Der Krimi an sich. Jerry Cotton

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Der Krimi an sich - Jerry Cotton


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aus. Es ist stumm und kann sich nicht mehr an den Whodunit-Dialogen 9 beteiligen. Auch kann es sich nicht wehren, wenn etwa die Frau des ermordeten Bankdirektors in einem Geständnis alle Schuld auf sich nimmt, was sie aber nur tut, um den mißratenen Sohn zu schützen, der seinen Papa und Erblasser abgemurkst hat. Der Papa, der es besser weiß, kann es nicht mehr richten.

      Das Wort »Mord« hat einen Beigeschmack. Wenn Kommissar Bärbeiß im Tatort die erlösenden Worte spricht: »Otto Schnöd, ich nehme Sie vorläufig fest wegen des Verdachtes, Ihren Konkurrenten Franz Leichtfuß ermordet zu haben!« schwillt die Musik an. Etwas Vergleichbares gibt es nur im Arztfilm (»Hinter uns nur die Wand resp. der Herrgott«), wenn Dr. med. Bertram im OP das magische Wort »Trendelenburg« 10 spricht. Auch das Strafgesetzbuch war von dieser Mord-Musik erfasst worden, als es in §211 StGB anordnete, »der Mörder« werde mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird. Dabei ist sich das gesamte strafrechtliche Schrifttum darin einig, daß diese Formulierung nichts bedeutet, und daß »der Mörder« nicht für sein Mörder-Sein bestraft wird, sondern dafür, daß er einen Mord begangen hat. Mord ist bei aller Scheußlichkeit eine schlichte Qualifikation des Totschlags, §212 StGB, so, wie der Diebstahl mit Waffen, § 244 StGB, eine bloße schwere Form des Diebstahls, §242 StGB, ist. Die Formulierung »der Mörder« stammt aus der Nazizeit und ist ein Relikt jener unseligen Zeit, in der man Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer Herkunft, ihrer Überzeugung oder einfach ihres So-seins verfolgte. Die Strafrechtswissenschaft hatte mit einer sogenannten Tätertypenlehre solchem Ungeist einen pseudowissenschaftlichen Boden bereitet – der Mörder, der Totschläger, der Zuhälter, der Volksschädling ... Den einzigen Anwendungsfall, wo das sachgerecht gewesen wäre, hat die Demokratie nach dem Krieg verschmäht – der »Alte Nazi«. Da hätte man aufräumen müssen, es gab aber zu viele davon.

      Die Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag ist in allen Rechtsordnungen und allen Epochen ein Problem gewesen, das bis heute nicht wirklich gelöst ist. Die alten Germanen unterschieden zwischen dem offenen, ehrlichen, »teutschen« Totschlag von vorne (Strafe: Enthaupten) und dem heimlichen, verschlagenen, »welschen« Mord von hinten (Strafe: Rädern). Im alten Rom achtete man auf das Opfer. Mord war es beispielsweise, wenn man einen Verwandten umbrachte, während das Töten eines Sklaven in die Rubrik Sachbeschädigung fiel, und das auch nur bei fehlendem Eigentum. Im angelsächsischen Recht unterscheidet man zwischen der vorbedachten Tötung (Mord) und dem spontanen Handeln (Totschlag). Das heutige deutsche Strafgesetzbuch enthält in § 211 StGB eine Kasuistik (also eine Fallaufzählung) von zehn verschiedenen Mordmerkmalen, die wie jede Kasuistik Zweifelsfragen aufwirft. So ist die heimtückische Tötung Mord; wenn das Opfer aber ein ganz widerwärtiger Zeitgenosse ist, der den Täter in bodenlose Verzweiflung und damit quasi zur Tat gezwungen hat, sucht man nach Wegen, um die bei Mord zwingend vorgeschriebene lebenslange Freiheitsstrafe vermeiden zu können. Dazu soll beispielsweise eine negative Typenkorrektur dienen, bei der man die Existenz eines ungeschriebenen Mordmerkmales »Verwerflichkeit« bejaht, das, da ungeschrieben, nicht positiv zu bejahen ist, sondern nur bei dessen Fehlen negativ zu verneinen ist. Solche Sachen machen wir Strafrechtler. Man braucht mindestens acht Semester Jurastudium, um das zu verstehen. Manchen gelingt es nie.

      Ich habe mich oft gefragt, warum es im Krimi so gut wie immer Mord sein muß. Ich glaube, es liegt neben der Schwere der Tat auch daran, daß ein Mord so leicht beschrieben werden kann. Obwohl keiner der Autoren jemals Zeuge eines Mordes geworden sein dürfte, fällt es selbst harmlosen Hausfrauen im Speckgürtel von München leicht, zu beschreiben, wie Otto Grimmig sein Gewehr lädt, damit anlegt, den Zeigefinger krümmt und – peng – den Franz Leichtfuß erlegt. Dinge dagegen, die sie wirklich erlebt haben, wie etwa den Monduntergang über dem Hofoldinger Forst, aufsteigenden Nebel über der Aue, ein wogendes Kornfeld, das Erwachen der ersten Liebe, den ersten Kuss, die Geburt des ersten Kindes, die Beförderung des Ehemannes zum stellvertretenden Abteilungsbeauftragten und das Glücksgefühl bei Vier Richtigen im Lotto vor Bekanntwerden der Quote (34,80 Euro)- so etwas kriegen sie nicht auf das Papier.

      Diese Beschränkung auf den Mord ist auch deshalb bedauerlich, weil es so viele andere Verbrechen 11 gibt, daß niemand auch nur ihre Zahl nennen kann. Das Strafgesetzbuch beschreibt einige hundert davon, darunter so exotische Dinge wie die »Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole«, § 90a StGB, die »Wählerbestechung«, § 108b StGB, »exhibitionistische Handlungen«, §183 StGB, die »Förderung des Menschenhandels«, § 233a StGB, die »Gefährdung von Schiffen, Kraft- und Luftfahrzeugen durch Bannware«12, §297 StGB, den »Vollrausch«, § 323a, die »Schiedsrichtervergütung«, §337 StGB und den »Vertrauensbruch im auswärtigen Dienst«13, §353a StGB. In anderen Gesetzen, im sogenannten Nebenstrafrecht, gibt es darüber hinaus noch eine Fülle von weiteren Strafgesetzen. Niemand kennt sie alle. Niemand kann ihre Zahl nennen. Bis vor wenigen Jahren sah beispielsweise ein gültiges Gesetz noch die Todesstrafe für »Veranstalter und Anführer« eines »zum Zweck des Sklavenraubes unternommenen Streifzuges« vor, wenn der »Streifzug« den Tod eines seiner Opfer verursacht habe (BGBl 1969 I 645, 717). So etwas war früher in Hessen üblich gewesen, als Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel seine Landeskinder nach Amerika verkaufte; Schiller hat die Methode in »Kabale und Liebe« beschrieben:

      »Lady (wendet sich bebend weg,seine Hand fassend): Doch keine Gezwungenen?

      Kammerdiener (lacht fürchterlich): O Gott – Nein – lauter Freiwillige. Es traten wohl so etlich vorlaute Bursch’ vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? – aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster spritzen, und die ganze Armee schrie: Juchhe nach Amerika! –

      Lady (fällt mit Entsetzen in den Sofa) Gott! Gott! – und ich hörte nichts? Und ich merkte nichts?«

      Ja, unser Dichter, so geht es immer mit den Frauen. Sie hören nichts, sie merken nichts, aber sie wollen geliebt werden. So etwas ist übrigens heute auch in Hessen nicht mehr üblich, ich meine das Hinrichten, obwohl die hessische Verfassung in Artikel 21 Abs. 1 Satz 2 immer noch die Todesstrafe kennt.

      Wie immer auch – ein riesiges Reservoir an potentiellen Verbrechen steht zur Verfügung. Und was geschieht in den Krimis? Otto Schnöd erschießt Franz Leichtfuß. Nicht einmal die Todesart wird wirklich variiert. Es wird geschossen, gestochen, erschlagen oder in der Badewanne per Elektroföhn gemeuchelt. Schon der klassische Giftmord, den frühere Generationen zu wahren Kunstformen des Verbrechens entwickelt hatten, ist heutzutage so gut wie ausgestorben. Wer kennt noch den Unterschied zwischen Amanita caesarea, dem harmlosen Kaiserling, und Amanita phalloides, seinem bösen Zwilling, dem tödlich giftigen Grünen Knollenblätterpilz? Die Wälder sind voll von Fingerhut und Eisenhut, aber wer weiß schon, daß man aus Fliegenfängern soviel Arsen gewinnen kann, wie man nur will. Und dann die Kräuter im Reformladen – Nieswurz, Alraun, reines Wermutöl ... Die Borgia wären in Tränen ausgebrochen. Das Wermutöl verkaufen sie dort als organisches Insektenabwehrmittel, als ob es damit ungefährlicher wäre als das Zeug aus dem Supermarkt. Mit einer Flasche könnte man eine Armee umbringen. Und hat jemand eine Ahnung davon, daß das in der Tollkirsche enthaltene Atropin das Nervensystem beschleunigt – schneller Herzschlag und soweiter –, und daß Amatoxine es bremsen? Ein paar selbstgepflückte Pilze, ein paar schlechte, die daruntergemischt sind, und Herr Direktor Köttendreier wird sterben, während Frau Köttendreier zwar ebenfalls schrecklich krank wird, aber mit dem Leben davonkommt und die Erbschaft antreten kann. Da hätte Kommissar Haverstroh etwas zu knacken, vorausgesetzt, er nascht nicht an den Resten des Pilzgerichts.

      Stattdessen: DNA-Spuren an der Pistole und zur Sicherheit ein Geständnis in den letzten fünf Minuten. Das ganze Giftwissen, über das schon die alten Perser verfügten, und das in der Renaissance seinen Höhepunkt erreicht hatte, ist dahin. Damals war der natürliche Tod eines Potentaten ein Grund, die Polizei zu verständigen. Es musste sich um eine neue, besonders raffinierte Form des Giftmordes handeln, die schon aus staatspolitischen Gründen von höchstem Interesse war. Und heute? Um es mit dem Eintrag Ludwigs IVI. angesichts der französischen Revolution in sein Tagebuch zu sagen: »Rien!«

      Auch aus


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