Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.Lichtschein in die staubige Nacht und erlosch eben so plötzlich wieder.
Ihre Stimme zitterte. Es war ihr, als ob ein Knäuel in ihrem Hals stecke, während sie zu sprechen begann. Fremd, beinahe unheimlich klang ihr die eigene Stimme in dem weiten, finstern Raum.
Als sie geendet, machte der Oberregisseur ein sehr zweifelhaftes Gesicht und trat zu dem Direktor. Beide sprachen leise miteinander.
»Natürlich« ... sagte der Bühnenleiter ... »sie ist eine Anfängerin ... eckig ... unbeholfen ... was Sie wollen ... aber gerade darum ... dem Publikum macht es oft mehr Spaß, eine talentvolle Anfängerin zu entdecken als eine Berühmtheit zu sehen. Ich wills mit ihr versuchen!«
»Ich wills versuchen!« Käthe hatte diese letzten Worte gehört. Ihr Herz pochte wie ein Hammer, während der Direktor auf sie zutrat.
»Sie können also die Rolle bekommen« sagte er ... und zunächst dreimal darin als Gast auftreten. Weitere Verpflichtungen vermag ich vorderhand natürlich nicht zu übernehmen ... sehen Sie zu, was Sie aus der Rolle machen können! Im ersten und zweiten Akt haben Sie wenig zu thun, aber im dritten eine dankbare Szene!«
Damit ging er. Der Regisseur gab Käthe das dünne blaue Heftchen.
»Nun machen Sie sich nur gleich dran, damit Sie morgen an der Probe teilnehmen können. Am Sonnabend kommt die Geschichte heraus, 's ist eine große Première, schon jetzt die Hälfte der Plätze vorgemerkt ... die erste Garnitur Kritik ... wenn Sie gefallen, ist Ihr Name nächsten Sonntag in aller Welt Mund!«
Käthe erwiederte nichts, während sie auf den Gang heraustrat. Sie war zu erregt über das unerhörte Glück; es lag wie ein rosenroter Schleier über ihren Augen.
»Und dann sehen Sie nach Ihren Toiletten!« sagte der Regisseur, neben ihr zum Ausgang schreitend, wo ein Haufe Schauspieler, des Beginns der Probe harrend, beisammen stand. Zwischen ihnen ein offenbar nicht zur Bühne gehöriger, hübscher, schnurrbärtiger Herr. »Sie wissen ... man legt bei uns großen Wert darauf ...«
Die Toiletten! ... Daran hatte sie nicht gedacht.
»Sie brauchen im ersten Akt ein Reitkleid ... das werden Sie ja wohl haben ... für den zweiten ein Morgenkostüm ... der dritte, wo Sie Ihre große Szene haben, spielt im Ballsaal. Da brauchen Sie also eine schöne Robe ... nun ... Sie wissen ja schon ...!«
Damit trat der Regisseur zur Seite. Käthe blieb wie betäubt stehen.
Die Toiletten!
Das Hoftheater, dem sie bis vor kurzem angehört, lieferte die Kostüme für alle Stücke, die nicht in der Gegenwart spielten. Letztere aber wurden dort selten gegeben. Sie war nur zwei- oder dreimal darin aufgetreten und jedesmal mit einem bescheidenen Gewand durchgekommen. Sie besaß auch ein Ballkleid; aber sie mußte lachen, wenn sie an das armselige, von einer Grünstetter Schneiderin gefertigte Fähnchen dachte und es mit den glänzenden Roben der Berliner Modeschauspielerinnen verglich, deren Toiletten-Etat sich jährlich auf zehntausende belief.
Was sollte sie thun? Der Direktion erklären, sie könne aus Mangel an passenden Gesellschaftskostümen nicht auftreten? Dann kam eine andere an ihre Stelle, dann ließ sie sich eine Gelegenheit entgehen, ihr dauerndes Glück auf der Bühne zu machen. Dieser Abend, das wußte sie, war für sie entscheidend. Siegte sie – ein bestimmtes Gefühl sagte ihr, daß sie siegen würde – dann ging sie einer glänzenden Zukunft entgegen.
Und auf alles das verzichten, um einiger Kleider willen? Nein ... das konnte sie nicht ... das war ein Verbrechen gegen sie selbst, gegen ihre Mutter, gegen ihren Beruf. Aber woher die Toiletten nehmen? Auf Kredit fürchtete sie, keine zu bekommen. Denn es kannte sie ja niemand in Berlin. Und sie zahlen ... du lieber Himmel ... sie hatten jetzt noch etwa dreißig Mark im Hause und mußten damit und mit dem noch zu erwartenden Gagerest von 150 Mark Gott weiß wie lange reichen ...
»Nun, gnädiges Fräulein! ... so in Gedanken?« ein schnurrbärtiger Herr mit blassem Gesicht stand vor ihr ... »gestatten Sie, daß ich mich vorstelle ... mein Name ist Waldegg ... hatte schon das Vergnügen, Sie im Edentheater zu bewundern ... und höre nun, daß Sie hier ....«
»Ja,« sagte Käthe befangen ... »ich gastiere... aber ich weiß nicht ...«
»Sie müssen sich nicht wundern, mich hier zu treffen, mein Fräulein,« sagte der Fremde, ... »ich rechne mich so halb und halb zur Künstlerwelt; verkehre sehr viel mit den Herrschaften, wenn ich auch eigentlich der Börse angehöre ...«
»Oh« ... Käthe wußte nicht recht, was sie antworten sollte. Eigentlich gefiel ihr der Herr.
»Gratuliere Ihnen« ... fuhr jener fort ... »Das Edentheater war nichts für sie ... das ist was für die Ernesti, diese einfältige Person, die sich nicht einmal die Mühe nimmt, Briefe von anständigen Leuten zu beantworten. Aber Sie ... Sie können höheres erreichen ... man sieht es Ihnen an ...!«
Und als ob es sich von selbst verstände, schritt er plaudernd neben Käthe auf die Straße.
»Adieu!« sagte sie ängstlich stehen bleibend.
»Aber gestatten Sie mir doch wenigstens. Sie zur nächsten Droschkenhaltestelle zu bringen. Ich thue Ihnen ja nichts, Fräulein!« setzte er lächelnd hinzu.
Damit ging er neben ihr weiter und sie sah jetzt erst, daß auf einen Wink von ihm ein leeres, elegantes Coupé, das ihm offenbar gehörte, langsam im Schritt hinterher fuhr.
Er war also jedenfalls reich.
Käthe wurde es bang ums Herz. Aber es that ihr doch wieder wohl, in dem großen kalten Berlin einen Menschen zu finden, der freundschaftlich und achtungsvoll mit ihr sprach, sich für ihre Lage interessierte und nicht müde wurde, immer neue Fragen über ihre Mutter, über sie selbst und ihre künstlerische Laufbahn zu stellen.
Und sie fing an zu erzählen. Sie plauderte immer munterer, ihre Wangen röteten sich, sie begann zu lachen und sah von Minute zu Minute hübscher aus. Es entging ihr nicht, daß sie einen starken Eindruck auf ihren Begleiter machte. Doch blieb er höflich und respektvoll wie zuvor.
Er gefiel ihr wirklich. Und als sie mit ihm vor ihrer Hausthüre stand, drückte sie ihm dankbar die Hand.
Waldegg hielt sie fest und frug mit einem merkwürdigen Klang in der Stimme, ob sie sich wieder sehen würden.
Käthe wußte, daß dieser Augenblick entscheidend war. Es tanzte wirr vor ihren Augen. Ein sturmdurchbraustes Parkett, in dem die Handflächen klatschend an einander schlugen, ... ein hübsches aristokratisches Gesicht mit dunklem Schnurrbart ... dann wieder das Hinterstübchen, in dem sie mit ihrer Mutter verstört saß, nachdem sie die Rolle zurückgeschickt und ihr Glück verscherzt ... und über dem Ganzen höhnisch flatternd, eine unbezahlte Schneiderrechnung ...
Waldegg wiederholte seine Frage.
Sie sah ihn fest an und sagte mit einem rauhen Klang in der Stimme: Ja!
»Ich danke Ihnen, Fräulein Käthe!«
Und sie trennten sich ...
Die Rätin wunderte sich in den nächsten Tagen, wie spät Käthe nach Hause kam. Aber freilich ... die Proben zu einer großen Berliner Premiere sind ein anderes Ding als man es an kleinen Hoftheatern gewohnt ist.
Außerdem nahm Käthe die Gelegenheit wahr, um jetzt, wo sie unbeschäftigt war, auf ein Freibillet Abends die Vorstellungen des Theaters an der Spree zu besuchen. Die Rätin hielt das auch für eine ganz natürliche Sache. Daß dort Abend um Abend dasselbe Stück gegeben wurde, fiel ihr nicht weiter auf.
Am Donnerstag kam Käthe besonders spät, erst nach Mitternacht, in der Droschke nach Hause ... Ihre Mutter eilte ihr bis auf den Flur entgegen. Sie war zu aufgeregt, um zu sehen, wie bleich Käthe war und wie unheimlich ihre Augen glänzten.
»Um Gotteswillen, Kind ...« sagte sie ... »sieh nur ... diese Kleider da sind alle heute Abend für Dich abgegeben worden ...«
»Ja ... meine Toiletten!« Käthe starrte gleichgültig auf die prachtvollen, schimmernden Stoffe ... Dann setzte sie in kaltem,