinnerung führte, während vor seinen Augen der Rauch in bläulichen Wolken braute und stieg. Erst die Zeit in Kadettenkorps ... roh und öde ... dann das tolle Leben des blutjungen Leutnants von der Garde-Kavallerie, seine Stellung à la suite des Regiments, seine diplomatische Karriere, die so schön begann in dem liederlichen Brüssel, dem leichtsinnigen Stockholm, dem lasterhaften Petersburg, um in dem lachenden Paris zu enden. Dort war er schon etwas verbummelt, ein Roué aus Gewohnheit und Neigung, als ihn wie ein Donnerschlag die Versetzung nach Teheran traf. Da gab es keine Wahl. Entweder auf Jahre der Kultur und allen ihren Freuden entsagen oder als ein freier Mann in der Kultur weiter leben.

      So nahm Graf Parsenow den Abschied. Zehn Jahre sind seitdem verrauscht. Sein Geschick hat sich erfüllt. Die Goldstücke sind davon gerollt, die Banknoten hat der Sturm des Lebens entführt, seine Pferde kommen unter den Hammer, der Weiber ist er überdrüssig, nun winkt ihm die Ruhe, der Frieden.

      Wie im Traume sieht er den Rauch lang aus dem Schornstein eines pommerschen Herrensitzes zu dem lichten Abendhimmel emporsteigen, endlose Kornfelder wogen und schwanken in dem leichten Hauch des Windes, der durch die weißen Stämme des Buchenwalds daherstreift. Vom Stalle tönt das dumpfe Brüllen der Kühe, irgendwo kräht noch ein verspäteter Hahn und kläffen die Dorfhunde zu der Mondsichel empor, die glänzend zwischen den Lämmerwölkchen hervortritt. Er aber, der Gutsherr, reitet in gemächlichem Schritt vom Felde her durch die Dorfstraße seinem Sitze zu. Die flachshaarigen Kinder flüchten, mit Gänsen und Hühnern vermischt, die großen Butterstullen krampfhaft festhaltend, in die Häuser, die Erwachsenen ziehen die Mützen, er dankt freundlich und sieht zu den hellerleuchteten Fenstern seines Hauses empor, hinter denen seine schöne Frau der Heimkehr des Gutsherrn am Abendtisch harrt.

      Ein schönes Bild! In wenigen Wochen konnte es Wirklichkeit werden. Das tröstete den Grafen Parsenow, und als er sich zu dem maßlosen Erstaunen des Kammerdieners schon um elf Uhr schlafen legte, blies er mit der Ueberzeugung das Licht aus, daß er sich das Solidewerden eigentlich viel zu schwierig vorgestellt habe.

      V

       Inhaltsverzeichnis

      Eintönig klang das donnernde Klatschen des Teppichklopfens aus dem Hofe empor, der rechts an den sogenannten Garten angrenzte. Gegenüber aus dem Volksschulgebäude tönte das abgehackte laute Buchstabieren einer Klasse. Zwischen den dürftigen, verkrüppelten paar Bäumen, auf deren Blättern eine dicke Rußschicht lagerte, spielten lärmende Kinder. Ein Hund kläffte dazwischen. Zu beiden Seiten stiegen kahl und öde die hohen Wände der Hinterhäuser empor. Gestickte Strümpfe hingen da und dort an den Fenstern. Frauen in nachlässiger Kleidung und zerzaustem Haar erschienen hinter den Scheiben, keiften schrillen Rufs in den Hof nach ihren Sprößlingen und schlugen das Fenster wieder zu. Von irgendwo her kam das stoßweise Wimmern eines Klaviers. Es war ein nebliger und kalter Morgen.

      Käthe Krauß saß in der guten Stube der kleinen Gartenwohnung, in der sie mit ihrer Mutter zusammen hauste, am Fenster und ließ trübselig das Reklam-Bändchen sinken. Bei solchem Lärm konnte man doch nicht lernen. Aus reiner Langerweile studierte sie die Kameliendame und lauschte seit zwei Tagen ununterbrochen, ob nicht die Thürklingel tönen und der Theaterdiener ihr die neulich der Ernesti abgenommene Rolle der »Satanella« bringen würde.

      Es kam nichts. Auch im Theater war nicht weiter davon die Rede gewesen. Den Direktor hatte sie überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Der saß gestern Abend mit dem fremden Bankier von neulich stundenlang im Direktionszimmer. Dann war auch, während einer Spielpause, die Ernesti hineingegangen, geschminkt und im Kostüm wie sie war, und nach einiger Zeit ausgelassen lachend wieder herausgekommen. Und bald darauf verbreitete sich das Gerücht, der fremde Herr habe sich bereit erklärt, die nötigen Anzahlungen an die Lieferanten zu leisten, so daß das große Ausstattungsstück demnächst in Szene gehen könne!

      Etwas wahres mußte daran sein. Das sah man schon aus der Art, wie Erna seitdem den Bühnenleiter behandelte. Sie war eigentlich die Herrin des Theaters. Alles drehte sich um sie. Auf der Probe wurde jeder ihrer Wünsche befolgt und der Direktor redete von ihr nur noch als von »unserer Ernesti«.

      Sie selbst wunderte sich innerlich am höchsten, daß es ihr sofort gelungen war, van Look dazu zu bewegen, dem Direktor runde 12000 Mark für das neue Stück zur Verfügung zu stellen. Allerdings war dies für ihn der einzige Weg, um möglicherweise wieder in den Besitz der zuvor beim Streik des Chors geliehenen tausend Thaler zu gelangen. Denn das Vaudeville versprach allerdings mit seiner gefälligen Musik, seiner Verschwendung von fleischfarbigem Tricot und der Schlüpfrigkeit seines haarscharf der Censur entronnenen Inhalts einen schönen Erfolg. Aber wer will einen Erfolg beim Theater voraussagen?

      Van Look hatte einen anderen Grund. Ihm lag daran, Aufsehen mit der Ernesti zu erregen, und diese war, nachdem sie nun an die neunzig Mal in demselben, schon im Frühjahr herausgebrachten Stücke aufgetreten war, ein wenig aus der Mode. Die Zeitungen hatten keine Veranlassung, Kritiken über sie zu bringen, in das Theater selbst ging die Lebewelt schon seit einiger Zeit nicht mehr und die kleinen Reklame-Artikelchen von gestohlenen Diamanten, in der Garderobe versengtem Haar, glänzenden Gastspielanträgen nahmen schließlich doch nur die Freibillet-lüsternen Winkel- und Klatschblätter, nicht die großen Zeitungen auf.

      Das alles würde sich ändern, wenn Erna in einer glänzenden, neuen Rolle auftrat! Alle Zeitungen würden darüber berichten, das high-life würde hinströmen, wie es jetzt eben die Logen eines Spezialitäten-Theaters in der Leipziger Straße bevölkerte, um die berühmten »lebenden Bilder« zu sehen, und mit Ernas Triumphe würde natürlich auch die Nachricht von seinen Beziehungen zu ihr in den Kreisen der Wissenden – und nur auf die kam es ihm an – in den Cirkeln der Schadow- und der Potsdamer Straße, in den Casinos und den Hinterzimmern des Weinrestaurants von Mund zu Mund gehen. Ernas Besitz schmeichelte ihn dabei weniger, als die Thatsache, daß er Parsenow den glänzenden Parsenow bei ihr ausgestochen hatte, den berühmten Lebemann und Pistolenschützen, vor dem sich jeder weislich in acht nahm. Erna selbst gefiel ihm eigentlich wenig. Sie war ihm zu laut, zu aufgeregt und lärmend. Sie machte ihn nervös und langweilte ihn zu gleicher Zeit.

      Käthe Krauß wußte von alledem noch nichts. Sie wartete auf ihre Rolle. Freilich mit bangem Herzen. »Wären wir doch in Grünstett geblieben,« wendete sie sich seufzend zu ihrer Mutter, der Steuerrätin, die mit hochgekrämpten Ärmeln das Zimmer fegte.

      »Es wird auch hier gehen!« tröstete sie die Rätin ... »bedenke nur ... dort hattest Du 180 Mark monatlich und hier 300 ...«

      »Ja!« sagte die kleine Käthe betrübt ... »und dann bin ich doch immerhin in Berlin, wo man sein Glück machen kann. Aber es kümmert sich ja niemand um einen. Seit zwölf Tagen spiele ich jetzt in dem dummen Stück und noch ist mein Name nirgends erwähnt und niemand kennt mich ...«

      »Das geht nicht so rasch, Kind ... man muß sich durchbeißen. Wenn man noch nicht vierzehn Tage an einem Theater engagiert ist, kann man ja nicht schon berühmt sein ... die andern haben auch klein angefangen ...«

      »Ach, die andern.« Käthe hat eine bittere Bemerkung auf der Zunge. Sie kommt sich selbst schon beinahe lächerlich vor mit ihrer Solidität.

      Sie geht wieder mit dem Reklam-Bändchen in der Hand murmelnd durch das Zimmer, da tönt draußen die Klingel. Mit pochendem Herzen öffnet sie die Thür. Der Theaterdiener steht draußen. Er überbringt ihr einen Brief der Direktion, läßt sich den Empfang quittieren und verschwindet.

      »Was hast Du denn, Kind?« die Rätin springt ganz erschrocken auf, als Käthe totenbleich wieder in das Zimmer tritt, das Schreiben in der Hand.

      »Nichts, Mama ... nichts,«


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