Kritik der reinen Vernunft. Immanuel Kant

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Kritik der reinen Vernunft - Immanuel Kant


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Logik muss also eine Kritik dieses dialektischen Scheines sein und heißt transzendentale Dialektik, nicht als eine Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen (eine leider sehr gangbare Kunst mannigfaltiger metaphysischer Gaukelwerke), sondern als eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken und ihre Ansprüche auf Erfindung und Erweiterung, die sie bloß durch transzendentale Grundsätze zu erreichen vermeint, zur bloßen Beurteilung und Verwahrung des reinen Verstandes vor sophistischem Blendwerke herabzusetzen.

      Der transzendentalen Logik

       E R S T EA B T E I L U N G

      Die transzendentale Analytik

      Diese Analytik ist die Zergliederung unseres gesamten Erkenntnisses a priori in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis. Es kommt hierbei auf folgende Stücke an: 1. Dass die Begriffe reine und nicht empirische Begriffe seien. 2. Dass sie nicht zur Anschauung und zur Sinnlichkeit, sondern zum Denken und Verstande gehören. 3. Dass sie Elementarbegriffe seien und von den abgeleiteten oder daraus zusammengesetzten wohl unterschieden werden. 4. Dass ihre Tafel vollständig sei und sie das ganze Feld des reinen Verstandes gänzlich ausfüllen. Nun kann diese Vollständigkeit einer Wissenschaft nicht auf den Überschlag eines bloß durch Versuche zustande gebrachten Aggregats mit Zuverlässigkeit angenommen werden; daher ist sie nur vermittelst einerI d e ed e sG a n z e nder Verstandeserkenntnis a priori und durch die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin nur durch ihrenZ u s a m m e n h a n gi ne i n e mS y s t e mmöglich. Der reine Verstand sondert sich nicht allein von allem Empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aus. Er ist also eine für sich selbst beständige, sich selbst genügsame und durch keine äußerlich hinzukommenden Zusätze zu vermehrende Einheit. Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntnis ein unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen, dessen Vollständigkeit und Artikulation zugleich einen Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller hineinpassenden Erkenntnisstücke abgeben kann. Es besteht aber dieser ganze Teil der transzendentalen Logik aus zwei Büchern, deren das eine dieB e g r i f f e,das andere dieG r u n d s ä t z edes reinen Verstandes enthält.

      Der transzendentalen Analytik

      E R S T E SB U C H

      Die Analytik der Begriffe

      Ich verstehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis derselben oder das gewöhnliche Verfahren in philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalte nach zu zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, sondern die noch wenig versuchte Zergliederung desV e r s t a n d e s v e r m ö g e n ss e l b s t,um die Möglichkeit der Begriffe a priori dadurch zu erforschen, dass wir sie im Verstande allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt analysieren; denn dieses ist das eigentümliche Geschäft einer Transzendental-Philosophie; das Übrige ist die logische Behandlung der Begriffe in der Philosophie überhaupt. Wir werden also die reinen Begriffe bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstande verfolgen, in denen sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt und durch eben denselben Verstand, von den ihnen anhängenden empirischen Bedingungen befreit, in ihrer Lauterkeit dargestellt werden.

      Der Analytik der Begriffe

      E R S T E SH A U P T S T Ü C K

      Von dem Leitfaden der Entdeckung

      aller reinen Verstandesbegriffe

      Wenn man ein Erkenntnisvermögen ins Spiel setzt, so tun sich, nach den mancherlei Anlässen, verschiedene Begriffe hervor, die dieses Vermögen kennbar machen und sich in einem mehr oder weniger ausführlichen Aufsatz sammeln lassen, nachdem die Beobachtung derselben längere Zeit oder mit größerer Scharfsinnigkeit angestellt worden. Wo diese Untersuchung werde vollendet sein, lässt sich nach diesem gleichsam mechanischen Verfahren niemals mit Sicherheit bestimmen. Auch entdecken sich die Begriffe, die man nur so bei Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen Einheit, sondern werden zuletzt nur nach Ähnlichkeiten gepaart und nach der Größe ihres Inhalts von den einfachen an zu den mehr zusammengesetzten in Reihen gestellt, die nichts weniger als systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zustande gebracht werden.

      Die Transzendental-Philosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt entspringen und daher selbst nach einem Begriffe oder Idee unter sich Zusammenhängen müssen. Ein solcher Zusammenhang aber gibt eine Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann, welches alles sonst vom Belieben oder vom Zufall abhängen würde.

      Des transzendentalen Leitfadens der Entdeckung

      aller reinen Verstandesbegriffe

      E R S T E RA B S C H N I T T

      Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches Erkenntnisvermögen. Nun können wir, unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig werden. Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung. Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art zu erkennen als durch Begriffe. Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Rezeptivität der Eindrücke. Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als dass er dadurch urteilt. Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgendeine andere Vorstellung von demselben (sie sei Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in dem Urteile: alleK ö r p e rs i n dt e i l b a r,der Begriff des Teilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen, dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Teilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, da nämlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht und viele mögliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen werden. Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass derV e r s t a n düberhaupt alse i nV e r m ö g e nz uu r t e i l e nvorgestellt werden kann. Denn er ist nach dem Obigen ein Vermögen zu denken. Denken ist das Erkenntnis durch Begriffe. Begriffe aber beziehen sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgendeine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande. So bedeutet der Begriff des Körpers etwas, z. B. Metall, was durch jenen Begriff erkannt werden kann. Er ist also nur dadurch Begriff, dass unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, vermittelst deren er sich auf Gegenstände beziehen kann. Er ist also das Prädikat zu einem möglichen Urteile, z. B. ein jedes Metall ist ein Körper. Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann. Dass dies aber sich ganz wohl bewerkstelligen lasse, wird der folgende Abschnitt vor Augen stellen.

      Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe

      Z


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