Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Zügen der letzte Ueberlebende eines der ruhmreichsten Heldengeschlechter Deutschlands sei. Erst als er in das Grill-Room der American-Bar eintrat, wo einige Sportsmen gähnend bei Porter, Coktail und einem Imbiß beisammen saßen, zeigte die ehrfurchtsvolle Begrüßung, das Herbeistürzen der Kellner und die liebenswürdigen Blicke der Bar-Maid, daß ein illustrer Gast seine Einkehr in das Turf-Lokal gehalten. Blitzschnell verbreitete sich von hier die Neuigkeit und als Parsenow von dem Blumenladen kommend, die Linden herauf fuhr, mußte er es bereits erleben, daß eine Gruppe befreundeter Herren ihn mit tiefernstem Leichenbitter-Gesicht von dem Gehweg her grüßten.
Parsenow verdroß das. Während er die Stufen des Hotels mit dem Blumenkorb in der Hand emporstieg, war es ihm, als sähe ihn selbst der begleitende Piccolo mit spöttischem Beileid an, ja, in Hildas Mienen sogar glaubte er, als sie ihm zärtlich lachend entgegentrat, eine Art überlegenen Triumphes zu lesen, das Siegesbewußtsein, ihn glücklich eingefangen zu haben und in den Hafen des Philisteriums zu schleppen.
Aber nein ... bald darauf, als er mit Hilda zusammen auf dem Sofa saß, mußte er sich sagen, daß sie keineswegs philiströs, sondern eine bewundernswürdig kluge und angenehme Frau sei. Er wußte aus den Berichten seiner Freunde, daß es im Brautstand ohne eine Generalbeichte nicht abgeht und hatte sich eben unter Schlucken und Räuspern daran gemacht, Hilda auf die Enthüllung einiger dunkler Punkte in seinem Vorleben vorzubereiten, als sie ihm mit gelassenem Lächeln unterbrach.
»Weißt Du ...« sagte sie und blickte gleichmütig vor sich hin ... »daß Du bis jetzt kein Tugendspiegel warst, daß weiß ich ja. Und mehr möchte ich auch nicht wissen. Am wenigsten die Namen der ... der ...« sie sann nach einem Ausdruck und fand endlich doch nur das Wort: »der Damen, mit denen Du ... weißt Du ... ich will nur die Gewißheit haben, daß es damit aus ist ... jetzt und für immer.«
»Es ist aus,« sagte Parsenow! »jetzt und für immer. Ich gebe Dir mein Ehrenwort.«
»Also!« Frau Hilda atmete tief auf, »damit sind wir fertig.«
»Ebenso,« fuhr Parsenow fort, »gebe ich Dir mein Ehrenwort, daß ich keine Karte mehr anrühren werde ... keine Karte ... auch nicht zu Whist oder Sechsundsechzig ... ich kenne mich ... und endlich ...« er seufzte auf ... »endlich werde ich nächsten Mittwoch meinen Rennstall auflösen. Ich habe schon alles besprochen. Die Pferde werden zwischen dem zweiten und dritten Rennen meistbietend versteigert.
»Du Armer!« sagte Frau Hilda, »aber Du hast recht. Es ist besser so.«
»Wünscht Du sonst noch etwas?« meinte Parsenow melancholisch ... »soll ich in Zukunft bei dem pommerschen Dorfschneider arbeiten lassen und meine Stiefel vom billigen Mann im Dreimarkbazar kaufen?«
»Nein,« erwiderte Hilda, ... »ich will einen eleganten Mann, mit dem man Staat machen kann. Sonst hätte ich Dich gar nicht genommen.«
»Bei aller Eleganz,« seufzte Parsenow und bemühte sich, zerknirscht auszusehen, »bin ich doch Deiner nicht wert.«
»Das glaube ich auch,« sagte die schöne Frau ruhig, »aber was soll man machen ...«
» ... wenn man sich verliebt,« ergänzte Parsenow und drehte träumerisch den dunklen Schnurrbart.
Frau Hilda gab ihm einen leichten Klaps mit dem Fächer. »Komm jetzt! ... es ist Zeit ... Papa wird ungeduldig, wenn wir ihn warten lassen.«
Und wirklich hörten die beiden, als der Kellner vor ihnen die Thüre des Speiseraums aufriß, bereits die dröhnende Stimme des Majors, der den Geschäftsführer beschuldigte, ihm gewärmte Austern und eisgekühlten Bordeaux geliefert zu haben. Aber Parsenow klang das Gepolter des alten Herrn wie Musik in den Ohren. »Gott sei Dank!« dachte er bei sich, ... es ist doch wenigstens keine Schwiegermutter!«
Des Abends freilich, als er allein nach Hause schlenderte, kam die unbehagliche Stimmung wieder über ihn. Er hatte den ganzen Tag solid in der Gesellschaft der Döbelns verbracht, sie in Berlin herumgeführt und sogar mit hochgeklapptem Paletotkragen und scheu um sich blickend, ob ihn auch nicht irgend ein Bekannter bemerke, in das Panoptikum begleitet, für das jene das gewöhnliche, fieberhafte Interesse der Provinzialen zeigten. Und solche solide Tage würden nun einer nach dem andern sich folgen, dreihundertfünfundsechzig im Jahr. Vorbei war es mit Wein und Weib, mit Pferden und Karten und dem ganzen göttlichen Stumpfsinn des High-Life, der ihn so behaglich viele Jahre hindurch umfangen. Er würde nun heiraten wie andere auch, Kinder zeugen und Hausbälle veranstalten und er sah schon seine bisherigen Genossen vor sich, wie sie in irgend einem Hinterzimmer eines Lindenrestaurants gähnend von ihm als von »dem seligen Parsenow« sprachen.
Er hatte geglaubt, das Gefühl des Verlobtseins müsse ihn drücken, aber im Gegenteil ... es war ihm, als ob ihm etwas fehle. Er hatte das Gefühl, als sei er amputiert worden ... und ein wesentlicher Teil seiner selbst war ja auch wirklich dahin. Die Freiheit, die goldene Freiheit war dahin für immer ... der Gedanke drängte sich Parsenow immer wieder auf, während er mechanisch den vorbeigehenden Ladenmädchen unter die Hüte blickte, bis ihm einfiel, daß sich das ja auch für einen Bräutigam nicht schicke. Aber schließlich ... hatte er nicht in vier Wochen eine reizende Frau, die er liebte und die schöner war als alle Konfektioneusen der Welt? Der Gedanke tröstete ihn wieder und er summte ein vergnügtes Couplet vor sich hin, als er in seine Wohnung trat.
Dort wartete ein Herr auf ihn. »Xaver Ritter von Crocevich« stand auf der Visitenkarte, die ihm der Diener im Flur überreichte, und darunter ein Titel, wonach man den kroatischen Edelmann als k. u. k. Oberleutnant a. D. und Herausgeber des »Berliner Argus« zu betrachten habe.
Parsenow kannte diesen Herrn. Es war ein wegen Wechselschulden entlassener österreichischer Dragonerleutnant, der in verschiedenen Städten als Inhaber eines Tattersalls, Manager einer preisgekrönten Schönheit und Begründer eines Privat-Detektive-Instituts das Interesse der Staatsanwälte auf sich gezogen hatte. Seit einiger Zeit hielt er sich in Berlin auf. Man wußte nicht recht, zu welchem Zweck. »Entschuldigen Sie, Herr Graf,« sagte der blonde, schmächtige Mann, der sich bei seinem Eintritt sofort erhob.
»Was steht zu Diensten?« Parsenow bot dem Fremden keinen Stuhl an, sondern musterte mißvergnügt die schreiend elegant gekleidete Gestalt, bis sein Auge an einem haselnußgroßen falschen Brillanten in dem grellroten Schlips seines Gegenübers hängen blieb.
»Es handelt sich da um eine peinliche Indiskretion, die ich vermeiden möchte,« fuhr der andere fort und zog einen langen Korrekturbogen, eine sogenannte Fahne, aus der Tasche. »Da hat Herr Cassel, der mit mir den ›Berliner Argus, Zeitschrift für Salon und Familie‹ herausgiebt, anläßlich Ihrer Verlobung, zu der ich Ihnen von Herzen gratulire, einen Artikel geschrieben ... einen Artikel ... urteilen Sie selbst, Herr Graf, ob nicht Ihr Fräulein Braut ... Pardon ... Ihre Frau Braut indigniert sein wird, wenn sie ihn durch Zufall liest. Es ist da von Ihren Beziehungen zu dem Fräulein Ernesti die Rede ... und auch zu andern Damen ... es ist ein ganz taktloser Artikel ... ich hab' es dem Cassel gesagt ... aber der meint, ich sollte 'mal erst bei Ihnen anfragen, ob es Ihnen wirklich unangenehm ist, wenn ...«
»Also ein Erpressungs-Versuch?« sagte Parsenow und sah den von Crocevich kaltblütig an, »... sagen Sie mal ... das interessiert mich ... finden Sie wirklich noch Menschen, die auf dergleichen hereinfallen ...?«
»Herr Graf!« Der Besucher bemühte sich beleidigt auszusehen, »wenn Sie meinen guten Willen so verkennen ...«
»Oh ... durchaus nicht ...« Parsenow wandte sich ab und suchte nach irgend einem Gegenstand im Zimmer. »Wo hab' ich nur die Reitpeitsche gelassen ...« murmelte er zwischen den Zähnen... »Ein Augenblick nur, Herr von Crocevitch ... Ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung ...«
Aber der andere war schon an der Thüre. »Wie Sie wollen, mein Herr!« zischte er, seinen Hut ergreifend, »vielleicht geht Ihre Partie doch zurück, wenn Frau von Braneck ...«
»Schreiben Sie ihr, was Sie wollen.« Parsenow suchte immer noch nach der Peitsche.
»Jedenfalls aber bedenken Sie eines!« sagte der Fremde. »Unser Gespräch hatte keine Zeugen. Eine Anzeige bei Gericht würde Sie nutzlos in ...«
»Ah ... endlich! ...« Parsenow