Das Mädchen, der Köter und ich. Хелена Эберг

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Das Mädchen, der Köter und ich - Хелена Эберг


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war Samstag und alle Tische waren besetzt: Mütter und Väter drängten sich mit Taschen, Tüten, Kinderwagen und Kindern; pickelige Gymnasiasten, ältere Herren und Frauen mit kleinen, flauschigen Wollmützen standen vor der Gebäcktheke an. Der Boden war voll feuchter Schuhabdrücke und graue Rauchwolken aus der Raucherecke hingen in der Luft.

      »Was nehmen wir?«, fragte Marika, den Kopf ganz dicht an Viktors Schulter.

      Er wehrte sich und machte einen Schritt nach hinten.

      »Keine Ahnung.«

      »Worauf hast du Bock?«

      Viktor zuckte mit den Achseln. Marika stand auf den Zehenspitzen und ihr Blick wanderte gierig zwischen Zimtschnecken, Plundertaschen, Kopenhagenern, Vanilleherzen, Himbeerschnitten, Erdbeertorten und Zuckergussgebäck herum.

      »Was nehmen wir?«

      »Jeder eine Zimtschnecke«, schlug Viktor vor.

      »Nein, etwas Leckereres«, sagte Marika und prüfte die Preisliste an der Wand neben der Kasse. »Wenn wir den Kaffee teilen, können wir uns eine Schnitte leisten, so eine mit Schokolade und gelbem Marzipan, die zweite Tasse ist sowieso umsonst. Okay?«

      Viktor nickte und Marika bestellte eine gelbe Carl-Gustaf-Schnitte mit braunem Pulverkakao, ging zu der Selbstbedienungstheke und füllte eine große, weiße Teetasse bis zum Rand mit schwarzem Kaffee. Viktor drängelte sich zu einem freien Tisch vor.

      Er mochte Marzipan eigentlich nicht, löffelte aber trotzdem vorsichtig von seiner Seite des Kuchentellers, während Marika von ihrer Seite aß.

      »Ist deine Alte schon lange ausgezogen?«, fragte Marika, als die Schnitte schon fast aufgegessen war.

      »Nicht so lange«, antwortete Viktor und trank einen Schluck Kaffee. Er war bitter und er schluckte ihn schnell hinunter, er wollte nicht verraten, dass er nicht gern Kaffee trank. Marika nahm die Tasse und trank von der anderen Seite.

      »Vermisst du sie sehr?«

      »Kommt darauf an«, sagte Viktor ausweichend und nahm einen so großen Schluck, dass sich sein Magen umdrehte.

      »Was heißt ›kommt darauf an‹?«

      »Na ja, manchmal ...«

      Marika kramte in dem Aschenbecher nach Zigarettenstummeln. Sie fand einen, der noch ein paar Zentimeter bis zum Filter hatte, und holte ein Feuerzeug aus der Tasche.

      »Rauchst du?«, fragte sie.

      Viktor schüttelte den Kopf.

      Marika strich den Stummel glatt und zündete ihn an. Ein kohlschwarzer Rand ringelte sich um das Zigarettenpapier, bevor die Glut im Tabak Halt fand.

      »Dachte ich mir. Dass du nicht rauchst, meine ich«, sagte sie und machte ein paar kurze Züge. »Es ist am schädlichsten, so dicht am Filter. Aber Lungenzüge sind noch schlimmer, ich paffe nur.«

      Sie hielt die Zigarette in einem gespreizten Griff, und jedes Mal, wenn sie Rauch einsog, bekam sie eine schmale Falte auf der Stirn.

      »Einmal, als ich einen richtigen Lungenzug gemacht habe, habe ich fast gekotzt. Von Lungenzügen kann man Krebs bekommen, aber das kann man auch kriegen, wenn man nur danebensitzt und mitraucht, also kannst du es genauso gut selbst probieren.«

      Marika streckte Viktor die Zigarette entgegen und er war kurz davor, sie zu nehmen, überlegte es sich aber anders.

      »Du bist süß«, sagte sie.

      Sie zog die Hand zurück und paffte weiter an der Zigarette. Sie hielt den Filter mit Daumen und Zeigefinger, sog den Rauch ein, ließ ihn in der Mundhöhle wenden, kostete ihn und atmete ihn wieder aus. Viktor kam sich albern vor.

      »Doch, ich finde dich süß«, wiederholte sie, »im Ernst.«

      Sie machte einen zu tiefen Zug und hustete, bis ihr die Tränen kamen.

      »Fast ein Lungenzug«, krächzte sie und drückte die Zigarette aus.

      Sie zog den Aschenbecher näher zu sich heran und drehte ihn im Kreis. Immer wieder.

      »Bist du sicher, dass du morgen wieder heimkommst?«

      »Klaro«, sagte Viktor. »Mit dem Dreiuhrbus.«

      »Spitze!«, sagte sie und ließ den Aschenbecher auf den Tisch knallen.

      »Was ist daran spitze?«, fragte Viktor.

      »Ach, ich dachte nur ...«, sagte Marika und fixierte einen grünen Bus, der gerade vor dem Fenster hielt. Er ließ eine Reihe Leute hinaus, die sich in alle Himmelsrichtungen verteilten: Einige schlenderten auf den Marktplatz zu, eine Frau in einem hellblauen Mantel schlich sich zum Bingo, und eine Familie mit einem voll beladenen Kinderwagen kämpfte sich in die Konditorei herein und blockierte den Lichtstrahl, sodass das Türsignal hängen blieb, bis diejenigen, die schon Schlange standen, zur Seite rückten und ihr Platz an den Nummernzetteln machten.

      »Was denn?«, fragte Viktor und brach ihr Schweigen.

      »Ach was, es ist nichts«, sagte Marika und trank den Kaffee aus.

      Viktor streckte sich nach der Tasche und zog sich die Jacke über.

      »Ich muss los«, sagte er und strich sich mit der Hand die Haare aus der Stirn.

      Marika nickte, sie standen auf und ließen das Tablett auf dem Tisch stehen. Viktor ging vor, die Tasche auf der Schulter, ohne sich um ihre Hand zu kümmern, die sich in seine Jackentasche hineingeschlichen hatte.

      Von der Freilichtbühne blies das Blasorchester auf vollen Touren, und eine Gruppe halb erfrorener Rentner stand fröstelnd davor, hinter ihnen ein Typ mit schwarzer Baseballmütze und einem Ghettoblaster unter dem Arm, aus dem mit voller Lautstärke Technomusik dröhnte mit einem Bass, der wie ein verlorenes Herz pochte.

      »Hast du noch ein paar Kronen, damit ich anrufen kann?«, fragte Marika.

      »Nein, du hast den letzten Rest gekriegt«, sagte Viktor abwesend und versuchte herauszuhören, welches Lied mit der Blechmusik aufeinander prallte.

      »Na dann«, seufzte Marika. »Jetzt kann ich nicht mal meinen Alten im Büro anrufen.«

      »Arbeitet er heute?«, fragte Viktor.

      »Hm, er arbeitet immer«, sagte Marika. »Aber weißt du was ...? Es ist doch nicht weit zu deiner Alten, oder?«

      Viktor schüttelte den Kopf und schlug sich im Takt auf den Oberschenkel.

      »Da komme ich mit und rufe von dort aus an, denn sie hat doch Telefon, oder?«

      »Klaro hat sie, aber ...«

      Viktor sah Marika an. Er konnte seinen Blick nicht von ihr lassen; ihr Haar, ihre Hände und die rote Jacke.

      »Was denn, findest du es peinlich?«

      »Peinlich?« Er räusperte sich und versuchte unbekümmert zu klingen. Er spürte, wie seine Ohren heiß wurden.

      »Ja, ein Mädchen nach Hause mitzunehmen«, sagte Marika.

      »Nein, gar nicht«, sagte Viktor, ohne es zu meinen.

      »Okay«, sagte Marika, »dann ziehen wir los.«

      Die Blechmusik verstummte und der Krachmacher hatte freien Spielraum. Marika summte den Refrain mit: »It’s my life, it’s my life, my boy.« Sie blieb stehen, machte ein paar schnelle Hip-Hop-Schritte und drehte sich auf der Stelle. Sie warf ihre Haare zurück und sah aus wie ein Nummerngirl aus dem Privatfernsehen. »Es ist total einfach«, sagte sie, »du darfst nur nicht nachdenken, sondern musst es einfach tun.«

      Viktor hatte immer ebenerdig im Grünen gewohnt. Früher, als alles beim Alten war und seine Mutter daheim im Haus wohnte, hatte sie Dill und Salatköpfe gesät und Beete umgegraben. Sie hatte gern Erde unter den Nägeln. Viktor mochte keine Erde unter den Nägeln oder schmutzige Hände bekommen, aber er mochte seine Mutter, besonders, wenn sie da mit ihrer alten Jeans und den abgelaufenen


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