Josi und ihre Freunde. Lise Gast

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Josi und ihre Freunde - Lise Gast


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Dann aber ließ sie es, verließ ihr Zimmer und lief los, zu ihm hin. Es war weit durch die Stadt, und sie fuhr sonst immer, heute aber lief sie. Ihr war zum Weinen zumute. Warum nur?

      Ein unmögliches Menschenkind, ja, das war sie immer gewesen. Zu Hause hielt sie es nicht aus, weil Mutter da war, so sehr und stark sie selbst, daß sie, Helga, glaubte, stets in ihrem Schatten zu stehen, sich nie zur Persönlichkeit entwickeln zu können. Mutter verlangte so viel, obwohl sie nie etwas sagte. Und jetzt verlangte Mutter gar nichts mehr. Sie war so jung geworden durch den kleinen Jens, so jung und gegenwartsglücklich, beneidenswert. Trotzdem fand sich Helga zu Hause unmöglich – und in der Klinik? Dort erst recht. Sie lief durch die juliheißen Straßen, sah nicht nach rechts, nicht nach links und sprach im Geist auf Ulrich ein, oh, er mußte sie verstehen! Und dann würde alles gut werden, alles – genau wie bei Josi und Leo.

      „Wir sind uns also einig?“ fragte der alte Kostewitz abschließend. Leo nickte strahlend. Es war wirklich so gekommen, der Posten war noch frei, und er spürte nichts als den brennenden Wunsch in sich, aufzuspringen, so schnell er konnte, nach dem nächsten Postamt zu rennen und an Josi zu telegrafieren: „Vertrag unterschrieben, komm heiraten!“ Leider durfte man das nicht.

      „Also dann.“ Der alte Herr kam mit einer Flasche und Gläsern: Ein richtiger Pferdehändler kann keinen Vertrag als bindend ansehen, der nicht begossen wurde.

      Leo trank gehorsam, er stammte ja vom Land und wußte über Sitten und Gebräuche Bescheid. Allerdings – war das ein Rachenputzer! Dagegen erschienen ihm Frau Fleischhacks Erzeugnisse wie Vanillesoße. „Danke, ich hab’ genug.“ Er hielt sein erst halb geleertes Glas so, daß der andere nicht nachschenken konnte. „Wirklich, vielen Dank.“

      „Na, denn nicht. Komische Jugend heute.“ Leo sah, wie das Gesicht des Alten sich mit seinen tausend Falten und Fältchen in die Breite zog. Vielleicht war das seine Art zu schmunzeln. Lachen hatte ihn noch niemand gesehen.

      „Also am fünfzehnten August fangen Sie an? Gut, sehen wir uns bis dahin noch mal?“

      „Ich denke ja. Meine zukünftige Frau...“

      „Ihre – was?“ fragte Kostewitz.

      „Meine Braut“ – das Wort war so ungewohnt – „käme sicher gern einmal mit her.“

      „Mensch!“ Der alte Herr trat in seiner ganzen klapprigen Dürre von fast zwei Metern vor Leo hin. „Ihre Braut? Was wollen Sie denn mit der hier?“

      „Tja...“, Leo wich ein bißchen zurück, der Atem des Alten hatte wieder so einen spirituösen Einschlag, „ich will sie natürlich heiraten.“

      „Heiraten?“ Der Alte stand versteinert. Dann machte er mit der Flasche, die er noch in der Hand hielt, eine Bewegung zu den Ställen hin. „Daraufhin etwa?“

      „Jawohl“, sagte Leo knapp und militärisch. Kostewitz ging der Ton ein, so war er es von früher her gewohnt.

      „Soso. Hören Sie...“ Nein, es überwältigte ihn doch wieder, er konnte nichts dafür. „Ich fürchte, Sie haben den Vertrag nicht richtig gelesen. Siebenhundert Mark im Monat...“

      „Jawohl. Aber Licht, Wohnung und Heizung frei.“

      „Ganz recht. Ebenso Wasser und Müllabfuhr und auch sonst keine Nebenkosten“, vollendete der Alte in grimmigem Hohn, „und davon wollen Sie eine Frau ernähren?“

      „Davon getraue ich mir sogar, eine Familie zu gründen“, sagte Leo und hob streitlustig den Kopf. Sein ganzes junges Gesicht leuchtete vor Glauben und Zuversicht. „Es wird Ihnen vielleicht etwas unverständlich erscheinen, aber... Also mit Josi, mit meiner Verlobten, geht das ohne weiteres, darauf können Sie sich verlassen.“

      „Soso.“ Der Alte machte ein etwas sonderbares Gesicht, beinahe beschämt sah er aus. Dann schüttelte er wieder den Kopf. „Gieseking, haben Sie sich das wirklich überlegt? Schon allein die Räume, die sind nun einmal, wie sie sind.“

      „Jaja, ich habe Josi alles aufgezeichnet“, sagte Leo eifrig, „der große Raum wird die Wohnstube. Wir haben uns schon alles überlegt. Und für die Schlafstube schaffen wir uns eine Schlafcouch an, zwei Betten hätten nicht so gut Platz.“

      „Finde ich auch“, stimmte der Alte trocken zu.

      „Ja, aber auf diese Weise haben wir zwei Wohnräume, und im Flur können wir vielleicht, wenn Sie nichts dagegen haben, einen kleinen Herd aufstellen. Dort geht der Kamin durch, und Wasserleitung ist auch da. Josi meint, für zwei Mann braucht man eigentlich nur einen Spirituskocher, aber ich dachte es mir nett, sie mit dem Herd zu überraschen. Da ist der Flur im Winter auch überschlagen.“

      „Furchtbar nett. Ganz meine Meinung. Wollen Sie ihr den Herd zur Hochzeit schenken?“

      „Nun, wenn auch das nicht gerade – Sie haben also nichts dagegen?“

      „Gegen den Herd? Nein. Und gegen Ihre Heirat selbstverständlich auch nicht. Obwohl, aber es ist sicher zwecklos zu sagen: Überlegen Sie sich das. Jugend überlegt nicht.“

      Leo lachte. „Vieles geht wirklich besser ohne viel Überlegung“, sagte er. Sie verabschiedeten sich. Leo schwang sich draußen auf sein Fahrrad und flitzte davon, um das Telegramm noch vor Schluß des Schalterdienstes aufzugeben. Er erreichte die Post auch mit einem grandiosen Endspurt. Langsamer rollte er dann heimzu. Nun galt es also, die Bombe springen zu lassen.

      Am besten überlegte man hier auch nicht; es würde einen Riesenkrach geben, so oder so. Sie ahnten ja noch nichts daheim, weder von dem einen noch von dem andern.

      Die Mutter saß auf der obersten Stufe der kleinen Treppe, die vom Hof her in die Küche führte, und steinte Kirschen aus. Zwei Milcheimer voll standen neben ihr.

      „Oh“, sagte Leo und setzte sich zu ihr. Kirschen waren gerade das richtige für diesen heißen Tag. Er spuckte die Kerne in weitem Bogen hin über den Gartenzaun. „Backst du Kirschkuchen? Josi kommt nämlich. Und die ißt ihn fast so gern wie Waffeln.“

      „Ach! Heute?“ fragte die Mutter erstaunt.

      „Nein. Ich hab’ ihr telegrafiert. Sobald sie loskommt dort oben in ihrer Jugendherberge.“

      „Nanu? Seit wann telegrafiert ihr euch denn?“

      „Seit heute, Mutter. Ich habe heute meinen ersten Dienstvertrag unterschrieben, und daraufhin wollen wir heiraten“, sagte Leo schlicht, aber groß. Frau Gieseking starrte ihn an.

      „Dienstvertrag? Heiraten? Ja, aber Männe...“

      „Mutter, schimpf nicht. Nein? Es kam so plötzlich. Und Josi hat recht: Ich pass’ nicht in die Stadt. Und sie freut sich so. Hast du sie nicht immer schrecklich gern gehabt? Und denk nur, wir kommen hier ganz in die Nähe, auf den Hetzenhof, zu Kostewitz. Da sind wir sonntags alle nasenlang bei euch. Und du backst Kirschkuchen. So wie du kann ihn Josi sicher noch nicht backen, auch wenn sie einen Herd bekommt...“

      Die Mutter kam nicht zu Wort. Wieder einmal hatte Leo, ohne zu überlegen, das Richtige getroffen – sie durfte einfach nicht zu Worte kommen. Er mußte sie überrumpeln, im Sturm nehmen, ehe sie auch nur ein Wort dagegen sagen konnte.

      Erst versuchte sie, ihn zu unterbrechen. Aber der Junge war so offensichtlich glücklich, daß sie einsah: Widerspruch kam hier nicht an. Und Josi würde ihre Schwiegertochter werden, große Hauptsache. Immer hatte Frau Gieseking ein wenig Sorge gehabt, ob Leo einmal die richtige Frau finden würde. Daß er nicht in die Stadt paßte, war ihr längst klar. Gottlob, er hatte es herausgefunden! Daß die Stelle, mit der er anfing, keine großartige war, durfte dagegen keine Rolle spielen. Und mit Josi – das wußte Frau Gieseking –, mit Josi war er gut beraten, eine bessere Frau fand er nicht, ganz abgesehen davon, daß sie selbst Josi liebte wie eine Tochter.

      „Du, Leo“, unterbrach sie ihn plötzlich, „wie wäre es, wenn wir die Hochzeit hier ausrichten? Im Forsthaus? Josis Mutter hat doch noch mehr Töchter, die wird es sicher erlauben. Ich fände es herrlich, wenn ihr hier heiratet, denn Josi war doch immer Kind im Haus bei uns.“

      „Darum


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