Der Krimi an sich. Jerry Cotton

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Der Krimi an sich - Jerry Cotton


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unmöglich. Stellen Sie sich vor, Sie säßen an einem Sommerabend allein vor einer Holzhütte auf einem von Wäldern umgebenen Berg. Sie hätten einen Korb mit mehreren geleerten Flaschen Würzburger Stein neben sich stehen, wären also betrunken, und in den Tälern würde sich der Nebel ebenso ausbreiteten wie in ihnen die Rührung. Ist der neblige Abend nicht ein Sinnbild des Vergehens im Leben? Sie wollten das in einem Gedicht beschreiben? Gelänge Ihnen das? Nein, never, na bitte! Und jetzt geben Sie bei Google die Zeile »Über allen Gipfeln ist Ruh« ein und lesen Sie, wie Goethe diese Aufgabe gelöst hat. Oder stellen Sie sich vor, Sie hätten zu Fuß den Brocken erklommen und stünden nach stundenlanger Keucherei nun oben und sähen vor lauter Nebel überhaupt nichts. Könnten Sie das in Gedichtform ausdrücken? Garantiert nicht! Heinrich Heine konnte es dagegen und schrieb in das Gästebuch der Gipfelwirtschaft:

       »Viele Steine

       Müde Beine

       Aussicht keine

       Heinrich Heine.«

      So etwas kann man nicht lernen, trotz aller gegenteiligen Behauptungen der Veranstalter von kreativen Schreibkursen.

      Bestensfalls kommt so etwas heraus wie ein Beispiel, das ich einmal in einer Illustrierten gelesen habe. Es ging um einen Sturm und um den Seemann Uwe, der gerade irgendwelche Schiffbrüchige rettete. Daraus sind mir zwei Zeilen im Gedächtnis geblieben:

      »S'ist Uwe, ruft es durch die Gischt

      Ich gucke, doch ich sehe nischt!«

      Die verzweifelten Bemühungen, reimen zu wollen, ohne reimen zu können, erleben wir ständig auf Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, karnevalistischen Veranstaltungen – es ist furchtbar. Auch Google hilft da nicht weiter. Ich habe einmal dort das Stichwort »Hochzeitsgedicht« eingegeben, und das erste von 1.983.678 Gedichten begann wie folgt:

      »Zur Hochzeit sind wir heut geladen

      das finden wir ganz wunderbar.

      Dem jungen Paar möchten wir raten

      pflegt Eure Liebe Jahrfür Jahr.«

      Grrrrrrrrrr!

      Im 19. Jahrhundert dichtete Friederike Kempner, der schlesische Schwan bzw. die schlesische Nachtigall, so schauerlich, daß der Schriftsteller Alfred Kempner, der nicht mit ihr verwandt war, seinen Geburtsnamen in Alfred Kerr änderte, weil sie »die schlechtesten je auf diesem Planeten bekanntgewordenen Verse« geschrieben habe. So dichtete sie über eine Stadt in Frankreich:

      »Ihr wißt wohl, wen ich meine

      Die Stadt liegt an der Seine.«

      Da half auch nicht, daß die Frau oftmals recht hatte, so in dem Vierzeiler:

      »Besessen ist die Welt

      Von Eigennutz und Geld

      Und alles zum

      Verzweifeln dumm!«

      Friederike Kempner fand viele Nachahmer, so daß man geradezu von einer Pseudo-Kempneriana spricht. So dichtete ein Anonymus unter ihrem Namen zu Johannes Kepler:

      »Ein ganzes Blatt der Weltgeschichte

      Du hast es vollgemacht!«

      Also, Freunde von den Schreibseminaren. Das Reimen kann man nicht lernen. Beim Krimi ist das anders. Ob grüne Witwe im Münchener Nobelvorort Grünwald, ob emeritierter Juraprofessor, ob Fernsehmoderator im Ruhestand, ob Senioranwalt, den die Juniopartner hinausgemobbt haben, ob Kabarettist, den die Realität überholt hat – was immer auch – ein, Krimi schreibt sich fast von selbst. Im Grunde ist das vorliegende Buch daher überflüssig. Aber zwischen »schreibt sich von selbst« steht das Wörtchen »fast«. Hier scheiden sich die Böcke von den Schafen und die Spreu vom Weizen. Die Konkurrenz ist groß. Mein Buch wird Ihnen helfen, zu den Böcken respektive zum Weizen zu gehören.

      Aber auch für die Krimi-Leser und -Zuschauer habe ich das vorliegende Buch geschrieben. Was bedeutet es, wenn der Tatortkommissar zu dem Verdächtigen drohend sagt: »Ich kann Sie auch auf das Präsidium vorladen.« Oder wenn er die Tür zu einer fremden Wohnung eintritt und seinem Gehilfen zuruft: »Gefahr im Verzug!« Oder wenn er dem verstockten Verdächtigen eine klebt und erklärt: »Wir ermitteln in einem Mordfall!« Warum kommen die Kommissare immer zu zweit? Und etwas allgemeiner gefragt: Was ist das eigentlich, ein Verbrechen? Wann ist der Krimi spannend, wann nicht? Woran erkennen Sie im Buchladen, ob ein dort ausgelegter Krimi den Kauf lohnt? Warum brechen so viele Verdächtige am Schluß zusammen und legen ein Geständnis ab, obwohl ihnen nichts nachzuweisen ist. Was ist ein Indiz, was ein Beweis? Fragen über Fragen. Ich will sie alle und mehr beantworten.

      Vielleicht fragen Sie an dieser Stelle, woher ich meine Kenntnisse und Erfahrungen habe. Nun, da gäbe es viel mitzuteilen. Ich beschränke mich auf das Wesentliche.

      Zunächst verweise ich auf meinen Namen »Haft«. Er ist etwas edler als »Zuchthaus« oder »Strafkolonie«, aber nur etwas. Ein Vorfahre von mir nahm diesen Namen Mitte des 19. Jahrhunderts an, ohne daß ich die näheren Umstände erforscht habe. Man muß nicht alles wissen. Der Name reizt irgendwie. Ein bekannter Fernsehmoderator hatte einmal eine witzige Sendung, in der die Personen mit seltenen Namen, die zu ihrem Beruf passten, in einen Schrank gestellt wurden. Die Kandidaten sollten entscheiden, ob es diese Person gebe oder nicht. Wurde die Frage richtig bejaht, trat der Betreffende aus dem Schrank, das Publikum klatschte Beifall, für eine halbe Minute war er berühmt, und der Kandidat, der das richtig erraten hatte, durfte eine Woche nach Mallorca zum Ballermann fahren. Wenn also ein Bäckermeister »Semmel« hieß oder ein Polizist »Bulle«, war er ein natürliches Zielobjekt dieses Moderators. Auch mich rief er an und fand die Vorstellung unglaublich witzig, ein Strafrechtler trete aus dem Schrank und bekenne sich zu seinem Namen »Haft«. Ich hielt es freilich mit Goethe und lehnte ab. Goethe war, wie Sie alle wissen, während seiner Studienzeit in Straßburg mit einem Vorgänger unseres Moderators, einem gewissen Herder, befreundet, dem im Unterschied zu stud. jur. Goethe bzw. einem modernen Kandidaten die Bildung aus allen Poren platzte und der einfach alles wusste. Wie Goethe in »Dichtung und Wahrheit« (2. Teil, 10. Buch) schreibt, wollte Herder einmal von ihm ein Buch mit Ciceros Briefen ausleihen, das bei Goethen auf dessen Bretterregal ungelesen stand, und schickte ihm dazu ein Billet, das wie folgt lautete:

      » Wenn des Brutus Briefe dir sind in Ciceros Briefen

      Dir, den die Tröster der Schulen von wohlgehobelten Brettern

      Prachtgerüstete, trösten, doch mehr von außen als innen

      Der von Göttern du stammst, von Goten oder vom Kote

      Goethe, sende mir sie.«

      Goethe fand das überhaupt nicht lustig. Noch im Alter knödelte er, das sei »nicht fein [gewesen], daß er [= Herder] sich mit seinem [= Goethes] Namen diesen Spaß erlaubte, denn der Name eines Menschen ist nicht etwa ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben oder schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen« Ich kannte die Stelle natürlich und verzichtete im Einklang mit Goethe darauf, ein Fernsehpromi zu werden.

      Der Name »Haft« ist übrigens noch unter einem anderen Aspekt problematisch. Wenn ich einen Anruf bekomme und gerade am anderen Ende meines Büros bin und über Papierkörbe und Stühle stolpernd zum Telefon eile, geht mir regelmäßig die Luft aus, so daß ich nur etwas japsen kann, was wie »Affft« klingt. Hieße ich Nick Knatterton, hätte ich das Problem nicht. Ich habe mir deshalb angewöhnt, eine Erläuterung hinzuzufügen, also etwa zu sagen »Haft – wie das Gefängnis« oder »Haft – wie das Einsperren.« Daraufhin erhielt ich einmal einen Brief mit einer Urkunde, beide ausgestellt auf »Fritjof Knast«. Absender war die Notarkammer Bayern und unter diesem unschönen Namen habe ich vor Jahren einmal eine Karriere als Notarassessor begonnen, die ich natürlich bald abbrach. Notar Knast in Landsberg am Lech oder in Straubing – das wäre wirklich nicht gegangen.

      Sodann


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