Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant

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Gesammelte Werke von Guy de Maupassant - Guy de Maupassant


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die Droschke fuhr davon.

      Susanne war außer Atem und konnte nicht sprechen. Er fragte:

      – Nun wie ist es denn gegangen?

      Da flüsterte sie fast ohnmächtig werdend:

      – Ach das war furchtbar, vor allem bei Mama.

      Er ward unruhig:

      – Was, was hat denn Mama gesagt? Erzählen Sie mir.

      – Das war furchtbar! Ich bin zu ihr gekommen und habe ihr meine kleine Geschichte erzählt, genau so, wie ich sie mir überlegt hatte. Da ward sie bleich und schrie laut auf: »Niemals, niemals!« . . Ich habe geheult, bin wütend geworden und habe geschworen, daß ich niemand anders heiraten würde als Sie. Ich dachte, sie würde mich schlagen, denn sie war wie verrückt und sie hat gesagt, ich würde morgen ins Kloster gesteckt werden. So habe ich sie noch nie gesehen, noch niemals. Dann kam Papa, weil er sie so schimpfen hörte. Er war nicht so böse wie sie, aber er hat gesagt, Sie wären keine Partie, die gut genug für mich sei!

      Da ich aber auch wütend war, schrie ich noch mehr wie sie, und Papa befahl mir, hinaus zu gehen, mit einer dramatischen Gebärde, die ihm sehr schlecht stand. Dies alles hat nur den Entschluß, mit Ihnen auszureißen in mir befestigt. Da bin ich. Wo geht es hin?

      Er hatte langsam die Hand um ihre Taille gelegt und hörte klopfenden Herzens, angestrengt lauschend zu, während gegen diese Leute der Haß in seinem Herzen emporstieg. Aber die Tochter hatte er jetzt, nun sollten sie mal sehen!

      Er antwortete:

      – Es ist zu spät, um noch mit dem Zuge fort zu fahren. Der Wagen wird uns also nach Sèvres bringen, dort bleiben wir die Nacht und morgen fahren wir nach La Roche-Guyon. Das ist ein nettes kleines Dorf an der Seine, zwischen Mantes «nd Bonníères.

      Sie flüsterte:

      – Aber ich habe keine Kleider, ich habe nichts.

      Er lächelte sorglos:

      – Ach das wird sich schon dort finden.

      Die Droschke fuhr immer weiter, und Georg nahm die Hand des jungen Mädchens und fing an, sie langsam und respektvoll zu küssen. Er wußte nicht, was er ihr sagen sollte, an platonische Liebe war er nicht gewöhnt. Plötzlich war es ihm, als weinte sie. Er fragte erschrocken:

      – Was haben Sie denn, liebe Kleine?

      Sie antwortete mit Thränen in der Stimme:

      – Die arme Mama schläft jetzt nicht, wenn sie gemerkt hat, daß ich fort bin.

      Ihre Mutter schlief allerdings nicht.

      Sobald Susanne ihr Zimmer verlassen hatte, war Frau Walter vor ihrem Mann stehen geblieben und fragte, wie niedergedonnert:

      – Mein Gott, was soll denn das bedeuten?

      Walter rief wütend:

      – Das soll bedeuten, daß dieser Intrigant sie rum gekriegt hat, er ist daran schuld, daß sie Cazolles nicht hat haben wollen. Er findet die Mitgift nicht übel!

      Er fing an, wütend im Zimmer auf und nieder zu gehen und sagte:

      – Aber Du hast ihn auch fortwährend heran gezogen, ihm geschmeichelt und schön gethan, Du konntest ihn gar nicht genug verziehen. Das war der Liebling vorn und der Liebling hinten von früh bis abends. Das hast Du nun davon!

      Sie antwortete erbleichend:

      – Ich ihn herangezogen?

      Er brüllte sie an:

      – Ja, Du! Ihr seid eine so verrückt auf ihn, wie die andere: die Marelle, Susanne und alle andern. Meinst Du denn, ich hätte nicht gemerkt, daß Du es ohne ihn gar nicht aushalten kannst?

      Sie nahm eine Pose an und richtete sich empor:

      – Ich erlaube Dir nicht, mit mir so zu sprechen, Du vergißt, daß ich nicht wie Du in einer Krambude groß geworden bin!

      Zuerst blieb er unbeweglich, ganz paff stehen, dann brüllte er wütend:

      – Gott verdamm mich! – lief hinaus und warf zornig die Thür zu.

      Sobald sie allein war, trat sie mechanisch vor den Spiegel, um sich zu betrachten, als hätte sie sehen wollen, ob sich nichts an ihr verändert, so unmöglich schien ihr, was da vorging, so haarsträubend. Susanne liebte den Liebling und der Liebling wollte Susanne heiraten! Nein! Sie mußte sich geirrt haben, das konnte gar nicht sein. Das kleine Mädchen hatte nur eine ganz natürliche Neigung zu dem schönen Kerl gefaßt und hoffte, ihn zum Mann zu bekommen. Sie hatte sich ihn in den Kopf gesetzt. Aber er? Er konnte doch nicht mit ihr unter einer Decke stecken. Sie sann nach, ganz verstört, wie man bei großen Naturereignissen zu sein pflegt. Nein, der Liebling wußte nichts von Susannes tollem Streich!

      Sie wog lange Zeit die Möglichkeit seiner Niederträchtigkeit oder seiner Unschuld gegen einander ab. Wenn er diese Geschichte eingefädelt hatte, war er doch ein Lump! O, was würde noch alles kommen? Welche Gefahren, welche Erschütterungen sah sie voraus!

      Wenn er nichts davon wußte, dann konnte noch alles gut werden; sie würde mit Susanne ein halbes Jahr auf Reisen gehen, und alles war vergessen! Aber wie sollte sie ihn dann wiedersehen? Sie liebte ihn ja noch immer! Ihre 21 Leidenschaft war wie einer jener Pfeile mit Widerhaken, die man nicht aus der Wunde entfernen kann. Ein Leben ohne ihn war unmöglich, dann lieber sterben!

      Ihre Gedanken irrten in diesen Ängsten und Zweifeln umher, und sie bekam Kopfschmerzen, daß sie kaum mehr nachdenken konnte, daß sich ihre Sinne verwirrten. Nervös suchte sie einen Ausweg zn finden – vergebens! Sie sah nach der Uhr, es war eins vorüber, und sie sagte sich: »So halte ich es nicht aus, ich muß die Wahrheit wissen! Ich werde Susanne wecken und fragen.«

      Ohne Schuh, um keinen Lärm zu machen, ein Licht in der Hand, ging sie zum Zimmer ihrer Tochter. Sie öffnete leise, trat ein und ging zum Bett. Es war unberührt. Zuerst verstand sie es gar nicht, und dachte, daß das Kind noch mit dem Vater spräche. Aber bald erwachte ein schrecklicher Argwohn in ihr, und sie lief zu ihrem Mann.

      Er lag im Bett und las noch. Er fragte verstört:

      – Nanu! Was hast Du denn?

      Sie fragte:

      – Hast Du Susanne gesehen?

      – Ich? Nein! Weshalb?

      – Sie ist .. sie ist . . fort! Sie ist nicht . . in ihrem Zimmer!

      Mit einem Satz sprang er aus dem Bett, fuhr in die Pantoffeln und stürzte; ohne Unterbeinkleider, in wehendem Nachthemd zum Zimmer seiner Tochter. Sobald er hinein geblickt, hatte er keinen Zweifel mehr. Sie war entflohen. Er sank in einen Stuhl und setzte die Lampe neben sich auf die Erde. Seine Frau war ihm gefolgt und stammelte:

      – Nun?

      Er hatte keine Kraft mehr zu antworten, keine Wut mehr in der Stimme, er stöhnte nur:

      – Vorbei! Er hat sie! Wir sind verloren!

      Sie begriff nicht:

      – Wie so denn, verloren?

      – Na, das ist doch klar, jetzt muß er sie heiraten.

      Sie schrie auf wie ein wildes Tier:

      – Er? Nie! Bist Du verrückt?

      Er antwortete traurig:

      – Das Jammern nützt jetzt nichts mehr, er hat sie entführt und entehrt. Jetzt ist es noch das Beste, wenn er sie kriegt; wenn wir es schlau anfangen, merkt wenigstens niemand etwas davon.

      Sie wiederholte, von fürchterlicher Erregung durchzuckt:

      – Nie! Niemals soll er Susanne bekommen! Das erlaube ich nie!

      Walter antwortete mit Mühe:

      – Aber er hat sie. Nun ist alles aus. Er wird sie behalten und sie verstecken, bis wir nachgeben. Wenn wir also Skandal vermeiden wollen, müssen wir sofort nachgeben.


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