Das Prinzip Uli Hoeneß. Christoph Bausenwein
Читать онлайн книгу.Auf jedem Gebiet allerdings funktionierte das Prinzip des »Lernens durch Handeln« nicht. Der Schüler Hoeneß lag wohl ganz richtig, als er bei der Schülerzeitung nicht die Stelle des Chefredakteurs anstrebte, denn der Versuch, sich selbst als Hobby-Journalist bei der »Südwest Presse« zu profilieren, endete wenig glücklich. Am 4. November 1972 erschien seine erste Kolumne in der Ulmer Heimatzeitung mit dem Titel: »Das meine ich«. Pro Artikel erhielt der Nachwuchsstar des FC Bayern, der in der Schule stets gut benotete Deutschaufsätze abgeliefert hatte, 150 DM. Die Serie erschien mit einem Foto des Autors, das ihn hinter einer Schreibmaschine sitzend zeigt, den Kopf im Denkergestus auf die Hand gestützt. Er nutzte den Raum vorwiegend zur Selbstdarstellung und zu recht belanglosen Betrachtungen. Einen Blick hinter die Kulissen des FC Bayern, den sich die Blattmacher eigentlich versprochen hatten, gewährte er nicht. Und so wurde die Kolumne schon bald ersatzlos gestrichen.
Der Zimmergenosse und Geschäftspartner
»Uli Hoeneß und ich haben uns 1967 bei einem Turnier der süddeutschen Jugendauswahl kennen gelernt«, berichtete Paul Breitner über den Beginn einer langjährigen Freundschaft. Die beiden Fünfzehnjährigen waren damals auf ein Zimmer gelegt worden. Kurz darauf trafen sie sich in der deutschen Jugendnationalmannschaft wieder, und als sie gleichzeitig beim FC Bayern anheuerten, waren sie erneut beisammen. In München bewohnten die beiden ein gemeinsames Appartement in Trudering, bei Trainingslagern und Auswärtsspielen schliefen sie in einem Doppelbett. Das Verhältnis war eng zwischen den beiden, sehr eng. So eng, dass sie schon bald als »siamesische Zwillinge« bezeichnet wurden. »Jeder kannte von dem anderen alles«, so Breitner. »Es war so, dass wir ab einem gewissen Zeitpunkt gesagt haben: Es ist eigentlich egal, wer ans Telefon geht, wenn’s läutet. Weil: Beide wissen sowieso, worum’s geht, beide können für den anderen antworten.«
Das unzertrennliche Pärchen hielt in allen Lebenslagen zusammen. Als Breitner zum 1. Oktober 1970 zur Bundeswehr einrücken sollte, weigerte er sich, dem Einberufungsbefehl Folge zu leisten, und schlich sich, als die Feldjäger vor der Haustür standen, in den Kohlenkeller. Sein Mitbewohner wimmelte die Häscher ab und erfand dabei die fantasievollsten Ausreden. Elf Tage hielt Breitner als »Kellerkind« durch, dann meldete sich der Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker und redete ihm ins Gewissen: Die Gefahr, dass man ihn auf dem von sensationslüsternen Journalisten umlagerten Trainingsplatz verhafte, wachse von Tag zu Tag. Breitner gab schließlich auf und versuchte unter Verweis auf seine Wirbelsäulenbeschwerden bei der Bundeswehr den Kranken zu spielen – vergeblich. Während seines Wehrdienstes geriet er völlig außer Form und wurde umso übellauniger, je erfolgreicher sein Wohnungspartner währenddessen seine Karriere vorantrieb. Immer häufiger krachte es zwischen den beiden Freunden. Vielleicht zwickte den nörglerischen Breitner neben seiner frustrierenden Situation zudem ein wenig der Neid, dass Hoeneß immer einen Tick schlauer war als er. So auch in Sachen Bundeswehr. Mit der Begründung, dass er Probleme mit dem Knie habe und ihm das Tragen eines Helmes Schmerzen im Kopf verursache, hatte es Hoeneß tatsächlich geschafft, untauglich geschrieben zu werden.
Als Typen waren die zwei Freunde sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite der schwäbische Modellathlet, der sehr viel Wert legte auf ein gepflegtes Äußeres. Er sei nicht nur hoffnungslos ehrgeizig, erläuterte der junge Hoeneß, sondern auch eitel. Seinem damals noch wallenden blonden Haar widmete er allergrößte Aufmerksamkeit; er wusch es täglich und brachte es mit einem überdimensionalen Fön in Form. Zimmergenosse Paul Breitner wunderte sich und machte seine Witze über diesen »Foeneß«. Er selbst wirkte wie das Gegenmodell zu diesem Strahlemann: Bärtig, die dunklen Haare im Afrolook, stets mürrisch und überkritisch, umgab den Pädagogikstudenten aus Freilassing die Aura eines linken Revoluzzers. Der »rote Paul«, wie Breitner bald von den Medien getauft wurde, ließ sich mit der kommunistischen »Peking Rundschau« vor einem Mao-Poster ablichten und erklärte eine Niederlage der Amerikaner in Vietnam zu seinem größten Wunsch. Der stockkonservative Präsident Neudecker wunderte sich über den seltsamen Sozialisten Breitner. »Der gibt sich sozialistisch und verdient mehr als zehn Arbeiter zusammen.« Als der FC Bayern im September 1971 zum Europapokalspiel gegen den tschechoslowakischen Vertreter Skoda Pilsen reiste, schlug der tiefschwarze CSUler dem »Revoluzzer« vor, den Mannschaftsbus zu verlassen, um in den »Sozialismus« überzusiedeln. Breitner blieb natürlich dort, wo es bequemer war und wo es mehr Geld gab. Viel mehr Geld. Geld, das er zu einem großen Teil nicht zuletzt den Aktivitäten seines Partners Hoeneß zu verdanken hatte, der ihn immer wieder an seinen Geschäften beteiligte.
Hinter dem »Parade-Linken« Breitner stand freilich nicht viel linke Substanz. »Ich kam in einer Phase nach München, in der in ganz Deutschland jeder, der jung war und sich zu irgendwas Politischem geäußert hat, ein Linker war«, erklärte er im Jahr 1982 gegenüber der Zeitschrift »Konkret« die Hintergründe seines Images. »Ich habe damals in einem Interview auf die Frage, was ich denn lese, gesagt, dass ich mich für Jerry Cotton und Western interessiere. Und als die fragten: Was haben Sie denn dabei, habe ich geantwortet: Irgendwelche Bücher und Psychologie und wahrscheinlich auch den Lenin oder so. Aha, auf Wiederschaun, am nächsten Tag war ich der Rote, der Linke.« Der CSU-Wähler Hoeneß indes empfand sich ebenfalls als Teil der 68er-Generation, jener Generation also, die sich gegen das Establishment und verkrustete Hierarchien auflehnte. »68er« könne man auch sein, meinte er, ohne zugleich ein »Linker« werden zu müssen. Er verstand sich als Modernisierer und sah keinen Widerspruch darin, einerseits die alten Strukturen aufzubrechen und andererseits als bekennender Anhänger von Franz-Josef Strauß die CSU zu wählen. Neu und modern war zudem seine Interpretation des Profidaseins und vor allem die Art, wie er seine Position selbstbewusst und selbstbestimmt zum Geldverdienen nutzte.
Breitner bewunderte die enorme Geschäftstüchtigkeit seines Zimmergenossen. »Als ich den Uli kennen gelernt hab’ mit 16, 17, 18 Jahren, war er schon so viel Geschäftsmann, wie andere mit 40 oder 45 sind«, meinte er bewundernd. Überall, wo er ging und stand, witterte er etwas, was sich in Geld umsetzen ließ. »Er macht noch mit ausgegangenen Haaren Geld«, witzelte Breitner voller Anerkennung für seinen permanent neue Geschäftsideen entwickelnden Kompagnon und freute sich, dass er von der Umtriebigkeit des Freundes profitieren konnte. Ohne Hoeneß, bekannte er, würde er außerhalb des Fußballs keine Mark verdienen. Anders als andere Profis, die zu ihrer Vermarktung einen eigenen Manager benötigten, schloss Hoeneß – »ehrgeizig, gierig, unersättlich«, so der Autor Roderich Menzel im Jahr 1981 – alle seine Verträge selbst ab. »Wozu Geld für Provisionen hinauswerfen?«, meinte er. »Das mach’ ich selber am besten!« Und so handelte er respektable Honorare für Autogrammstunden aus, schloss Werbeverträge mit »Wienerwald« und »Kaufhof«, mit einer Margarinemarke und einer Bank ab, warb für Eiscreme und posierte neben seinem Kumpel Breitner – und mit respektablem Waschbrett-Bauch – als Modell für Unterhosen.
Der zentrale Antrieb für Hoeneß’ enorme Umtriebigkeit lag wohl nicht nur in einer schier unersättlichen Gier; man kann sein Verhalten sicher auch als Versuch interpetieren, die von den Eltern vorgelebten Existenzängste zu besiegen. Wie ausgeprägt die waren, wird unter anderem durch den Umstand belegt, dass die Eltern bis zu ihrem Tod Geld für die Absicherung ihrer Söhne zurücklegten, trotz deren Millionenverdienstes. »Als meine Eltern gestorben waren«, äußerte ein beschämter Uli Hoeneß, »war ich schockiert, wie viel sie uns hinterlassen hatten. Sie hatten sich offenbar teilweise für uns den Urlaub gespart.«
Der Uli, die Susi und der Franz-Josef
Trotz aller Gemeinsamkeiten gab es in der »Männerehe« Breitner und Hoeneß aber auch anhaltende Turbulenzen. Man saß einfach zu eng aufeinander. Beide waren fest liiert, der Uli mit seiner Susi und der Paul mit seiner Hildegard, und vor allem am Wochenende, wenn die jungen Pärchen Zeit füreinander hatten, wurde es schwierig. Man vereinbarte zwar einen Terminplan, wer an welchen Wochenenden Alleinherrscher über das Appartement sein durfte, aber der wurde meist durch irgendetwas Unvorhergesehenes über den Haufen geworfen. Auch als sich das Wochenendproblem nach Breitners Heirat und dessen Auszug aus der gemeinsamen Wohnung gelöst hatte, verbrachten die beiden, die ja meist fünf Tage in der Woche unterwegs waren, immer noch mehr Zeit miteinander als mit ihren Partnerinnen. Es war ein Zusammenleben, meinte Breitner, fast so eng wie bei einem alten Ehepaar.
Uli Hoeneß entschloss sich im Herbst 1973,