Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.sie »liebe Alte« zu nennen.
Sie sprach zu ihm:
– Ich bin ja verrückt, Dir anzugehören, aber ich bereue es nicht. Die Liebe ist doch so süß.
Alles dies klang aus diesem Munde so, daß Georg jedesmal wütend ward. Sie sagte: »Die Liebe ist so süß,« etwa im Ton, wie eine Naive auf dem Theater.
Und dann brachte ihn ihre Ungeschicklichkeit in der Liebe zur Verzweiflung. Sie, in der plötzlich die Sinnlichkeit erwacht war unter dem Kuß dieses schönen Kerls, der ihr Blut entflammte, zeigte in ihrer Hingabe eine kraftlose Glut, einen eifervollen Ernst, bei dem Du Roy einfach lachen und an Leute denken mußte, die im Greisenalter anfangen wollen, lesen zu lernen.
Und statt ihn zu ersticken in ihrer Umarmung, statt ihn zu durchflammen mit jenem tiefen, fürchterlichen Blick, den gewisse Frauen haben, die, im Verblühen noch von stolzer Schönheit sind in ihrer letzten Liebe, – statt ihn mit stummem, zuckendem Munde zu beißen, während ihr üppiger, glühender Leib, erschlafft aber unersättlich, ihn umklammerte – hopste sie umher wie ein Gassenmädel und lallte gleich einen kleinen Kinde, um sich niedlich zu machen:
– Is hab’ Dis lieb, mein Kindel. Is hab’ Dis so lieb. Gieb ein ßönes Tüßchen Deiner kleinen Frau!
Da packte ihn eine tolle Wut zu fluchen, seinen Hut zu nehmen, fort zu laufen, und hinter sich die Thür zuzuschmeißen.
In der ersten Zeit hatten sie sich Rue de Constantinople gesehen. Aber Du Roy fürchtete ein Zusammentreffen mit Frau von Marelle und fand jetzt tausend Vorwände, um ein solches Stelldichein zu hintertreiben.
Dafür mußte er nun beinahe täglich zu ihr kommen, sei es zum Frühstück, sei es zum Mittagessen. Unter dem Tisch drückte sie ihm die Hand und hinter der Thür wollte sie ihn küssen. Aber ihm machte es vor allem Spaß, mit Susanne zu spielen, die ihn erheiterte durch ihr nettes Wesen. In ihrem Puppenleib steckte ein lebhafter schlauer Geist, der unvermutet aus seinem Versteck hervorbrach, wie der Bajazzo im Kasperletheater auf dem Jahrmarkte. Sie machte sich über alles und alle lustig, und Georg trieb sie noch mehr dazu an, und sie verstanden sich ausgezeichnet. Alle Augenblicke rief sie ihn:
– Hören Sie mal, Liebling! Liebling, kommen Sie mal her!
Dann verließ er die Mutter um zur Tochter zu laufen, die ihm irgend eine Bosheit ins Ohr flüsterte, über die er herzlich lachen mußte.
Allmählich ekelte ihn die Liebe der Mutter geradezu und führte ihn zu unüberwindlichem Abscheu. Er konnte sie gar nicht mehr sehen, sie nicht hören, an sie nicht denken, ohne wütend zu werden. Er besuchte sie also nicht mehr, antwortete nicht mehr auf ihre Briefe und kam nicht mehr, wenn sie ihn bestellte.
Endlich begriff sie, daß er sie nicht mehr liebte, und sie litt darunter fürchterlich. Aber sie war auf ihn versessen, lauerte ihm auf, folgte ihm, erwartete ihn in einer Droschke mit herabgelassenen Vorhängen, vor der Redaktion, an der Thür seines Hauses, in den Straßen, durch die er gehen mußte, wie sie hoffte.
Er hatte Lust, sie zu mißhandeln, sie zu beschimpfen, sie zu schlagen und ihr ins Gesicht zu rufen:
– Mach, daß Du fort kommst, ich kann Dich nicht mehr sehen.
Aber er beherrschte sich noch immer in Rücksicht auf die › Vie française‹ und versuchte durch Kälte, durch Härte unter dem Mantel äußerer Höflichkeit, ab und zu sogar durch grobe Worte ihr begreiflich zu machen, daß das aufhören müsse.
Vor allen Dingen war sie nicht davon abzubringen, ihn in der Rue de Constantinople treffen zu wollen, und er zitterte unaufhörlich davor, daß sich die beiden Frauen eines Tages dort Auge in Auge gegenüberstünden.
Seine Zuneigung zu Frau von Marelle war, im Gegensatz dazu, während des Sommers nur gewachsen. Er nannte sie: »Mein Bubi!« und sie gefiel ihm. Ihre Naturen paßten zu einander, sie waren aus demselben Holz geschnitzt und gehörten zu dem Abenteuerer-Geschlecht der Vagabunden des Lebens, jener Zigeuner der Gesellschaft, die, ohne es zu ahnen, den Zigeunern der Landstraße so ähnlich sind.
Sie hatten einen wundervollen Liebessommer zusammen verlebt, die lustige Semesterehe eines Studenten mit seinem Mädel.
Ab und zu kniffen sie aus und fuhren in die Umgebung von Paris, nach Argenteuil, Bougival, Maisons, Poissy zum Mittag-oder Abendbrot, zu stundenlangem Bootfahren und Blumenpflücken an den Ufern. Sie liebte die gebackenen Seinefische, die Kaninchenragouts und Fischgerichte, die es dort gab, die kleinen Lauben in den Kneipen, das Geschrei der Ruderer, über die Maßen. Ihm machte es Spaß an einem schönen Tage mit ihr oben auf dem Verdeck eines Vorstadtzuges hinaus zu fahren und unter Scherzen das häßliche Vorortgebiet von Paris zu durchfahren, wo die gräßlichen Landhäuser der Spießbürger liegen.
Und wenn er heimkehren mußte, um bei Frau Walter zu essen, haßte er die hartnäckige alte Geliebte, indem er an die junge dachte, die er eben verlassen und die seine Begierde befriedigt, seine Glut gekühlt im hohen Ufergras des Flusses.
Endlich meinte er, er sei die Frau des Chefs so ziemlich los; er hatte ihr ganz offen, beinah roh, seinen Entschluß, mit ihr zu brechen, mitgeteilt, und gerade da bekam er auf der Redaktion dieses Telegramm, das ihn nach der Rue de Constantinople rief.
Als er auf der Straße dahin ging, las er es noch einmal:
»Ich muß Dich durchaus heute sprechen. Ich kann Dir einen großen Dienst leisten. Bis in den Tod getreu Virginie.«
Er dachte: »Was will denn nun wieder diese alte Nachteule von mir? Ich will doch wetten, sie hat mir gar nichts zu sagen. Sie will mir nur wiederholen, wie sie mich liebt, aber jedenfalls muß ich sie sehen. Sie spricht von einer wichtigen Sache, von einem großen Dienst, es könnte doch wahr sein. Aber Clotilde kommt um vier Uhr, spätestens um drei muß ich also die Alte rausschmeißen. Verflucht nochmal, wenn sie sich bloß nicht treffen. Verdammte Frauenzimmer-Wirtschaft!«
Und er dachte daran, daß seine Frau eigentlich die einzige war, die ihn nie quälte. Sie lebte für sich, und scheinbar liebte sie ihn sehr, zu den der Liebe bestimmten Stunden, denn man durfte bei ihr niemals die Ordnung der gewöhnlichen Lebensverrichtungen stören.
Mit langsamem Schritt ging er zum Stelldichein, indem er innerlich über die Frau des Chefs schimpfte:
»Wenn sie mir aber nichts zu sagen hat, werde ich sie schön anlaufen lassen. Ein Bauerngeschimpf soll zahm sein gegen das, was ich ihr sage, vor allen Dingen werde ich ihr sagen, daß ich nie wieder einen Fuß zu ihr setze.«
Und er betrat die Wohnung, um Frau Walter zu erwarten.
Sie kam beinahe sofort, und sobald sie ihn sah, sagte sie:
– Gott sei Dank, Du hast mein Telegramm bekommen!
Er hatte einen bösen Ausdruck angenommen:
– Ja, ich habe es auf der Redaktion gefunden, als ich gerade in die Kammer wollte. Was willst Du noch von mir?
Sie hatte ihren Schleier in die Höhe geschlagen, um ihn zu küssen und näherte sich ihm mit furchtsamer, verschüchterter Miene, wie ein geprügelter Hund:
– Du bist so hart gegen mich … wie Du zu mir sprichst! .. Was habe ich Dir denn gethan? .. Du glaubst es nicht, wie ich durch Dich leide!
– Geht es schon wieder los? – brummte er.
Sie stand dicht neben ihm, nur ein Lächeln erwartend, um sich an seinen Hals zu werfen.
Sie flüsterte:
– Du hättest nicht mit mir anfangen sollen, Du hättest mich tugendhaft und glücklich lassen sollen, wie ich war. Weißt Du noch, was Du mir in der Kirche sagtest, wie Du mich hierher geschleppt hast? Und nun redest du so! Mein Gott! Wie thust Du mir weh!
Er stampfte mit dem Fuße auf und sagte heftig:
– Ach, ich habe genug davon! Wenn ich Dich eine Minute sehe, geht immer das alte Lied wieder los! Das ist ja wirklich, als hätte ich dich mit zwölf Jahren verführt und als wärest Du unschuldig gewesen wie ein Engel. Nein, meine Liebe, wir wollen mal bei den