Kritik der reinen Vernunft. Immanuel Kant

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Kritik der reinen Vernunft - Immanuel Kant


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      Des Leitfadens der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe

      D R I T T E RA B S C H N I T T

      § 10

      Von den reinen Verstandesbegriffen oder Kategorien

      Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmalen schon gesagt worden, von allem Inhalt der Erkenntnis und erwartet, dass ihr anderwärts, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht. Dagegen hat die transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen, welches die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würden. Raum und Zeit enthalten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung a priori, gehören aber gleichwohl zu den Bedingungen der Rezeptivität unseres Gemüts, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenständen empfangen kann, die mithin auch den Begriff derselben jederzeit affizieren müssen. Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, dass dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.

      Ich verstehe aber unterS y n t h e s i sin der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori gegeben ist (wie das im Raum und in der Zeit). Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe demI n h a l t enach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben), bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt und zu einem gewissen Inhalte vereinigt; sie ist also das Erste, worauf wir Acht zu geben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.

      Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewusst sind. Allein, diese Synthesis aufB e g r i f f ezu bringen, das ist eine Funktion, die dem Verstande zukommt und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft.

      Die reineS y n t h e s i s,a l l g e m e i nv o r g e s t e l l t,gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht: So ist unser Zählen (vornehmlich ist es in größeren Zahlen merklicher) eineS y n t h e s i sn a c hB e g r i f f e n,weil sie nach einem gemeinschaftlichen Grunde der Einheit geschieht (z. E. der Dekadik). Unter diesem Begriffe wird also die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.

      Analytisch werden verschiedene Vorstellungenu n t e reinen Begriff gebracht (ein Geschäft, wovon die allgemeine Logik handelt). Aber nicht die Vorstellungen, sondern dier e i n eS y n t h e s i sder Vorstellungen auf Begriffe zu bringen, lehrt die transz. Logik. Das Erste, was uns zum Behuf der Erkenntnis aller Gegenstände a priori gegeben sein muss, ist dasM a n n i g f a l t i g eder reinen Anschauung; dieS y n t h e s i sdieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das Zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen SynthesisE i n h e i tgeben und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das Dritte zum Erkenntnisse eines vorkommenden Gegenstandes und beruhen auf dem Verstande.

      Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungeni ne i n e mU r t e i l eEinheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedener Vorstellungen in einerA n s c h a u u n gEinheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die a priori auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.

      Auf solche Weise entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, welche a priori auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab; denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen völlig erschöpft und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen. Wir wollen diese Begriffe nach dem AristotelesK a t e g o r i e nnennen, indem unsere Absicht uranfänglich mit der seinigen zwar einerlei ist, ob sie sich gleich davon in der Ausführung gar sehr entfernt.

      Tafel der Kategorien

      1.

      Der Quantität: E i n h e i t V i e l h e i t A l l h e i t

2.Der Qualität: R e a l i t ä t N e g a t i o n L i m i t a t i o n 3.Der Relation: derI n h ä r e n zund Subsistenz (substantia et accidens) derK a u s a l i t ä tund Dependenz (Ursache und Wirkung) derG e m e i n s c h a f t(Wechselwirkung zwischen den Handelnden und Leidenden)

      4.

      Der Modalität: M ö g l i c h k e i t– Unmöglichkeit D a s e i n– Nichtsein N o t w e n d i g k e i t – zufälligkeit

      Dieses ist nun die Verzeichnung aller ursprünglich reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand a priori in sich enthält und um deren willen er auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas bei dem Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d. i. ein Objekt derselben denken kann. Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen (welches ebenso viel ist, als das Vermögen zu denken) erzeugt, und nicht rhapsodistisch aus einer auf gut Glück unternommenen Aufsuchung reiner Begriffe entstanden, von deren Vollzähligkeit man niemals gewiss sein kann, da sie nur durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, dass man doch auf die letztere Art niemals einsieht, warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe dem reinen Verstande beiwohnen. Es war ein eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag desA r i s t o t e l e s,diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Prinzipium hatte, so raffte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die erK a t e g o r i e n(Prädikamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fünfe aufgefunden zu haben, die er unter dem Namen der Postprädikamente hinzufügte. Allein seine Tafel blieb noch immer mangelhaft. Außerdem finden sich auch einige modi der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, ubi, situs, imgleichen prius, simul), auch ein empirischer, (motus), die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht gehören, oder es sind auch die abgeleiteten Begriffe mit unter die Urbegriffe gezählt (actio, passio), und an einigen der letzteren fehlt es gänzlich.

      Um der letzteren willen ist also noch zu bemerken, dass die Kategorien, als die wahrenS t a m m b e g r i ff edes reinen Verstandes, auch ihre eben so reinena b g e l e i t e t e nB e g r i f f ehaben, die in einem vollständigen System der Transzendental-Philosophie keineswegs übergangen werden können, mit deren bloßer Erwähnung aber ich in einem bloß kritischen Versuch zufrieden sein kann.

      Es sei mir erlaubt, diese reinen, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe dieP r ä d i k a b i l i e ndes reinen Verstandes (im Gegensatz der Prädikamente) zu nennen. Wenn man die ursprünglichen und primitiven Begriffe hat, so lassen sich die abgeleiteten und subalternen leicht hinzufügen und der Stammbaum des reinen Verstandes völlig ausmalen. Da es mir hier nicht um die Vollständigkeit des Systems, sondern nur der Prinzipien zu einem System zu tun ist, so verspare ich diese Ergänzung auf eine andere Beschäftigung. Man kann aber diese Absicht ziemlich erreichen, wenn man die Ontologischen Lehrbücher zur Hand nimmt, und z. B. der Kategorie der Kausalität, die Prädikabilien der Kraft, der Handlung, des Leidens; der der Gemeinschaft, die der Gegenwart, des Widerstandes; den Prädikamenten der Modalität die des Entstehens, Vergehens, der Veränderung u. s. w. unterordnet. Die Kategorien mit den modis der reinen Sinnlichkeit oder auch unter einander


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