Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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ist wie vor den Kopf geschlagen. Er steht noch immer auf derselben Stelle. Er hört das Hurrahgeschreih der Menge, die Klänge des Torero-Marsches aus dem Musiktempel, und heftet den Blick unverwandt nach dem blaßblauen Horizont, wo dicht am Koppelrick, eine lange Scheibenstange hastig hin und her geschwenkt wird, das Signal, Arzt und Tragbahre zu schicken. Mr. Cook scheint also schwer verletzt. Aber Parsenow ist das jetzt gleich. Er hat nur für den einen Gedanken Raum: was ist mit Santanella geschehn? An den Reiter denkt er eigentlich weniger.

      Er könnte ja gehen und fragen. Oben von der Tribüne hat man die Sache wohl gesehen. Aber ihm graut vor der Gewißheit. Ziellos schlendert er über den Platz hinter der Tribüne. Da und dort schlägt das Wort »Satanella« an sein Ohr ... dann etwas von dem Wäldchen ... ein Ausruf des Bedauerns aus Frauenmund ... ein kräftiger, männlicher Fluch ...

      Und wieder bleibt er stehen ... wahrscheinlich ist das Tier ausgebrochen und entlaufen ... natürlich entlaufen ... ein Gaul braucht doch nicht gleich zu stürzen! Man fängt sie ein ... das nächste Mal. siegt sie ... du lieber Gott ... dergleichen kommt ja vor ...

      »Eine böse Sache, Herr!« sagt plötzlich eine Stimme neben ihm. Da steht sein Trainer, einen Kasten unter dem Arm.

      »Ah ... Sie ... was ist ...?« Parsenow fühlt plötzlich einen unerträglichen Krampf in der Herzgegend ... ein Gefühl, wie wenn alles in ihm kalt würde ...

      »Ich wollte nur fragen ...«, der Trainer sieht auf den Pistolenkasten, » ... wollen Sie selbst oder soll ich ...«

      »Satanella erschießen« ... der Graf lacht geradezu herzlich auf ...

      Sein Trainer sieht ihn etwas verwundert an. »Es ist doch das linke Vorderbein entzwei, Herr Graf« ... sagte er zögernd ... »Der Roßarzt hält es für eine unnütze Quälerei, wenn ...«

      »Wo wars,« unterbricht ihn Parsenow rauh... »in dem Wäldchen ... nicht wahr ...?«

      »Bei der vorletzten Hürde ... Sie sprang wieder wie gewöhnlich zu kurz ... Ein Wunder, daß sich der Leutnant von Wendlau nichts gethan hat.«

      »Gar nichts?«

      »Ein paar Kontusionen. Ich glaube, er hat keine Schuld an der Geschichte.«

      »Schießen Sie den Gaul tot,« sagt Parsenow, steckt sich eine Cigarrette an und geht wieder zur Tribüne.

      Eigentlich ist ihm jetzt wohl zu Mut. Seit langen Jahren ist er zum ersten Mal in einer ganz klaren und bestimmten Lage. Er ist ruiniert ... einfach ruiniert ... das ist kein Spaß, aber man weiß doch wenigstens woran man ist.

      Die Erregung von vorhin ist bis auf die letzte Spur geschwunden. Er nimmt gleichmütig da und dort die Kondolenzen in Empfang, er wechselt leutselig einige Worte mit der Tip-Tante, jener bekannten Verkäuferin der Voraussagungen für die Rennen, er erwidert mit besonderer Nachlässigkeit den ironisch-höflichen Gruß des Herrn Krakauer, seines Geschäftsfreundes, der wie gewöhnlich prachtvolle Diamantenknöpfe auf einer schmutzigen Hemdbrust trägt, ein schönes auffallendes gekleidetes Mädchen, der er kaum bis zur Schulter reicht, am Arm mit sich herumschleppt, und mit gleichgültigem, beinahe matten Blick die Schar seiner Opfer in Civil und Uniform ringsum mustert. Er ist kein Wucherer, bewahre, ein einfacher »Geldmann« und doch bricht im Leben der Weltstadt sein Einfluß zuweilen an Stellen hervor, wo man es nicht für möglich halten sollte.

      Der Graf weiß, daß er sehnsüchtig erwartet wird. Und als er sich Frau von Braneck nähert, sieht sein geübtes Auge mit einer gewissen Genugthuung, daß die schöne Frau geweint hat! Sie selbst giebt es errötend zu. Das Mitgefühl mit seinem Pech, das Erbarmen mit dem armen Pferd, die Trauer um das Zehnmarkstück, der Schrecken über den Sturz, das alles ist ihr in eine unbestimmte Empfindung von etwas sehr Traurigem und Widerwärtigem zusammengeflossen, und um so lebhafter äußert sich nun ihre Freude, ihr geradezu kindliches Staunen, als sie Parsenow wider alles Erwarten so gefaßt, ja geradezu heiter sieht. Er imponiert ihr dadurch noch mehr. Sie blickt bewundernd zu ihm auf.

      »Na ja ... so ist's recht, lieber Graf,« sagt auch der Major und klopft ihm auf die Schulter, »immer den Kopf hoch ... gefällt mir ... denken Sie nicht weiter an die Geschichte ... wir bleiben den Abend beisammen und muntern Sie auf ... was?«

      »Gern!« Parsenow ist mit allem einverstanden. Er muß selbst innerlich über seine Ruhe lachen. Ein komisches Gefühl, ruiniert zu sein, ... ein ganz neues Gefühl ... das ist's ... das regt ihn, den blasierten Lebemann, so angenehm an ... ein totaler Zusammenbruch ... das hat er noch nicht durchgemacht! Er ist geradezu gespannt, wie die Geschichte enden wird ...

      Inzwischen sind die letzten Rennen gelaufen. Man drängt zum Aufbruch. Parsenow bietet den Herrschaften seinen Wagen zur Heimfahrt an und bald rollen sie die Chaussee dahin, der Major und Hilda auf dem Rücksitz, vor ihnen Parsenow und der Leutnant. Rings um sie setzt sich die Wagenburg in Bewegung. In endlosen schwarzen Reihen rollt es den Hügel hinab, der dunkle Strom der Fußgänger quillt zu beiden Seiten, die Colosse der Pferdebahn gleiten langsam durch das Gedränge, mit Hornstößen bahnen sich die Viererzüge den Weg, durch die zahllosen Droschken erster Klasse schlüpfen die Gigs und Dogcarts, schaukeln behäbige Equipagen mit würdevollen Kutschern ... dazwischen da und dort ein schmutzstarrendes Arbeitsfuhrwerk mit einem höhnisch grinsenden Fuhrmann, vorsündflutliche Kremser, Tandems mit vor einander gespannten, kunstvoll gelenkten Pferden. Und in den buntscheckigen Fahrzeugen die buntscheckige Menge, Mitglieder des Unionklubs, Buchmacher, Taschendiebe, Offiziere, Damen der großen Welt, Hochstapler, die Halbwelt aller Grade, Kriminalbeamte, Schlächtermeister und Zahlkellner, alles, alles, rollt einträchtiglich durch den Tiergarten dahin.

      Der aber glänzt in seinem buntscheckigen Laube, ein würzigen Hauch weht durch die Stämme, die Räder rasseln, die Peitschen wehen und von dem blaßblauen Herbsthimmel lacht die Sonne über Gerechte und Ungerechte.

      III

       Inhaltsverzeichnis

      Eine Stunde darauf sitzen Graf Parsenow mit dem Major und den Seinen ganz gemütlich in einem der vornehmen Lindenrestaurants. Sie haben soeben zu Mittag gespeist – allerhand Firlefanz und Kinkerlitzchen, wie es der Alte knurrig nennt. Keine Spur von einem vernünftigen Stück Fleisch oder einem ordentlichen Teller Gemüse ... nur allerhand lächerlicher Imbiß ... ein Rebhuhnflügel ... ein paar Spargelstangen ... ein fingerlanges Stückchen filet de sole ... ein winziges Häufchen Sauerkraut, melancholisch von ein paar gebackenen Austern gekrönt ... ein thörichter Artischocken-Boden, und der Himmel weiß was noch. Gott sei Dank ... in Pommern speist man solider. Der Major wird beinahe wehmütig bei dem Gedanken, wie schön und ungestört man dort jetzt leben, essen, trinken und schlafen könnte.

      Sonst gefällt es ihm in dem Lokal ganz gut. Ein traulicher Raum mit weichen Bodenteppichen, über die geräuschlos die Tritte der Kellner gleiten, mit langen Spiegeln in denen sich flimmernd der bläuliche Schein der birnenförmigen Glühlichtlampen bricht. Es herrscht eine angenehme Ruhe ... die Kellner verkehren nur im Flüstertone ... die Gäste murmeln mit einander an den weitabstehenden Tischen ... an den Fenstern dämpfen schwere Vorhänge das Geräusch der Straße ... kurz ... wenn man schon verurteilt ist, sich in Berlin aufzuhalten, mag es hier noch am ersten gehen. Herr von Döbeln hat sich eine Cigarre angesteckt und sieht behaglich zu, wie der bläuliche Rauch das Sektglas umspielt, von dessen Boden, im Kerzenlicht flimmernd, ununterbrochen eine Säule von perlenden Bläschen emporsteigt. Halb neugierig, halb mißfällig sieht er dem glattrasierten Kellner zu, der discret das Tischtuch abfegt und in braunem Porzellangeschirr den Kaffee und die Liqueure serviert. Es ist, als ob er etwas erwarte ...

      Und richtig ... da tritt ein Ausläufer des Restaurants ein, wird an den Tisch des Majors gewiesen und nähert sich ihm mit abgezogener Mütze. Er legt vier Theaterbillete vor den Alten hin, der sie schmunzelnd in Empfang nimmt und ihn mit einem Trinkgeld entläßt.

      »Was hast Du denn da, Papa?« fragt Frau Hilda über den Tisch hinüber.

      »... oh ... das ... die Billete ...«, der Major scheint etwas verlegen, »Du wolltest doch heute Abend durchaus ins Eden-Theater gehen!


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