Im Schlaraffenland. Heinrich Mann

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Im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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er­klärt, dass es bei die­ser ra­pi­den Ab­füt­te­rung nicht der Mühe wert sei, sich in einen Wein zu ver­tie­fen, der Ver­ständ­nis und Sorg­falt er­for­de­re. Die Ge­dan­ken des jun­gen Man­nes be­gan­nen zu va­ga­bun­die­ren. Von Asta, Hochs­tet­ten und Rechts­an­walt Gold­herz kehr­ten sie, ehe er es sich ver­sah, zu Frau Türk­hei­mer zu­rück. Der leich­te Cham­pa­gner­rausch half sei­nem san­gui­ni­schen Tem­pe­ra­ment, die Schüch­tern­heit des Neu­lings zu be­sie­gen, und plötz­lich, zu sei­ner ei­ge­nen Über­ra­schung, sag­te er sich rund­her­aus, dass er Adel­heid be­sit­zen wol­le. Er er­blick­te au­gen­blick­lich gar kein Hin­der­nis. Denn er stell­te sich mit stil­ler Ge­nug­tu­ung eine lan­ge Rei­he von Lieb­ha­bern vor, die sie vor ihm ge­habt ha­ben muss­te. War es nicht ganz na­tür­lich, dass jetzt auch er an die Rei­he kam? Eben noch hat­ten alle durch ihre plötz­li­che Be­ach­tung ihn mer­ken las­sen, dass die Kö­ni­gin ihm, dem ar­men Pa­gen, das Ta­schen­tuch zu­ge­wor­fen habe. Auch fand er sich ja im denk­bar güns­tigs­ten Au­gen­blick ein, ge­ra­de als Ra­ti­bohr die vier­zig­jäh­ri­ge Dame in ein­sa­mer Trau­er zu­rück­ge­las­sen hat­te. Wie vie­le Trös­ter wür­de sie wohl noch fin­den? Sich von ihr in Gna­den auf­neh­men zu las­sen, war ei­gent­lich eine zu leich­te Auf­ga­be und nicht be­son­ders ruhm­voll. Aber als ers­te Stu­fe zum fer­ne­ren Em­por­kom­men moch­te man es mit­neh­men. Denn dies war kein Idyll, und es han­del­te sich nicht dar­um, Frau Ge­ne­ral­kon­sul Türk­hei­mer auf eine Lie­bes­in­sel zu ent­füh­ren. Es hieß ein mo­der­ner jun­ger Mann sein, wie zum Bei­spiel Asta ein mo­der­nes jun­ges Mäd­chen war. Ja, auch Asta war bei der Sa­che zu be­den­ken und da­ne­ben Türk­hei­mer, der Schwie­ger­sohn, wer weiß, viel­leicht die Ei­fer­sucht an­de­rer Be­wer­ber, das Übel­wol­len vie­ler, die Mei­nung ei­ner gan­zen Ge­sell­schaft. Asta vor al­lem flö­ßte ihm eine un­be­stimm­te Furcht ein. Ohne es zu wis­sen, hat­te An­dre­as sich mehr­mals nach ihr um­ge­se­hen.

      »Der soll­ten Sie den Hof ma­chen«, sag­te plötz­lich Duschnitz­ki, der ihn teil­nahms­voll prü­fend be­trach­te­te.

      »Dem Fräu­lein Asta? Wa­rum denn?« frag­te An­dre­as.

      »Um ihre wohl­wol­len­de Neu­tra­li­tät zu er­lan­gen.«

      »Sehr rich­tig«, be­merk­te Klemp­ner. »Sie wis­sen wohl nicht, dass Asta die Lieb­ha­ber ih­rer Mut­ter als ihre per­sön­li­chen Fein­de be­trach­tet? Dem Ra­ti­bohr hat sie einen Streich ge­spielt.«

      »Ein bös­ar­ti­ger Cha­rak­ter, sage ich Ih­nen!« rief Süß mit Trä­nen in der Stim­me. Der reich­li­che Sekt­ge­nuss mach­te ihn weich und me­lan­cho­lisch. An­dre­as er­kun­dig­te sich:

      »Ist Asta ei­fer­süch­tig auf ihre Mut­ter?«

      »I wo! Sie ver­ach­tet die Mama!«

      »So mo­ra­lisch?«

      »Mora­lisch aus Sno­bis­mus«, er­klär­te Klemp­ner. »Asta fühlt das Be­dürf­nis, ihre so­zia­le Stel­lung zu ver­bes­sern. Ihre Mut­ter könn­te drei alte Gra­fen auf ein­mal ha­ben, und sie wür­de sie ihr nicht übel­neh­men. Aber ge­gen die jun­gen Ta­len­te hat sie nun mal ein Vor­ur­teil.«

      An­dre­as dach­te an Kaf­lisch und sag­te mit Be­to­nung:

      »Sie ist eben ein mo­der­nes Weib, mehr in­tel­lek­tu­ell als Ge­schlechts­we­sen.«

      »Mo­dern be­son­ders im Geld­aus­ge­ben«, ver­setz­te Duschnitz­ki. »Sie kos­tet Türk­hei­mer ge­ra­de so viel wie sei­ne Maitres­sen.«

      »Und das soll­te eine Toch­ter doch nicht!« füg­te Süß aufs höchs­te be­küm­mert hin­zu. Duschnitz­ki fuhr fort:

      »Und da­bei ver­ach­tet sie auch Türk­hei­mer mit­samt sei­nen Ge­schäf­ten, und sie sagt es je­dem, der es hö­ren will!«

      »Die Un­glück­li­che! Sie ist aus der Art ge­schla­gen!« jam­mer­te Süß.

      »Sie kauft sich einen Na­men! Was ist denn so ’n ab­ge­tra­ge­ner Name heu­te wert?«

      »Kunst­stück!« mein­te Klemp­ner. »So ’nen Baron und gar ’nen Ge­heim­rat vom Neu­en Kurs kann sich doch jetzt schon der gute Mit­tel­stand leis­ten, seit der Adel sich den Li­be­ra­lis­mus an­schafft, den wir ab­ge­legt ha­ben!«

      »Eine recht net­te Ar­beit!«

      Duschnitz­ki be­stä­tig­te dies:

      »Nichts da­ge­gen ein­zu­wen­den!«

      Klemp­ner be­gann so­gleich sei­ne wein­se­li­ge Be­red­sam­keit über die Be­deu­tung zu ver­brei­ten, die der Pul­ci­nel­la­fi­gur in der Ge­schich­te der Mensch­heit zu­kam. Er sah in ihr den ko­misch auf­ge­fass­ten Ty­pus des rei­nen Na­tur­kin­des, das ohne mo­ra­li­sches Vor­ur­teil an die Din­ge her­an­tritt, zu Nie­der­träch­tig­kei­ten in sei­ner Un­schuld eben­so ge­neigt wie zu Hel­den­ta­ten, und er ver­glich sie mit Par­si­fal und Sieg­fried, die den­sel­ben Cha­rak­ter von der tra­gi­schen Sei­te dar­stell­ten. Sein Blick glitt ver­schlei­ert und un­si­cher zu An­dre­as hin­über, er schi­en plötz­lich eine Ent­de­ckung zu ma­chen und rief aus:

      »Sie, mein Lie­ber, ha­ben ei­gent­lich was da­von!«

      An­dre­as war zu ver­söhn­lich ge­stimmt, um auf Klemp­ners An­züg­lich­keit ein­zu­ge­hen. Er frag­te:

      »Wer ist der Künst­ler?«

      Süß be­lehr­te ihn mit rühr­se­li­ger Ent­rüs­tung.

      »Men­schens­kind, Sie kom­men aus Ge­gen­den, wo man Clau­di­us Mer­tens nicht kennt? Bli­cken Sie mal dort­hin, und Ihr Auge wird ei­nem großen Man­ne be­geg­nen!«

      In der be­zeich­ne­ten Rich­tung ent­deck­te An­dre­as einen breit­schult­ri­gen Herrn mit gut­mü­ti­gem Ge­sicht, blon­dem Voll­bart und nach­läs­sig ge­bun­de­ner Kra­wat­te. Er hielt das Bein über­ge­schla­gen und eine Hand dar­auf­ge­legt, die un­ge­wöhn­lich kräf­tig aus­sah und so brei­te, ge­drun­ge­ne Fin­ger hat­te, dass An­dre­as zwei­felnd das zer­brech­li­che Kunst­werk vor sich auf dem Ti­sche be­trach­te­te.

      »Wie hat er das ge­macht?« frag­te er sich. Er äu­ßer­te:

      »Clau­di­us Mer­tens? Ich habe den Na­men nie ge­hört.«

      »Sie sind ent­schul­digt«, er­klär­te Duschnitz­ki. »Clau­di­us ist über einen ge­wis­sen Kreis hin­aus fast un­be­kannt, und das ist sein Ruhm. Er stellt nichts aus und ar­bei­tet nur für ein paar Häu­ser wie Türk­hei­mers, die ihn ko­los­sal da­für be­zah­len, dass er die Mo­del­le sei­ner Wer­ke ver­nich­tet.«

      »Merk­wür­dig!« mein­te An­dre­as.

      »Das ist das Feins­te!« jam­mer­te Süß. »Was für ’n großer Mann!«


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