Das Mädchen, der Köter und ich. Хелена Эберг

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Das Mädchen, der Köter und ich - Хелена Эберг


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Vater sank wieder in seinen Fernsehsessel. Der Hund sprang aufs Sofa, kauerte sich dort zusammen und drückte den Kopf gegen den Schwanz. Der Vater strich ihm über die Stirn und blätterte weiter in der Zeitung. Er hatte so viele Prinzipien gehabt; alles musste sauber sein, aufgeräumt, die Schuhe in Reihen stehen, und er hasste Haare im Waschbecken. Jetzt war alles anders. Überall gab es Hundehaare, kleine, kratzige, weiße Haare: auf dem Sofa, auf den Socken und in der Waschmaschine, damit sie auch an Pullis und Unterhosen hängen blieben.

      Früher war alles anders gewesen. Viktor hatte sich doch so oft einen Hund gewünscht. Er hatte versprochen, sich selbst um ihn zu kümmern, hinter ihm herzuräumen, ihn auch beim Platzregen hinauszuführen, ihn zu füttern und ihn jeden Tag zu kämmen. Der Vater hatte nichts davon hören wollen. Er hatte einfach Nein gesagt. Stattdessen hatte er ein Kaninchen vorgeschlagen.

      Ein Kaninchen! Viktor hatte die Nase gerümpft. Kaninchen waren doch was für die Mädchen im Reitstall. Und was war schon ein winziges Kaninchen gegen einen schwarzen Schäferhund?

      Viktor ließ das Sozialkundebuch auf den Boden fallen und starrte an die Decke.

      Er streckte sich schräg nach hinten, schraubte einen der Knöpfe von den Bettpfosten ab und holte ein zerknittertes Stück Papier heraus. Er hatte es fest zusammengerollt, damit es in dem schmalen Loch Platz haben würde. Es war total faltig, denn er hatte es mehrmals zerknüllt. Viktor zog die Decke über den Kopf, sodass nur ein schmaler Lichtstrahl der Bettlampe durchsickerte.

      »Scheiße und nochmals Scheiße«, murmelte er leise und schlug sich mit den Fingerknöcheln gegen die Schläfe.

      Das Stück Papier war ein Foto von seiner Mutter. Eine Falte lief über den Mund und erstreckte sich bis zum rechten Auge, aber das machte ihm nichts aus, er sah sie trotzdem. Er hatte das Bild selbst aufgenommen, im letzten Sommer, als sie bei den Großeltern an der Westküste gewesen waren. Seine Mutter hatte ein rotes Kleid mit dünnen Trägern getragen und sie blinzelte in die Sonne und lachte. Das war, bevor sie etwas wusste. Nur Viktor wusste Bescheid. Und sein Vater natürlich. Aber der sagte nichts. Er war nur still. Und Viktor war auch still und so verging der Sommer. Dann kamen der Herbst und der Winter, und Viktor lag nachts wach in seinem Bett und hörte, wie sie stritten und sich schlimme Sachen an den Kopf warfen. Jetzt war bald wieder Sommer.

      Er rollte das Foto zusammen und steckte es in das Loch zurück. Dann schraubte er den Knopf an, zog die Decke wieder über den Kopf und versuchte zu schlafen.

      Er machte die Augen zu und wünschte, dass er eine richtige Pistole hätte, dann würde er schießen, voll ins All hinein, dass es nur so krachte und alles in einem schwarzen Loch von ewiger Dunkelheit explodierte. Er machte die Augen fester zu, bis er hinter den Lidern Blitze sah, und versuchte, das Gefährliche in sich zu spüren.

      Aber er spürte nur die Einsamkeit, wie ein starker Magnet zog sie ihn an.

      Viktor wachte davon auf, dass er sich im Leintuch verheddert hatte. Das Kissen lag auf dem Boden. Der Rücken war schweißnass und er zog die feuchte Pyjamajacke aus. Vielleicht hatte er geträumt, ihm war, als trüge er eine vage Erinnerung in sich wie einen Abdruck, den er nicht deuten konnte.

      Da hörte er ihre Stimme von unten aus der Küche. Ihre Stimme, er konnte sich nicht irren. Es war eine runde Stimme, so wie sie überhaupt ganz rund war. Seine Mutter war schmal, schlank und braun gebrannt, irgendwie sehnig. Sie dagegen war rund, sie war ganz wie ein weicher, wabbeliger Ball. Viktor hörte die Stimme seines Vaters, die dann, wenn er mit ihr redete, auf eine Art weich und sanft war, die sie verstellt klingen ließ – wie ein dicker, schnurrender Kater. So klang er nie, wenn sie allein waren. Viktor hörte, wie die beiden zusammen Kaffee kochten. Sie unterhielten sich leise und kicherten, als ob sie total viel Spaß hätten. Die weiche Stimme seines Vaters ringelte sich um ihr Lachen und gellte Viktor in den Ohren.

      Es roch nach Kaffee. Viktor mochte keinen Kaffee, nicht einmal mit Milch und Zucker, aber den Geruch hatte er gern: Wenn der Duft aus einer frisch geöffneten Tüte zischte oder bei Großmutter im Urlaub auf der Insel, wenn sie den Kaffeetisch im Garten deckte und die Kupferkanne und die alte, verschlissene Mühle herausholte und die schwarzen Bohnen mahlte.

      Der Kaffeeduft suchte sich jetzt den Weg in seine Nase und die Sonne sickerte durch die Rollos. Wenn sich nicht gerade diese Stimme in sein Zimmer gedrängt hätte, wäre es ein guter Morgen gewesen.

      Er schob die Decke zur Seite, streckte sich und gähnte, der Körper wehrte sich. Er hatte noch Schlaf in den Augen. Er zuckte, als er die Füße auf den kalten Boden setzte. Er trippelte schnell durch den Flur ins Bad und machte die Tür mit einem Knall zu, damit man es unten in der Küche hören konnte. Dann sperrte er sicherheitshalber zu. Er schaute in den Spiegel, der so hoch hing, dass er nur sein halbes Kinn sah, aber das genügte. Er zog die Pyjamahose aus und stellte sich in die Badewanne. Er drehte den Hahn auf, und das Wasser brannte auf dem Bein, er hielt den Duschgriff vom Körper weg, bis das Wasser sich abgekühlt hatte. Dann seifte er sich ein und duschte sich schnell ab. Danach blieb er stehen und ließ das Wasser laufen, bis es kalt wurde. Das bedeutete, dass das heiße Wasser zu Ende war. Jetzt würde es mindestens eine Stunde dauern, bis der Boiler neues Wasser erhitzt hatte. Er wusste, dass das seinen Vater nervte, und er lächelte vor sich hin. Dann drehte er die Hähne am Waschbecken voll auf, während er sich abtrocknete, damit es bis ins Erdgeschoss in den Rohren dröhnen und das Gekicher übertönen würde.

      Er zog seine neue Jeans an, sie war weit, etwas weiter, als seine Mutter meinte, dass sie sein sollte, aber er hatte sie selbst gekauft. Zum ersten Mal hatte er Geld bekommen und war in die Stadt gefahren, um Kleidung für sich zu kaufen. Der Gürtel war auch neu, er war braun, und die bronzene Schnalle hatte die Form eines Stierschädels, wie die, die man auf Bildern aus der Wüste sehen kann. Sie war groß wie die Handfläche, und er hatte sie in Stockholm gekauft, als sie eine Klassenfahrt dorthin ins Wasa-Museum gemacht hatten.

      Eigentlich war der Gürtel viel zu teuer gewesen, aber auf dem Rückweg, als sie bei McDonald’s anhielten, wettete er mit Jonas und Alex, dass er eine Cola in vier Sekunden austrinken könne, gewann die Wette und bekam fünfzig Kronen. Er hatte von Mickes Bruder gelernt, beim Trinken nicht zu schlucken, einfach die Kehle nach hinten beugen und reingießen. Mit Wasser ging es am besten, damit hatte er es geübt. Bei der Cola hatte es so gesprudelt, dass er Magenkrämpfe bekam, bevor sich die Kohlensäure beruhigt hatte. Die Lehrerin hatte sich Sorgen gemacht und ihn gezwungen, auf der Heimfahrt ganz vorne im Bus zu sitzen, damit er schnell hinauskonnte, falls er kotzen müsste. Er versäumte dadurch das ganze Pokerturnier auf den hinteren Plätzen. Das war es aber wert gewesen, dachte er und legte die Hand auf die Schnalle.

      Der Vater und Ingela saßen am Küchentisch und tranken Kaffee. Sie hörten auf zu reden, als er die Treppe herunterkam.

      »Guten Morgen, Viktor«, sagte sein Vater und schaute von der Morgenzeitung hoch. Viktor spürte den strengen Blick und wusste, was sein Vater eigentlich meinte.

      »Hallo!«, sagte Ingela und lächelte. Sie war blass, aber puderrosig über den Backenknochen. Die Haare hatte sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt und unordentliche Haarsträhnen umrandeten ihr Gesicht. Sie trug eine orangefarbige Bluse aus einer Art Seidenstoff und ein lila Stein baumelte wie ein Pendel zwischen ihren Brüsten.

      Viktor sagte nichts. Er ging zum Kühlschrank und holte die Milch heraus. Er füllte die Tasse, stellte sie in die Mikrowelle und schaltete auf 60 Sekunden ein. Die Digitalziffern leuchteten grün und die Mikrowelle surrte. In der Zwischenzeit strich er Krabbenkäse auf sieben Scheiben Knäckebrot. Als der Ofen sich mit einem Knack ausschaltete, holte er die dampfende Tasse heraus und schüttete sieben Löffel Kakao hinein, sodass die Milch fast überschwappte. Dann setzte er sich an den Tisch, auf den äußersten Rand eines Stuhles, mit dem Rücken zu Ingela.

      »Wird sie am Wochenende hier sein?«, fragte er mit leiser Stimme seinen Vater.

      »Was hast du gesagt?«, fragte der Vater und ließ die Zeitung fallen. Die Brille glitt auf die Nasenspitze und presste die Nasenflügel zusammen, er schob sie mit gewohnter Geste nach oben.

      »Wird sie am Wochenende hier sein?«, wiederholte Viktor und rührte in seiner Tasse.

      »Ja, das habe ich


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