Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.»Und wenn Du verlierst?«
»Dann bin ich nicht zu sprechen,« sagt der Graf ruhig, »merk' es Dir bitte ... absolut nicht zu sprechen.«
»... als ob es mir Spaß machte, dann Deine schlechte Laune auszuhalten!« Erna wendet sich trotzig ab, »also viel Glück!«
Auch noch Glück wünscht ihm das unvernünftige Mädchen! Wäre Parsenow abergläubischer, so könnte ihn das wirklich verstimmen. Aber auch so schreitet er mit ziemlich umwölktem Gesicht auf Frau von Braneck zu.
»Ich komme nur auf einen Augenblick, verehrte Frau, um mich vorzustellen ...«
»Bitte ... lassen Sie sich nicht stören, Graf.« sagt die schöne Frau unmutig, »ich sehe, Sie haben da unten Bekanntschaften ...«
».... Denen man nun einmal in Berlin nicht entgehen kann,« erwidert Parsenow gelassen ... »sollte ich wirklich so glücklich sein, damit Ihren Unmut hervorgerufen zu haben?«
»Ich bin gar nicht eifersüchtig.« sagt Frau Hilda vorschnell und errötet gleich darauf lebhaft. Parsenow lächelt leise, der Major schmunzelt vor sich hin, das Eis ist gebrochen und eine lebhafte Unterhaltung gerät in Fluß. Natürlich dreht sie sich um Satanella. Frau von Braneck hat bereits ihren Bruder beauftragt, zehn Mark auf sie zu setzen und ist in großer Erregung über den Ausgang der Finanzoperation. Endlich verabschiedet Parsenow. Es ist die höchste Zeit. Nach dem Rennen verspricht er bestimmt, sich noch einmal zu zeigen, und schreitet dann schnell durch die zerstreuten Gruppen zum Sattelplatz. Sein Herz pocht hörbar und er muß unterwegs stehen bleiben, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen.
Das erste Glockenzeichen!
Das große Ereignis naht. Geschäftig trotten, Programm und Bleistift in der Hand, die Sportfreunde zu dem Nummerpfahl, in dessen breite Scheibe die Beamten eben die Ziffern einfügen. Wenige Schritte davon stehen die dichten Klumpen der Buchmacher und ihrer Kundschaft. Es raunt und krächzt und wispert in diesem heiligen Kreise. Ein zischelndes Stimmengewirr steigt daraus hervor, die Namen Floßhilde und Satanella schlagen immer wieder an das Ohr.
Ah! Endlich geht die Zifferntafel in die Höhe. Die Bleistifte geraten in Thätigkeit. Man notiert die Namen der laufenden Pferde und der Reiter, man prüft noch einmal das Gewicht, man schwankt und überlegt, man zieht Freunde zu Rat und sucht Brocken aus der Unterhaltung der Buchmacher aufzuschnappen und endlich beginnt das Rasseln und wird immer stärker und stärker. Der Totalisator gerät in Thätigkeit.
Frau von Braneck findet es zwar außerordentlich ungalant, daß den Damen der Eintritt in das umzäunte Viereck mit seinen langen Schalterreihen verboten ist, aber es interessiert sie doch, sich von außen das Getriebe anzusehen. Es herrscht innen ein Getümmel, daß man kaum mehr vorwärts kann. Die Drehthüren der schmalen Pforten sind in unaufhörlicher Bewegung. Eine Masse Menschen laufen da aus und ein, verhandeln aufgeregt wispernd mit außen stehenden Genossen, gestikulieren über dem zerknitterten Rennprogramm und stürzen endlich, die Börse in der Hand, zu einem der Schalter, an denen die Einsätze zu zehn, zwanzig und fünfzig Mark entgegengenommen werden. Immer wilder wird das Stimmengewirr; es übertönt selbst die Wettmaschine und immer wieder schallen aus dem Trubel die Ziffern sieben und elf... andere Zahlen dazwischen ... dann abermals sieben und elf ... und elf und sieben ...
Sieben ist die Nummer Floßhildes, der heißen Favoritin. Elf trägt Parsenows Satanella. Ihr wendet sich das Interesse des Publikums mehr zu, als den einzelnen Wettern lieb ist. Man weiß, daß man auf die unbesiegliche Floßhilde so gut wie nichts herausbekommt – 12 zu 10 gab es das letzte Mal – und so wagt man einen Coup mit dem importierten Pferd, der für den Fall seines Sieges den Anhängern reichen Lohn verspricht.
»Satanella gewinnt ganz gewiß. Alle Welt setzt auf sie,« sagte Hilda zuversichtlich zu ihrem Bruder, der sie und ihrem Vater hundert Schritte weiter nach hinten zu den Sattelplatz führt.
Dort reiten die Teilnehmer des Rennens in langer Reihe hintereinander auf dem länglichen Zirkel. Einzelne Pferde kommen noch in langsamem Schritt dazu, von Stallburschen geführt, die Reiter lässig in den Sätteln, mit dem Zaumzeug beschäftigt oder mit erzwungener und wirklicher Gleichgültigkeit um sich blickend. Es sind fast nur Offiziere. Kavalleristen aller Art, ein Feldartillerist, zwei Herrenreiter vom Civil im Dreß. Ein oder zwei haben stark gefrühstückt, ein paar andere sehen etwas blaß aus. Fast alle verhalten sich schweigsam, winken da und dort einem Bekannten zu, klopfen dem Pferde auf den Hals oder murmeln ein paar Worte zu dem nebenher gehenden Trainer. Auch in dem Kreise der gedrängt umher stehenden Sportfreunde herrscht andachtsvolles Schweigen. Eine Unterhaltung wird nur an wenigen Stellen und auch da im Flüsterton geführt.
Das zweite Glockenzeichen ... gewaltige Aufregung auf dem ganzen Platz. Der Totalisator arbeitet mit Hochdruck, seine Stempelmaschinen rasseln. »Eins auf die elf! ... Eins auf die sieben!« tönt es immer wieder aus den Schaltern, und heiseres Gemurmel klingt aus der Ecke links hinten an der Tribüne, dicht bei der Restauration, wo die Buchmacher ihr ständiges Hauptquartier besitzen. Bleistift und Notizbuch sind da in fieberhafter Bewegung, in den gekrümmten Handflächen klirren die Gold- und Silberstücke, die Banknoten rascheln zwischen plumpen Fingern ... das ist der Augenblick, wo die eigentlichen großen Geschäfte gemacht werden! In diesem Moment, wo die große Masse der Wettlustigen bereits ihr Geld gesetzt hat und eine Verkürzung der Odds nicht mehr möglich ist, fliegt häufig erst der Tip des Tages in pfeilschnellem Laufe, in geheimnisvollem Geflüster von Ohr zu Ohr durch die Reihen der Eingeweihten, die nun eben noch Zeit haben, hastig die Combination auszunutzen, sei es durch Privatwetten, sei es am Totalisator, der bis zum Starten der Pferde Einsätze entgegennimmt.
Aber heute ereignet sich nichts dergleichen. Es giebt keine Stallgeheimnisse zu verraten oder sie werden gut gewahrt. Die Crême des Rennplatzes, der Unionklub, der mit seinen Damen auf der abgesonderten Tribüne thront, und der Bodensatz, die fragwürdige Gilde der Buchmacher und ihrer Hintermänner, sie haben diesmal beide nichts voraus von der großen urteilslosen Masse, die nach den Voraussagen der Sportzeitungen, nach zufällig erhaschten Äußerungen eines vorübergehenden Offiziers oder Jockeys, selbst nach der Farbe und dem Namen des Pferdes, der Uniform seines Reiters wettet. Das Rennen liegt zwischen Floßhilde und Satanella ... das ist auch ihre Weisheit. Auf das erstere Pferd nehmen die Buchmacher überhaupt keine Einsätze mehr an, auf Satanella sind sie schwierig geworden. Die Odds gehen von 4 bis auf 3 ... selbst bis auf 2½ zu eins, soweit man sich nicht auf die Berechnung des Totalisators einigt.
Inzwischen stelzen die Pferde in langem Zuge vom Sattelplatz nach der Bahn. Voraus tänzelt, ungeduldig in die Doppeltrense beißend, ein schmächtiger schwarzer Hengst. Er ist nervös wie gewöhnlich. Sein Reiter, ein blutjunger Ulan, hat alle Mühe, ihn im Schritt zu halten, obwohl der Stallbursche an der Seite führt. Der Hengst ist unbekannt. Von den Fachleuten achtet niemand sonderlich auf das »dunkle« Pferd; auch die nächsten zwei, drei Rosse finden wenig Aufmerksamkeit ... aller Augen wenden sich der Heldin des Tages zu, die ihm folgt. Die weiß-rote Mütze eines Garde du Corps leuchtet über der Menge auf ... da und dort tönt ein Zuruf ... ein Hut wird gelüftet, während »Floßhilde«, die unbesiegte Wunderstute, durch das enge Menschenspalier schreitet. Ein kleines, schwarzbraunes Geschöpf, aber mit Sehnen von Stahl und einem Brustkasten, der, mehr einer unermüdlichen Dampfmaschine als dem Lungenbehältnis eines lebenden Wesens gleicht.
Unmittelbar darauf aber lichtet sich das Spalier von selbst. Die Damen kreischen auf und flüchten, selbst die Herren treten unwillkürlich einen Schritt zurück, man hört die warnenden Zurufe des Stalljungen, einen unterdrückten Fluch des Reiters ... natürlich ... das ist sie... »Satanella« ... verrückt und unbändig wie immer. Sie wiehert laut auf ... ihr Kopf schlägt ununterbrochen an dem straffen Martingal in die Höhe, daß die weißen Schaumflocken spritzten, mit dem Hinterhufen keilt sie rings im Kreise aus oder schlägt nach den Steigbügeln, um den lästigen Reiter zu entfernen ... es ist ein wahres Wunder, daß man sie glücklich in die Bahn bringt und der Husar mit ihr aufkantern kann.
Graf Parsenow lehnt einsam und sinnend an der Barrière und sieht zu, wie sein Gaul in langen Galoppsprüngen an den Tribünen vorbei zum fernen Start segelt. Es ist ein schönes Bild. Der geschmeidige Körper der Stute reckt und streckt sich in federnder Kraft, der kleine