Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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eben flüsternd mit, daß »Er« im Zuschauer-Raum sei, als sie sich ziemlich unsanft zur Seite geschoben fühlt. Aufblickend erblickt sie die Ernesti, die sich, ohne weiter Notiz von ihr zu nehmen, mit dem Ausdruck zorniger Spannung zu dem Guckloch niederbeugt. Die Tänzerin hat ein schnippisches Wort auf der Zunge, aber sie will doch lieber nicht mit der Ernesti anbinden und so tritt sie achselzuckend zur Seite.

      »Was haben Sie denn?« fragt hinzutretend van Look die Schauspielerin. Aber er erhält keine Antwort. Wie gebannt starrt Erna nach rechts in den Zuschauerraum ... in die untere Proszeniumsloge, während unter der Schminke allmählich das Rot des Zorns auf ihrem Gesichte aufsteigt. So stehen also die Dinge! ... Ein netter Anblick ... diese Loge! Vorn der Major und Kurt, über irgend etwas auf dem Theaterzettel plaudernd – und dahinter ... ungesehen von den beiden und den paar Leuten im Parkett, Parsenow und die fremde Dame. Sie halten sich an der Hand gefaßt, er spricht leise und langsam, dicht an ihr Ohr geneigt. Sie sieht schweigend vor sich hin, während ein glückliches Lächeln ihren Mund umspielt. Kein Zweifel ... die beiden sind verlobt oder stehen dicht davor!

      »Wer ist denn die Dame in ihrer Loge, Herr van Look?« fragt Erna, sich aufrichtend, mit rauher Stimme.

      »In der Proszeniumsloge ... oh ... das ist Frau von Braneck.«

      »Verheiratet?«

      »Witwe!«

      »Und reich?«

      »Sehr!«

      »Aha!« Ernas Lippen verziehen sich spöttisch. Sie und der Bankier sehen sich an und beginnen plötzlich zu lächeln. Van Look fühlt, daß dieser Augenblick benutzt werden muß.

      »Ich würde Sie gerne mal besuchen und Ihnen näheres darüber mitteilen,« sagt er zögernd, »aber ich weiß nicht ...«

      »Kommen Sie nur ... recht bald!« Erna hält ihm ihre schmale Hand hin.

      »Ich danke Ihnen. Also denn auf Wiedersehen!«

      »Auf Wiedersehen.«

      Als vorsichtiger Mann nimmt der Bankier, nachdem er wieder in die Loge eingetreten, Parsenow bei Seite. »Ich war eben auf der Bühne,« meint er, »teure Sache ...«

      »Kenne das!« erwidert Parsenow gelassen.

      »Dann unterhielt ich mich mit Fräulein Ernesti. Sie schien etwas ungehalten auf Sie zu sein.«

      »Meinetwegen.«

      »Sagen Sie mal!« van Look dämpft seine Stimme bis zum Flüsterton ... »Entschuldigen Sie die Frage ... wie stehen Sie eigentlich mit der Dame?«

      »Von morgen ab gar nicht mehr. Ich habe wichtigere Sache vor.«

      » Tant mieux pour moi

      »Gratuliere Ihnen!« Mit ironischem Händedruck beendet der Graf die Unterhaltung ...

      Inzwischen hat hinter den Kulissen der Direktor die Gagen ausgezahlt. Aller Augen strahlen. Eine festliche Stimmung herrscht in dieser Welt von Pappe, Leinwand und Strickwerk. Überall klimpert und klingt das Geld. Von wo es gekommen, kümmert niemand. Manche wissen noch nicht einmal etwas von Parsenows Unfall und in den Gruppen der halbwüchsigen Ballettratten, der ältlichen Choristinnen und der Arbeiter geht immer noch der Name Satanellas von Mund zu Mund.

      Man wird ihn nicht mehr häufig aussprechen. Fern bei den Höhen von Westend rumpelt ein schwerfälliger Karren über das nächtliche Feld, der Abdeckerei zu. Drei Pferdebeine starren von dem plumpen Gefährt schräg in die Luft, das vierte hängt gebrochen nieder und daneben schaukelt mit heraushängender Zunge und verglasten Augen der Kopf der edlen Stute, die gestern noch der Augapfel ihres Besitzers, der Stolz des Stalles, die Hoffnung von Tausenden war. Und wie rasch wird man jetzt das schöne Tier, sobald es der Wasenmeister mit seinen Gehülfen eingescharrt hat, vergessen! ... beinahe so rasch, als ob es ein Mensch gewesen wäre ...

      IV

       Inhaltsverzeichnis

      Am folgenden Tage fühlte sich Parsenow geradezu auffallend wohl und leicht. Endlich einmal eine Entscheidung, wenn auch eine andere, als er gehofft. Etwa hunderttausend Mark Schulden, zweihundert Mark im Vermögen ... ein klippes, klares Rechenexempel und als dessen einzige Lösung die Heirat. Er hatte sich noch am Abend vorher mit Hilda verlobt; nicht in eigentlicher Form, aber doch so, daß kein Mißverständnis, keine Enttäuschung mehr möglich war. Sein Mund sprach aus, was beide schon seit lange wußten, ihre Augen trafen sich und ein Händedruck besiegelte verstohlen in dem dunklen Hintergrund der Loge ihren Bund, ohne daß sie ahnten, wie durch das Guckloch des Vorhangs ein zornig brennendes Augenpaar unverwandt auf sie starrte.

      Der Kammerdiener sann vergebens über den Grund der guten Laune seines Herrn nach, während er das Bad richtend mit dem Thermometer durch die lauwarme Flut fuhr. Er wußte von dem Unfall auf dem Rennplatz; der Kutscher hatte ihm erzählt, daß der Graf den ganzen Abend mit den Döbelns zugebracht und dann sofort nach Hause gefahren sei. Ein Spielgewinnst war mithin auch nicht möglich ... was also sonst? Ein Glück, daß der Diener nichts von Parsenows Heiratsplänen ahnte. Er hätte sofort gekündigt! Er war als korrekter Valet de Chambre unverheiratet und verlangte dasselbe von seiner Herrschaft. Auf Stellungen in Familien ließ er sich prinzipiell nicht ein ...

      Als er seinem Herrn den Thee servierte, sah ihn dieser halb belustigt an. Verrückte Situation! dieser Mann, der ehrerbietig vor ihm stand, war in diesem Augenblick wahrscheinlich hundertmal reicher als er, der Graf, der ihm nicht einmal seinen Lohn zahlen könnte, wenn heute zufällig der Erste wäre. »Am Ende weiß der Kerl schon alles!« fuhr es Parsenow durch den Kopf. Es war ihm, als spiele ein ironisches Lächeln um die schmalen, glatt rasierten Lippen des Lakaien. Aber nein ... das war eine Täuschung. Das Gesicht des Dieners war unbeweglich wie gewöhnlich und lautlos wie sonst glitt er hinaus, als im Vorflur der dumpfe Klang einer Metallschale zeigte, daß ein Besucher an der Treppenthüre stand.

      »Herr Krakauer!« meldete der Diener, den Kopf hereinstreckend, in erwartungsvollem Flüstern.

      »Rein!« Parsenow lächelte. Der kam ihm gerade gelegen.

      Herr Krakauer trat ein, Hut und Stock in der Hand, sagte geschäftsmäßig guten Morgen und ließ sich ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten, in einen Fauteuil sinken.

      Parsenow schob ihm schweigend die Cigarettenschachtel hin.

      So saßen sich beide gegenüber und rauchten. In langen Streifen zog der bläuliche Dampf durch das Zimmer. Keiner rührte sich.

      Endlich brach Krakauer das Schweigen. Er sah den Grafen an und sagte dann gedehnt:

      »Nu? ...«

      »Was denn?« Parsenow lächelte.

      »Ich frage ... was nu?« wiederholte der Geldmann.

      »Ja ... wenn Sie's nicht wissen, Herr Krakauer!«

      »Herr Graf,« der andere schob seinen Stuhl näher heran und dämpfte seine Stimme ... »wie wärs mit meinem Vorschlag von neulich?«

      »Ich habe keine Ahnung mehr,« sagte Parsenow und zündete sich eine neue Cigarette an.

      »Herrgott .. die Dame, von der ich Ihnen sprach ... durchaus achtbar ... eine Million bar ... ganz hübsche Erscheinung ...«

      »So!«

      »Der Großvater war schon getauft ... ich schwör' es Ihnen ...«

      »Mag er Mormone gewesen sein!« erwiderte Parsenow kaltblütig, »... ich reflektiere nicht darauf ... ich habe die Schwäche, mich für einen Gentleman zu halten und ein derartiger Schacher ...«

      »Herr Graf ... thun Sie mir den einzigen Gefallen ... keine philosophischen Redensarten ... davon lebt man nicht ...«

      »Gut! Bleiben wir bei der Sache.« Der Graf sieht seinen Besucher scharf an .. »ich bin verlobt.«

      Herr Krakauer springt unwillkürlich halb in dem Fauteuil empor. »Mit


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