Warum der freie Wille existiert. Christian List
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Die englische Originalausgabe erschien 2019 bei Harvard University Press unter dem Titel Why Free Will Is Real.
Copyright © 2019 by the President and Fellows of Harvard College
Die Arbeit des Übersetzers am vorliegenden Text wurde vom Deutschen Übersetzerfonds gefördert.
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© der deutschen Übersetzung 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft)
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht.
Lektorat: Sophie Dahmen, Karlsruhe
Satz: Arnold & Domnick, Leipzig
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Europe
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-27320-1
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-534-74655-2
eBook (epub): 978-3-534-74656-9
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Für Laura, Mutti und Vati, Mamma und Papà
Inhaltsverzeichnis
3. Zur Verteidigung intentionalen Handelns
4. Zur Verteidigung alternativer Möglichkeiten
5. Zur Verteidigung kausaler Kontrolle
Einleitung
Der freie Wille ist eine Illusion. Wir sind schlicht nicht die Urheber unseres Willens. Gedanken und Absichten sind das Ergebnis von im Hintergrund wirkenden Ursachen, derer wir uns nicht bewusst sind und über die wir keine bewusste Kontrolle ausüben. Wir haben nicht die Freiheit, die wir zu haben glauben.
Sam Harris, Neurowissenschaftler, in Free Will
Unsere Gedanken und Handlungen sind der Output eines Computers aus Fleisch und Blut, unseres Gehirns, eines Computers, der den Gesetzen der Physik gehorchen muss. In der Folge müssen auch unsere Entscheidungen diesen Gesetzen gehorchen. Die traditionelle Vorstellung des freien Willens, nach der unser Leben aus einer Reihe von Entscheidungen besteht, bei denen wir stets anders hätten wählen können, wird dadurch zu Makulatur. Warum aber halten wir immer noch an dem Begriff des „freien Willens“ fest, wenn doch die Wissenschaft seine konventionelle Bedeutung entwertet hat? Manche Leute sind beeindruckt von ihrem Gefühl, wählen zu können, und sie müssen dieses Gefühl mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinbaren. Andere warnen, dass man der Gesellschaft schade, wenn man den freien Willen als „Illusion“ bezeichnet. Nun, vielleicht werden Menschen, die glauben, sie seien Marionetten, ja Opfer eines lähmenden Nihilismus, und es fehlt ihnen der Wille, aus dem Bett zu kommen. Eine solche Haltung erinnert mich an den (wahrscheinlich nicht authentischen) Ausruf der Ehefrau des Bischofs von Worcester, als sie von Darwins Theorie hörte: „Du liebe Zeit, von den Affen abstammen! Hoffen wir, dass das nicht wahr ist, und falls es doch wahr ist, dann lass uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird“.
Jerry Coyne, Biologe, in What Scientific Idea Is Ready for Retirement?
Die Idee eines freien Willens ist so alt wie sie fest in unserem Denken verwurzelt ist. Schon im Alten Testament findet sich die Vorstellung, dass die Menschen in der Lage seien, Entscheidungen zu treffen, für die man sie verantwortlich machen kann. Denken Sie nur an Adam und Eva und ihre Entscheidung, von der verbotenen Frucht zu essen. Oder an Abrahams Entscheidung, seinen Sohn Isaak zu opfern. In modernen Gesellschaften hat die Willensfreiheit eine zentrale Bedeutung für die Praxis, uns gegenseitig zu loben und zu tadeln oder die Verantwortung für Handlungen zuzuschreiben. Könnten wir jemanden für ein Tun verantwortlich machen, das er nicht frei gewählt hat? Wäre es gerechtfertigt, ihm dafür die Schuld zu geben? Versuchen Sie sich nur vorzustellen, wie das Strafrecht aussehen müsste, wenn die Gesellschaft die Ansicht akzeptierte, dass es nicht in der Hand des Menschen liegt, welche Entscheidungen er trifft. Wie könnte ein Gericht jemanden für eine Handlung verurteilen, die er nicht selbst frei gewählt hat? Ohne freien Willen käme unser gewöhnlicher Begriff von Verantwortung in Verlegenheit.
Die Willensfreiheit ist Kernbestandteil unseres Selbstverständnisses als handelnde Personen, die fähig sind, sich zu überlegen, wie sie handeln sollen. Wenn es nicht in unserer Hand liegt zu wählen, hat es keinen Sinn zu fragen „Was soll ich tun?“. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir handeln sollen, welchen Karriereweg wir einschlagen, welches Projekt wir verfolgen, wen wir heiraten oder ob wir jemandem in Not helfen sollen, setzt dies voraus, dass wir verschiedene Handlungsoptionen als echte Möglichkeiten erkennen, zwischen denen wir wählen können. Ansonsten wäre jedes Nachdenken darüber zwecklos. Unser Verständnis, was es heißt zu handeln, ist untrennbar mit der Vorstellung verbunden, dass wir, zumindest im Prinzip, in der Lage sind, eine echte Wahl zu treffen.
Aber die Idee der Willensfreiheit ist höchst umstritten. Philosophen debattieren seit langem, ob es einen freien Willen geben kann, wenn die Welt deterministisch ist. Unter „Determinismus“ versteht man die Auffassung, dass die Zukunft durch die Vergangenheit vollständig