Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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Was wußte man in der Provinz von solchen Finessen?

      Man hatte sich in dem halbleeren Vorderraum niedergelassen, durch den ab und zu Gäste nach den hinten gelegenen Separatzimmern schritten.

      Plötzlich fuhr Valeska auf. Eine helle, metallische Stimme schlug an ihr Ohr.

      »Meine Frau noch nicht da?« fragte dicht neben ihr im Eintreten Herr von Seybling einen sich tief verneigenden Kellner.

      Nein. Gnädige Frau waren noch nicht gekommen.

      »Melden Sie ihr, daß ich drinnen warte«, sagte Herr von Seybling und wollte nach hinten gehen, als sein Blick auf Valeska fiel.

      Einen Augenblick stutzte er, dann grüßte er vorüberschreitend mit höflichem Lächeln.

      Valeska dankte durch eine würdevolle Kopfneigung. Sie empfand eine tiefe Genugtuung, daß der Stutzer sie gerade hier und in dieser feinen Gesellschaft gesehen hatte, zusammen mit einem Major in Uniform und einem Zivilisten, der beinahe als ein Gigerl angesprochen werden konnte.

      Aber ehe noch die beiden Mädchen der Gesellschaft alles Wissenswerte über Herrn von Seybling mitgeteilt hatten, verbeugten sich die Kellner von neuem auf das tiefste.

      »Der gnädige Herr sind schon vorausgegangen!«

      Eine bildschöne, schlanke Blondine mit kühnem, vornehm geschnittenem Köpfchen rauschte, ohne rechts und links zu sehen, schnell durch den Saal. Ein junger Husarenoffizier klirrte hinter ihr drein.

      »Frau von Seybling!« sagte Thilda.

      Valeska empfand ein merkwürdiges Gefühl der Eifersucht.

      »Zu dumm!« rief sie aufgeregt. »Wenn ich ein Mann wäre und so 'ne Frau hätte, dann ...«

      »... würde ich mich um die Dobschütz nicht kümmern!« ergänzte ihre Freundin, als sie etwas verwirrt abbrach.

      Damit war man also wieder bei der Dobschütz und dem Westend-Theater angelangt.

      »Ähneln denn eigentlich alle Damen des Theaters außer Ihnen beiden dieser schrecklichen Dobschütz?« fragte der Major, um die kleine Elten, die den ganzen Abend so still und mit sorgenvollem Gesicht dagesessen hatte, zum Sprechen zu bringen.

      »O nein!« sagte Valeska rasch. »Im Gegenteil ... die Dobschütz ist ein Unikum ...«

      »Wer sie umbringt, tut ein gutes Werk!« lachte Herr von Rönne.

      Valeska bejahte eifrig.

      »Überhaupt ... man tut uns unrecht ... hier in Berlin ... wie man so von uns denkt ... zum Beispiel ... das Westend-Theater hat einen recht üblen Ruf ... und doch versichere ich Sie ... ein Teil der Damen lebt ganz solide und achtbar. Im Publikum glaubt man das aber um's Totschlagen nicht ...!«

      »Erzählen Sie mir doch einmal, wer Ihre Kolleginnen sind!« sagte der Major scherzend. »Belehren Sie mich, mein Fräulein! ... Also da ist zuerst die Dobschütz ...«

      »... dann kommt lange Zeit gar nichts ...« Valeska sann nach. »... dann ... nun, Thilda kennen Sie ja, und ich sage Ihnen im Vertrauen: das ist ein liebes Mädel! ... Dann ich ... wie Sie über mich denken, weiß ich nicht ...«

      »Sie kriegen heute durchaus keine Komplimente zu hören, mein Fräulein!« bemerkte der Major ernsthaft.

      »Schön! ... Dann ist also da die Mizi Stadinger ... ein unglaubliches Geschöpf ... immer schläfrig ... immer leichtsinnig ... dabei gutmütig wie ein Kind ... viel Talent hat sie freilich nicht ... aber das schadet ihr ja nichts ...«

      »... und dann? ...«

      »... dann ist da Käthe Hannemann ... ich weiß nicht, ob Sie sie neulich im Theater gesehen haben ... ein großes, schönes Mädchen ... ich verkehre nicht mit ihr, denn sie ... freilich ... andererseits ... ihre ganze Familie lebt von ihr ... ihre alten Eltern ... ihre Schwester, die sie um keinen Preis zur Bühne gehen lassen will ... sogar ein Bruder auf der Universität ... Ich finde das eigentlich greulich ...«

      Valeska brach einen Augenblick verlegen ab und fuhr dann fort:

      »Nun ... da ist weiter Elly Krause, ein herziges Ding, noch ganz jung ... das ist der Liebling des ganzen Theaters. Sie lebt bei ihren Eltern ... pensionierten Beamten ... Niemand kann etwas gegen sie sagen. Und Talent hat sie ... Talent ... ich wollte, ich hätte soviel Talent ... und dabei ist sie immer freundlich und liebenswürdig gegen alle ... bis zu den Bühnenarbeitern herunter ...«

      »Weiter ...«, sagte Herr von Rönne.

      »Dann haben wir die Franziska Ilgen, eine Brünette und unzertrennliche Freundin der Hannemann. Sie gibt ihr auch sonst nichts nach ... und dabei ist sie geizig ... man glaubt es kaum ... und alles Geld, was sie sich so zusammenhamstert, das schleppt sie gleich auf die Bank und verhandelt da stundenlang, wie sie es recht hoch anlegen soll. Manchmal erschrecken wir sie und sagen, die Deutsche Bank sei pleite oder die preußischen Konsols wären außer Kurs gesetzt ... aber sie glaubt jetzt nicht mehr recht daran ... ja ... und dann ... da ist noch Mary Esser ... die ist verheiratet ... ihr Mann ist der Schauspieler Frey ... sie haben drei reizende Kinder und leben sehr glücklich ... dann zwei Mütter ... die interessieren Sie wohl kaum ... und Elisabeth Neumann, die mit mir zusammen engagiert worden ist ... sehr hübsch und schnippisch ... mit blonden Haaren und blauen Augen ... das dumme Ding hat sich sofort wahnsinnig in unseren Heldenspieler Harald Grillon verliebt. Und dabei hat der graue Haare und ist ein alter Mann ...«

      »Vergiß Pepi von Hochleitner nicht!« rief Thilda herüber.

      Richtig ... die Pepi!

      »Faul, talentvoll und gefräßig!« sagte Valeska kaltblütig auf die Frage des Majors. »Faul wie die Sünde! Sogar die Rollen lernt sie im Bett und stöhnt dabei vor Verzweiflung – und kann sie schließlich doch nicht. Und dabei so begabt ... wenn sie nur wollte ... Schade um die! ... Aber da ist nichts mehr zu hoffen ...«

      Damit war die Liste des Westend-Theaters erschöpft. Denn die Kolleginnen mit 75 bis 150 Mark Monatsgage, jene Dämchen, die der Direktor selbst scherzend »die Kleinen von den Meinen« nannte, zählten doch eigentlich nicht mit.

      Inzwischen war Champagner erschienen. Valeska liebte ihn leidenschaftlich – ihr kleiner Freund in Bergheim hatte das oft genug seufzend gegen das Ende des Monats hin konstatiert –, und in den vier Wochen ihres soliden Berliner Aufenthalts war kein Tropfen über ihre Lippen gekommen. Aber sie hielt an sich und antwortete auf die Frage, ob sie Sekt tränke, zerstreut lächelnd: Gewiß ... denn ein armes Wurm wie sie, die an das lauwarme Patzenhofer der Frau von Haidenschild gewöhnt sei, müsse das Gute nehmen, wo es sich fände.

      Immerhin fühlte sie, als sie die perlende Schale absetzte, wieder einigen Lebensmut.

      »Warum ich heute so traurig bin?« sagte sie zu Herrn von Rönne. »Ach ... du lieber Gott ... ich habe allen Grund dazu. Wenn ich jetzt nach Hause komme, so liegt ein Brief auf dem Tisch, und in dem Brief steht, daß ich zum ersten Oktober gekündigt bin ...«

      »Ja ... und dann?«

      »Dann ...?« Valeska seufzte schwer. »Dann geht das alte Elend von neuem an ... der Rundgang bei den achselzuckenden Agenten und überall dasselbe ›Bedaure, liebes Fräulein!‹ ... und das Antichambrieren in den Direktionsbureaus und endlich ein Telegramm aus der Provinz: ›In Meseritz oder Kötzschenbroda wird eine erste Liebhaberin gesucht‹ ... Natürlich zu zwei Drittel Gage ... 50 Taler oder so was und ein Benefiz gegen Ostern ... und man reist seufzend dritter Klasse hin und macht seine Besuche auf den Redaktionen, und alles ist, wie es früher war und in zehn Jahren sein wird ...«

      Der Major sah ihr ins Gesicht.

      »Nein, Fräulein Elten,« sagte er ruhig, »Sie dürfen nicht aus Berlin weg ...«

      Valeska zuckte schweigend die Achseln.

      »Nicht wahr ...«, begann sie nach einer Weile wieder, »das glauben Sie nicht, daß wir auch unsere bitteren Sorgen haben, wir Theaterprinzessinnen, die man sich im Publikum immer so als eine Art unnützer bunter Schmetterlinge vorstellt ... Sorgen, so gut wie ein Mann, der mitten


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