Josi und ihre Freunde. Lise Gast

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Josi und ihre Freunde - Lise Gast


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vorsichtig.

      Er lächelte sie an, trotz allem beruhigt.

      „Jaja. Aber mach dir keine Gedanken mehr.“

      Sie rollten durch die stille, verschneite Stadt. Leer und dunkel wirkten die Straßen, trotz des Schnees.

      „Jetzt mußt du tüchtig ausschlafen, Josi“, sagte Leo, während er den Schlüssel ins Schloß steckte. Es schneite nicht mehr, man sah Sterne. Josi blickte zum Himmel auf.

      „Kommst du?“ fragte er.

      „Ja, gleich. Vielleicht sehe ich noch eine Sternschnuppe“, sagte Josi.

      „Willst du dir etwas wünschen?“ Er lachte ein wenig.

      „Mir? Nein dir. Daß du wieder froh wirst.“

      „Komm, komm! Sternschnuppen fallen nicht auf Bestellung.“

      Sie stiegen die Treppe hinauf. An Josis Tür blieben sie stehen. Josi fingerte nach dem Schlüssel. Sie hatten die Treppenbeleuchtung eingeschaltet, aber ehe die Tür aufging, wurde es gerade wieder dunkel.

      „Gute Nacht“, sagte Leo. Josi merkte, daß er stehenblieb. Sie tastete nach ihm. Er war ihr so vertraut, in einer Art sogar vertrauter als Ulrich. Ganz schnell legte sie die Arme um seinen Hals und das Gesicht an seine Brust. So weit reichte sie gerade. Er war ja viel größer als sie.

      „Du bist ein lieber Kerl, Josi“, sagte er gerührt.

      „Du, ich hab’ dich lieb. Glaubst du mir das?“

      „Ja. Danke, Josi.“

      Sie ließ ihn los und ging hinein. Ihr war so traurig zumute, zum Weinen. Eine Weile stand sie noch an der Glastür und horchte nach draußen. Ging er hinunter? Ja, jetzt. Sein Schritt klang ganz anders als sonst. Sie tastete sich im Dunkeln in ihr Zimmer und setzte sich aufs Bett. Neben dem Gefühl der Traurigkeit und dem Mitleid für den Kameraden war noch etwas anderes in ihr, eine seltsame, dumpfe Angst. Wenn es ihr auch einmal so ging? Und sie war dann hier so allein ...

      Auf einmal dachte sie das, dachte und fühlte ganz deutlich: fremde Stadt. Sie kroch in sich zusammen. Wenn die Freunde nicht wären, dieses lebendige Stück Heimat hier... es war etwas Unheimliches, das zu denken und zu fühlen. Fremde Stadt – zum erstenmal in ihrem Leben fürchtete sie sich.

      Leo fuhr hoch, als die Tür knallte. Er mußte also doch eingeduselt gewesen sein. Die Uhr zeigte zwölf. Eine Schande!

      Mit verstruwweltem Haar lief er ans Fenster, stieß es auf. Draußen lag Sonne auf dem Schnee. Es schien noch bitter kalt zu sein. Dicke Eisblumen hatten sich an den Scheiben gebildet. Ach, was tat die Luft wohl!

      Ganz plötzlich fühlte er sich froh und beinahe erleichtert, er verstand sich selbst nicht. Heute nacht war er doch sehr unglücklich gewesen, oder nicht? Aber er konnte nicht anders: Wunderbar ausgeschlafen fühlte er sich und herrlich hungrig.

      Ob die beiden Mädchen wohl noch schliefen? Vielleicht kochte Josi einen ordentlichen Kaffee für sie alle.

      „Hast du schon gefrühstückt?“ fragte er Ulrich, während er mit tropfendem Gesicht nach einem Handtuch suchte. „Ich hab’ einen Kohldampf, nicht von schlechten Eltern. Warst du etwa schon in der Stadt?“ Ulrich hatte den Mantel an.

      „Mach doch das Fenster zu, es wird ja eiskalt“, sagte er jetzt ärgerlich. Er stand am Tisch und kramte in seiner Mappe.

      „Na, wenn ich nicht friere“, sagte Leo friedlich und schloß den Flügel. Seine Haut dampfte. „Warst du im Verlag? Wieviel hast du denn rausgeschlagen?“

      „Ach, das ist eine dumme Geschichte, ich hab’ noch gar nicht fest zugesagt“, knurrte Ulrich. „Sie wollen eine Änderung.“

      „Das wollen, denke ich, alle Verleger?“ fragte Leo, während er sein Hemd hinten in den Gürtel stopfte. „Jedenfalls sagtest du das mal. Ohne Änderung kein Vertrag.“

      Ulrich stampfte mit dem Fuß auf. „Ach, quatsch doch nicht. Nein wirklich, Leo, du solltest nur über Sachen reden, von denen du was verstehst.“

      „Nanu, du hast wohl Aschermittwochslaune?“

      „Ich hab’ gar keine Laune“, schrie Ulrich und schmetterte die Tür hinter sich zu. Der Bruder sah ihm verblüfft nach. Merkwürdig!

      Nach einiger Zeit kam Ulrich mit Helga und Josi wieder ins Zimmer. Leo hatte inzwischen etwas Ordnung gemacht und geheizt. Sie hatten schon gestern verabredet, heute zu schwänzen. Josi trug ein Päckchen Kaffee in der Hand.

      „Laß es dir nicht gefallen, Ulrich, ja nicht!“ sagte sie ganz wild. „Es kommt auf keinen Fall in Frage. Gerade diese Stelle ist die Hauptsache, der Höhepunkt des Ganzen!“

      „Du mußt es dir unbedingt ansehen, Helga“, sagte Ulrich und blätterte in seinem Manuskript, „hier, im dritten Kapitel. Also meiner Meinung nach kann man das gar nicht streichen.“

      Helga kannte den Roman noch nicht ganz. Sie hatte Teile daraus gehört, als Ulrich ihn diktierte, aber nie darum gebeten, das Ganze lesen zu dürfen. Ulrich hatte das ein wenig gekränkt, und er hatte es ihr deshalb nie angeboten. Jetzt schob er ihr die Blätter heftig über den Tisch hin.

      „Wollen sie ihn in dieser Form nicht abdrucken?“ fragte Leo, der allmählich merkte, daß es sich nicht nur um eine Kleinigkeit handelte, wie er vorher gedacht hatte. Ulrich tat ihm leid, es schien ihm sehr nahezugehen.

      „Sie bestehen darauf, daß ich das streiche – oder abändere“, sagte Ulrich, „aber das gibt ein ganz anderes Gesicht des Ganzen. Und Frau Irmelin würde nie so handeln, nie, nie.“

      „Nein, gerade dieses Unbedingte paßt zu ihr!“ fiel Josi ein. „Sie ist eine Entweder-Oder-Natur, ohne Kompromisse, ohne Zugeständnisse. Sie muß so handeln, das ist ganz logisch.“

      „Kinder, geht es denn eigentlich immer so logisch zu auf der Welt?“ fragte Leo, der bisher geschwiegen hatte, plötzlich nachdenklich. Er stand da und sah über Helgas Schulter weg auf das Manuskript herunter, ohne zu lesen. Logisch – wäre es nicht logisch gewesen, daß er jetzt kreuzunglücklich wäre, todtraurig, mindestens ein paar Jahre lang? Und er stand hier, durchaus nicht zu Tode betroffen, obwohl Helga Ulrich liebte und nicht ihn. Der Kaffee schmeckte ihm herrlich, und er freute sich bereits auf das Reiten am Nachmittag. Nein, Logik war das nicht. Oder hatte er am Ende Helga gar nicht wirklich geliebt? Er hörte nichts davon, was die andern heftig hin und her redeten. Brauchte man nur richtig auszuschlafen, und alles war wieder besser? Es schien fast so. Denn – obwohl es ihm ein bißchen untreu erschien – er hatte keine Lust, weiter traurig zu sein, wenn er es nicht von selbst war, in einem Schmerz zu wühlen, der eigentlich schon zur Vergangenheit gehörte. Helga war ihm von jeher als das schönste und feinste Mädchen erschienen, das er kannte, und nicht zuletzt hatte er deshalb Landwirtschaft studiert. Wenn er einmal einen guten Posten auf einem Gut oder Gestüt bekam, konnten sie heiraten. An einen eigenen Hof war natürlich nicht zu denken. Früher hatte er sich eigentlich immer vorgestellt, Reitlehrer zu werden. Jedenfalls konnte er sich keine Zukunft ohne Pferde denken.

      Aber alles, was Helga betraf, war gleichsam nie der brennende Mittelpunkt, das leuchtende Ziel seines Lebens gewesen, eher eine angenehme und schöne Aussicht. Natürlich mußte er sich nun, da es nichts wurde, umstellen. Aber das war auch alles. Und...

      Seit sie zu viert hier wohnten, war es ganz von selbst gekommen, daß er Helga manchmal mit Josi verglich. Und manches war bei Josi eben doch einfacher. Helga war anspruchsvoll, ohne es überhaupt zu wissen. Immer hatte sie Geld.

      Natürlich, bei der großen Liebe hatte Geld nichts zu sagen. Dann setzte sich die Frau eben drüber weg, weniger zu haben, oder der Mann erzwingt vom Leben, daß er mehr schafft. So würde es nun wohl Ulrich machen. Natürlich war das nicht leicht, aber seine Sache. Daß er, Leo, sich nun nicht so anzustrengen brauchte, machte vielleicht die kleine Erleichterung aus, die er fühlte. Und wenn sie trotzdem gute Freunde bleiben würden, sie alle vier – dann war doch alles in Ordnung. Nur gut, daß er allein von der Sache wußte, das nahm dem Ganzen doch die Peinlichkeit.

      Nein,


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