Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.ja, Papa ... wenn Du soviel Selbstüberwindung besitzest, mich dahin zu führen, dann gern ... aber ich weiß ja ... dergleichen Dinge sind Dir ein Greuel ...«
»Na wenn schon,« brummt der Major unwirsch, »gehen wir schon hin! Sie begleiten uns doch, Graf ...«
Ins Edentheater! Parsenow kommt der Gedanke so komisch vor, daß er Mühe hat, nicht laut aufzulachen. Ins Edentheater ... da kann es nett werden, heute Abend, wenn sich der Direktor nicht doch noch irgendwoher Geld verschafft hat. Und dann die Ernesti... Verstohlen blickt er auf Hilda, die ganz unbefangen dasitzt. Sie hat ihn heute gesehen, wie er mit der Schauspielerin sprach. Aber schließlich ... die Ernesti ist hübsch, sehr hübsch, in Civil wie auf der Bühne und ein bißchen Eifersucht schadet nie. Das weiß der Graf am besten.
»Ob ich mitkomme?«, wendet er sich zu dem Major, »aber mit dem größten Vergnügen, wenn es die gnädige Frau gestattet?«
»Warum nicht?«, sagt Hilda harmlos. »Es wird mich freuen. Sie sind dort gewiß wie zu Hause und können uns allerhand erzählen.«
»Ich könnte wohl, Gnädigste ... aber ich werde es nicht thun!«
»Sie mögen wohl Ihre Gründe haben,« meint die schöne Frau gelassen und sieht ihn erwartungsvoll an. Aber der Major unterbricht sie: »Na ... nu los, Kinder ... es ist schon fünf Minuten nach sieben ... Gut, daß wir schon Plätze haben ... es wird gewiß ganz voll werden ... nicht wahr, lieber Graf ... die Ernesti ist ja, wie ich höre, eine sehr tüchtige Schauspielerin?«
»Gewiß«, bestätigt Parsenow mit ernstem Gesichte, »außerordentlich tüchtig!«
Mit verheißungsvollem Glanze strahlen die großen Lampen, an der Rampe des Edentheaters in die klare Herbstnacht hinaus. Von allen Seiten naht das Publikum, in langer Reihe fahren die Wagen vor. Die Kutschenschläge klappen .. ein Lichtstrahl flimmert auf dem Helm eines berittenen Schutzmanns und beleuchtet ein nickendes Pferdehaupt, die heiseren Stimmen der Theaterzettel-Verkäuferinnen tönen von der Straße und in den Ecken treibt der lichtscheue Schwarm der Billethändler sein Wesen.
Betritt man den Vorflur, in dessen Mitte ein tadellos majestätischer Portier in Dreimaster und langem Mantel, eine Silberkeule in der Hand, unbeweglich prangt, dann freilich könnte dem Eingeweihten auffallen, daß der Theaterkassirer durchaus nicht soviel zu thun hat, als man nach dem Andrang vermuten sollte. Ab und zu tritt jemand an die Kasse. Aber auch dann sieht man meistens kein Geld. Ein Kopfnicken, das Murmeln eines Namens, die Vorzeigung eines Bons genügt zumeist, um eine Einlaßkarte herbeizuzaubern. Ab und zu freilich zahlen auch harmlose Menschen, die sich heute, am Sonnabend, die Freude des Theaterbesuchs gönnen. Und um ihretwillen ist eigentlich das ganze Heer der »Beisitzer«, der Freibillet-Inhaber, zunächst aufgeboten.
Nichts schrecklicher als ein leeres Haus, in dem die Parkettreihen trostlos gähnen und im Hintergrund der leeren Logen das Gespenst des Kraches kauert, in dem die paar Besucher beinahe verlegen werden, sich allein von den vielen Leuten auf der Bühne etwas vorspielen zu lassen und endlich gedrückt weggehen, um überall zu erzählen, in dem X.-Theater sei es hundeleer. Nichts schrecklicher als das ... jeder Direktor weiß es und füllt sein Haus mit allen Mitteln. In alle Richtungen der Windrose flattern die Billete, an die Zeitungsredaktionen und die Hotels, an den Lieferanten des Theaters, an alle Menschen, die irgendwie mit den Bühnen geschäftlich in Berührung kommen, an die Präsidenten der zahllosen Rauch- und Kegelklubs, an die Gesangs- und Theater-Vereine, in die Friseurstuben und wo man sonst noch Abnehmer vermutet. Des Abends zeigt sich dann der Mühe Lohn. Eine fröhliche Menge füllt erwartungsvoll das Haus, klatscht und jubelt nach allen Aktschlüssen, und auch der zahlende Teil des Publikums, der heute etwa ein Viertel beträgt, wird milder gestimmt, wenn er diese naive, ihm unerklärliche Anspruchslosigkeit sieht, und amüsiert sich schließlich mit den andern. Der Kassierer freilich lacht sardonisch vor sich hin, wenn er am nächsten Morgen im »Kunst-Teil« irgend eines Winkelblättchens die Reklame-Notiz der Direktion liest, es hätten gestern wiederum wie allabendlich Hunderte vor dem ausverkauften Hause umkehren müssen.
»Siehst Du wohl!« sagt Major von Döbeln befriedigt, als er sich mit seiner Gesellschaft in der unteren Proszeniums-Loge, dicht an der Bühne, niedergelassen hat, »siehst Du wohl, daß es ein gutes Stück ist! Das ganze Theater ist voll.«
»Und dabei spielen sie es schon zum siebenundachtzigsten Mal«, erwiderte Hilde, in das Programm blickend, »fabelhaft ... dies Berlin ...«
»Ich weiß nicht«, bemerkt ihr Bruder, der Leutnant, »neulich wollten sie 'mal hier ein neues Stück geben. Es war schon angekündigt; aber nun scheinen sie es doch wieder verschoben zu haben.«
»Nu natürlich«, brummt der Alte, »solang alle Leute das hier noch sehen wollen ... Danach muß sich doch so'n Direktor richten.«
Parsenow sitzt schweigend hinter Hilda. Beim Eintritt hat er eine ihm wohlbekannte Gestalt erblickt, einen unscheinbaren Mann mit mißvergnügtem Gesicht. Er hat den Gerichtsvollzieher schon zwei oder dreimal hier gesehen ... er weiß auch durch Erna, daß er heute früh schon die ganze Tageskasse abgeholt hat. Nun ist er schon wieder da. Der Direktor hat also offenbar kein Geld aufgetrieben. Er wird den Chor nicht zahlen können ... der Chor wird nicht auftreten ... eine nette Geschichte giebt das ...
Und unwillkürlich lächelnd schaut er in den Zuschauerraum. Ringsum frohe Gesichter, ein erwartungsvolles Summen, knitternde Zettel, ein leichter Parfümgeruch. Das ganze Haus strahlt im Lichterglanz. In bläulichen Fluten gießt sich der elektrische Schein über den roten Sammt der Logenbrüstungen, das weißgoldene Getäfel der Wände und die dunkle Menschenschar unten im Parkett. Die Luft ist angenehm warm, das ganze Haus atmet wohlige Heiterkeit und mit gemächlicher Spannung blickt man auf den schweren Gobelin-Vorhang, hinter dem Poltern und zuweilen ein lebhafter, mühsam gedämpfter Stimmenwechsel erklingt.
Natürlich ... man stellt die Kulissen auf ... was sonst?
Und schon hat der Kapellmeister mit schnell entschlossener Geistesgegenwart den Taktstock ergriffen. Die Musik setzt ein. Ein Wiener Walzer zieht schmeichelnd durch das Theater. In träumerischem Leichtsinn wiegen sich die Töne, es hüpft und trillert dazwischen wie die rasch plätschernden Wellen der blauen Donau und löst sich wie ein bunter Traum allmählich auf in leise verhallende Accorde ...
Die Musik ist verstummt. Der Vorhang bleibt unbeweglich. Das Gepolter hinter ihm hat aufgehört, aber der Stimmenwechsel nimmt mehr und mehr an Stärke zu. Man hört einen tiefen Baß, dann ein paar Frauenstimmen durcheinander, ein verzweifeltes Pst ... Da ist irgend etwas nicht in Ordnung ... Das leuchtet selbst dem loyalsten Theaterbesucher ein.
Der matt herniederhängende Gobelin trennt in diesem Augenblick zwei Welten. Vor den Rampen die Schaugier des Publikums, dessen harmlos-freundliche Laune angesichts der Verzögerung immer mehr in Verstimmung umschlägt, auf den Brettern der Kampf ums Dasein, der Streit zwischen dem Chor, der nicht verhungern will, und dem Direktor, der die Gage nicht zahlen kann. Verzweifelnd steht der große, vierschrötige Mann auf der Bühne, der Schweiß rinnt ihm in dicken Tropfen über das rote Gesicht... er bittet und flucht... alles umsonst ... das Verhängnis, das schon seit dem Ersten des Monats jeden Abend drohte, ist eingetreten... Chor und Comparserie streiken, bis sie ihr rückständiges Geld erhalten, und die Theaterarbeiter schließen sich ihnen an.
In dichten Gruppen stehen sie zusammen auf der hellerleuchteten Bühne, die eine romantische Felsenlandschaft darstellt. Eine seltsame bunte Gesellschaft... lange dünne Choristen in Ritter-Rüstung, kleine Balletteusen in duftigen Gaze-Röckchen, Kulissenschieber im Handwerksanzug, ältliche, als Edeldamen verkleidete Choristinnen mit dem Strickstrumpf in der Hand, Theaterkinder, in fleischfarbigen Tricots, mit Engelflügelchen an den Schultern und frechem Lächeln auf dem frühreifen Gesicht... und vor ihnen händeringend, beschwörend, flehend der Bühnenleiter, der Regisseur, der Inspizient, der in Filzschuhen umherschleicht, die Linke mechanisch um die Handglocke preßt, die er in der Rechten hält, und angstvoll flüsternd zur Ruhe mahnt.
»Es giebt ja Geld... gedulden Sie sich nur...«
»Erst sehen! I glaub's nöt!« tönt der Bierbaß des Komikers aus den Kulissen.
»Wenn ich Ihnen mein Ehrenwort gebe, Herrschaften...«