Josi und ihre Freunde. Lise Gast
Читать онлайн книгу.focht ihn nicht an. Was verstand er schon von Büchern! Er war ein Bauer und wollte keine Sterne vom Himmel reißen. Mochte Ulrich es tun.
Ulrich ging an diesem Tag nicht mit reiten. Er war sehr bedrückt. Gestern hatte er sich mit Vorschußlorbeeren geschmückt, das war ihm sehr klar. Am Telefon hatte es ja auch geklungen, als ob... ach ja. Nun saß er in der Tinte. Sollte er wirklich ändern? Es kam ihm wie ein Verrat vor.
Josi natürlich, die sagte: „Keine Silbe wird geändert.“ Ach, Josi! Sie war so hundertprozentig, wie man das mit neunzehn Jahren ist. Aber man kann im Leben eben nicht mit dem Kopf durch die Wand. Und wer sagte denn, daß der Verlag nicht recht hatte! Daß seine Frau Irmelin eben nur eine Romanfigur war, eine Idealgestalt, die es nicht gibt, nicht geben kann in Wirklichkeit?
Schließlich packte er das Manuskript zusammen und ging damit los. So oder so, er mußte noch einmal mit dem „Zwerg“ sprechen, wie er den Verleger bei sich nannte. Er stand lebhaft hinter seinem Riesenmöbel von Schreibtisch auf.
„Herr Gieseking, und mit dem Manuskript! Sie haben sich also entschlossen zu ändern? Meinen Glückwunsch!“
„Herr Doktor, ich möchte – ich komme...“
Der Kleine zog die Augenbrauen hoch. „Sie möchten...“
„Ich möchte noch einmal mit Ihnen über die bewußte Stelle sprechen“, sagte Ulrich schwach. Er hatte das Gefühl, als stünde er in einem reißenden Fluß auf Sand, und der Sand ränne ihm unter den Füßen fort.
„Gut, sprechen wir“, sagte der andere und sah nach der Uhr, „ich bin zwar etwas eilig...”
„Hören Sie mich doch an. Diese Frau kann nicht anders handeln“, sagte Ulrich angstvoll, „sie ist eine Entweder-Oder-Natur, hundertprozentig!“ Unwillkürlich sprach er in Josis Worten. „Wenn sie diesem Schuft – Steinbach ist ein Schuft, sie weiß das noch aus der Schulzeit –, wenn sie ihm gegenübersteht, ohrfeigt sie ihn. Ich kann das nicht ändern.“
Er merkte, daß der andere überlegte. Das gab ihm etwas Sicherheit zurück. Es war, als fühlte er Felsen unter dem rinnenden Sand.
„So, meinen Sie? Aber eine Ohrfeige ist etwas ziemlich Deftiges, noch dazu im Beisein anderer. Wer läßt sich von einer Frau ohrfeigen? Nein, nein, nein.“
„Das ist es ja gerade. Diese Frau Irmelin ist ungeheuerlich. Sie ist etwas Besonderes, kein Durchschnittsmensch.“
„Zugegeben.“ Der Verleger stand auf und ging auf und ab. „Ich verstehe Sie. Etwas Besonderes. Trotzdem kann ich Ihnen nicht recht geben. Die Szene muß geändert werden. Es tut mir leid für Sie“, setzte er nach einer Pause hinzu. „Es tut mir immer leid für Autoren, wenn sie denken, sie müßten Konzessionen machen. Aber so kann ich den Roman nicht bringen. Das Publikum...“
„Ich kann doch auf die schwachen Nerven Ihres Publikums keine Rücksicht nehmen“, rief Ulrich wütend.
„Schwache Nerven? Verzeihung, das ist Unsinn. Von Nerven ist keine Rede. Es ist geschmacklos.“
„Finden Sie?“ fragte Ulrich beleidigt. Auch er war aufgestanden. „Dann kann ich wohl gehen.“
„Sie können. Natürlich können Sie jetzt gekränkt abziehen“, sagte der andere, „steht Ihnen frei. Aber es wäre unklug, jawohl. Denn ich biete Ihnen eine Chance, vielleicht die Chance Ihres Lebens. Ihr Roman gefällt mir, er ist frisch, lebendig und jung. Aber solche gibt es mehr. Sie tun mir nichts an, wenn Sie jetzt gehen, vielleicht aber sich selbst etwas. Nicht jede Zeitschrift nimmt, wie wir, Romane von gänzlich unbekannten Leuten, die sich erst bewähren müssen. Ich will nichts erzwingen. Aber wenn ich die Verantwortung übernehme, Sie zu drucken, müssen Sie Vernunft annehmen. Verstehen Sie mich?“
„Ja“, sagte Ulrich leise. Wieder rann der Sand, und der Fels war fort. Eine Zeitlang hatte er nicht mehr daran gedacht, was alles von dieser Unterredung abhing. Jetzt stand es wieder deutlich vor ihm: die Blamage vor Helga und den andern.
„Wenn Sie also glauben, daß Frau Irmelin nicht anders handeln kann, wenn sie diesem Steinbach gegenübersteht...“
„Sie kann nicht anders“, sagte Ulrich, beinahe nur noch aus einem gewissen Beharrungsvermögen heraus. Nun war alles verloren.
„Gut, dann ändern Sie die Situation. Vermeiden Sie, daß sie ihn trifft, lassen Sie ihn jemanden anders schicken, der die Botschaft ausrichtet. Den wird sie wohl nicht ohrfeigen.“
„Nein“, sagte Ulrich zögernd. Eine kleine Hoffnung glomm in ihm auf. Vielleicht...
„Gut, dann schreibt er einen Brief. Oder telegrafiert. Ganz egal, aber vermeiden Sie die Gegenüberstellung. Lassen Sie die Frau auf den Tisch hauen oder den Brief zerfetzen, meinethalben, alles andere wird sich schon finden.“ Er blieb vor Ulrich stehen.
„Auf den Tisch hauen finde ich nun wieder geschmacklos“, sagte Ulrich und lächelte matt.
„Na schön. Also haut sie nicht. Aber mit der schriftlichen Erledigung sind Sie einverstanden? Sehen Sie, wir raufen uns noch zusammen. Ich bin ja kein Banause, wenn Sie es im Augenblick auch fest glauben. Nein, nein, widersprechen Sie nicht, ich kenne meine Herren Autoren. Wenn Wünsche töten könnten, deckte mich längst der grüne Rasen.“
Ulrich verließ den Verlag mit widerstrebenden Gefühlen. Was würden die andern sagen? Helga? Und Josi? Und Leo? Wenn der spottete, bekam er hoch und heilig etwas ab!
Der Verleger hatte bis zu einem gewissen Grade recht. Obwohl es natürlich schade war um die große Szene. Was hatte Josi gesagt? Der Höhepunkt des Ganzen? Josi übertrieb immer. Wenn man es von Anfang an so beschrieben hätte, ohne Gegenüberstellung... Das Publikum! Er schnitt ein Gesicht. Aber schließlich will man ja für die Leser schreiben und nicht für die Schublade... Josi ließ das Rad ausrollen und sprang ab. Im Englischen Garten waren die Wege eben, große, alte Bäume säumten sie, ja aber Wald war das nicht. Der Park einer Stadt, kein Wald.
Zu Hause war alles anders. Josi war auf einer der kleinen Brücken stehengeblieben und spuckte gedankenlos ins Wasser hinunter. Sie war jetzt viel allein, und Alleinsein war nichts für sie. Helga ließ sich kaum auf der Bude sehen, Ulrich arbeitete wie ein Besessener an seinem Roman, dessen Korrekturen er las, und Leo machte den Führerschein neben allen sonstigen Anforderungen. Josi schnupfte.
Manchmal war sie extra zu Hause geblieben, um Ulrich Gelegenheit zu geben, daß er sie um Rat fragte, wie früher. Aber er tat es nie mehr. Josi fühlte, wie ihr die Tränen kamen. Sie hatte damals recht gehabt, sie fand es schlapp und unmännlich von Ulrich, daß er nachgegeben hatte. Man gibt nicht nach, wenn man die Kunst ernst nimmt, wenn sie einem mehr bedeutet als alles Gold der Erde. Oder man ist eben kein ganzer Kerl. Sie hatte Ulrich immer für so einen gehalten.
Ihr Gefühl zu ihm hätte sich kein bißchen geändert, wenn der Roman unangenommen in der Schublade verschimmelt wäre. Sie hatte nicht den erfolgreichen Schriftsteller geliebt, auf dessen Bücher sie stolz sein konnte, sondern den Menschen, und der hatte sie enttäuscht. Es war schlimm, sich das eingestehen zu müssen, aber sie tat es. Erst hatte sie versucht, die Augen davor zu schließen und ihn weiterzulieben. Aber das ging nicht. Er war ein schönes Standbild, das einen Sprung bekommen hatte.
Josi fragte sich jetzt oft ganz ernstlich, warum sie eigentlich hier war. Ihr Studium – du lieber Gott, man sollte es wirklich andern überlassen zu studieren, die geeignet dafür waren und wußten, was sie wollten. Studieren, um den anderen zu verstehen – sie hatte Germanistik gehört wie Ulrich –, nein. Und der Sport? Er machte Spaß, zugegeben. Aber er war kein Lebensinhalt für sie. Es genügte ihr nicht, beim Schwimmen Sekunden zu drücken oder beim Speerwurf Rekorde aufzustellen. Auch das war nicht ihr Gebiet.
Was aber um Himmels willen war es denn? Wo leistete sie etwas? Nirgends. Ja, tatsächlich, wenn man ehrlich war: nirgends. Es war ein recht niederschmetterndes Ergebnis, zu dem sie kam.
Es war doch aber schön hier gewesen! Josi dachte an den Abend, als sie auf den Christkindlmarkt zogen, alle vier. Es war sehr kalt, und alles sah verlockend und märchenhaft aus mit der dünnen