Warum der freie Wille existiert. Christian List

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ist ebenso ein reales Phänomen wie die kausale Kontrolle einer Person über ihre Handlungen.

      All das zusammengenommen ebnet den Weg für eine Verteidigung des freien Willens als einem höherstufigen Phänomen, eine Verteidigung, und das ist entscheidend, die mit der wissenschaftlichen Weltsicht vereinbar ist. Ich werde die daraus resultierende Auffassung des freien Willens als „kompatibilistischen Libertarismus“ bezeichnen:

      •„kompatibilistisch“ aufgrund ihrer Vereinbarkeit mit der Wissenschaft einschließlich des physikalischen Determinismus; und

      •„Libertarismus“ aufgrund ihrer Festlegung darauf, dass Willensfreiheit die echte Fähigkeit beinhaltet, zwischen verschiedenen Handlungen zu wählen.10

      Eine Anmerkung zu dieser Terminologie sollte ich jedoch noch hinzufügen. Während der Ausdruck „kompatibilistisch“ keinen Anlass zu Missverständnissen geben sollte, wird das Wort „Libertarismus“ unglücklicherweise in zwei Bedeutungen verwendet. In der Debatte über Willensfreiheit bezeichnet es jene philosophischen Ansichten, denen zufolge es den freien Willen wirklich gibt und dieser alternative Möglichkeiten einschließt. Das ist die hier beabsichtigte Bedeutung. In der politischen Philosophie hingegen wird derselbe Ausdruck gewöhnlich zur Bezeichnung bestimmter politischer Auffassungen gebraucht, welche die Freiheit als den zentralen politischen Wert betrachten und mit Denkern wie z. B. John Locke und Robert Nozick verknüpft sind. Aus dem Libertarismus bezüglich der Willensfreiheit folgt nicht der Libertarismus im politischen Sinne, mit dem er nicht verwechselt werden sollte. In diesem Buch werde ich die Ausdrücke „Libertarismus“ und „libertarisch“ nur in ihrem nichtpolitischen Sinn verwenden. Leser, denen das Etikett „kompatibilistischer Libertarismus“ missfällt, könnten stattdessen den Begriff „Willensfreiheitsemergentismus“ verwenden, der ebenfalls hervorhebt, was für das von mir verteidigte Bild des freien Willens bezeichnend ist.11

      Mein Argument für den freien Willen hat die folgende Struktur. In Kapitel 1 werde ich die Idee der Willensfreiheit ausführlicher vorstellen und die drei meiner Ansicht nach gemeinsam notwenigen und hinreichenden Bedingungen für den freien Willen diskutieren: intentionales Handeln, alternative Möglichkeiten und die kausale Kontrolle über unsere Handlungen. Diese Bedingungen, so meine Behauptung, bringen zum Ausdruck, was für einen freien Willen in einem einigermaßen geläufigen Sinn erforderlich ist. In Kapitel 2 werde ich drei wissenschaftlich motivierte Herausforderungen für den freien Willen darstellen, und zwar für jede der drei Bedingungen eine. Diese Herausforderungen zeigen vermeintlich, dass diese Bedingungen nicht erfüllbar sind, wenn die Welt dem Bild entspricht, welches sich die Wissenschaft von ihr macht. Ich nenne sie „die Herausforderung des radikalen Materialismus“, „die Herausforderung des Determinismus“ und „die Herausforderung des Epiphänomenalismus“. In den Kapiteln 4, 5 und 6 werde ich dann meine Verteidigung der Willensfreiheit präsentieren, wobei ich jeder dieser Herausforderungen ein Kapitel widme. Dabei werde ich nicht nur erläutern, weshalb jede dieser Herausforderungen fehlschlägt, sondern auch in konstruktiver Weise für einen freien Willen plädieren. Zum Abschluss des Buches werde ich einige allgemeine Anmerkungen zu dem sich daraus ergebenden Bild der Willensfreiheit machen.

      Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ist ehrgeizig, und ich sollte betonen, was das Buch nicht zu leisten vermag. Erstens kann ich keine voll ausgearbeitete Theorie des freien Willens präsentieren, sondern nur die zentralen Ideen einer solchen Theorie verständlich machen, zumal ich das Buch relativ kurz halten werde. Die Entwicklung einer umfassenden Theorie des freien Willens würde weit über den Umfang einer einzigen Arbeit hinausgehen; sie wäre eine Leistung, die nur von vielen Forschern gemeinsam, in einer Vielzahl von Disziplinen, erbracht werden könnte.

      Zweitens beruht das von mir entworfene Bild des freien Willens auf bestimmten empirischen Prämissen. Einige meiner Behauptungen sind nur dann korrekt, wenn diese Prämissen wahr sind; und ein Beweis ihrer Wahrheit würde den Umfang dieses Buches sprengen. Das letzte Wort hat hier die Wissenschaft. Dass meine Auffassung falsch sein könnte, spricht allerdings für sie. Wenn jemand fragt: „Was müsste der Fall sein, damit diese Auffassung falsch ist?“, so kann ich ihm seine Frage beantworten. Wie für andere wissenschaftliche Theorien gilt auch für meine Theorie eine Art von Falsifikationsbedingung.

      Drittens werde ich mich auf die Architektur der, wie ich meine, korrekten Auffassung des freien Willens konzentrieren und nicht auf ihre Details. Wie schon gesagt lautet meine zentrale These, dass der Schlüssel zur Versöhnung von Willensfreiheit und wissenschaftlicher Weltsicht darin liegt, zwischen Phänomenen verschiedener Ebenen zu unterscheiden. Ich werde erklären, wie eine solche Unterscheidung es erlaubt, im Verständnis der Willensfreiheit Fortschritte zu erzielen. Indessen könnte es auch andere Möglichkeiten geben, eine Theorie des freien Willens um dieses Gerüst herum zu entwickeln. Meine Hauptthese, dass der freie Wille ein höherstufiges Phänomen ist, lässt sich mit einer Reihe unterschiedlicher Ausarbeitungen der Einzelheiten einer solchen Theorie in Einklang bringen.

      Viertens schließlich werde ich mich dem Thema des freien Willens aus der Perspektive der Dritten Person nähern, das heißt der Perspektive eines externen Beobachters, der untersucht, was es heißt, dass ein Handelnder einen freien Willen hat, und nicht aus der Perspektive der Ersten Person, das heißt der internen Perspektive des Besitzers des freien Willens selbst. Ein Großteil der Wissenschaften teilt diese Perspektive der Dritten Person, wenn auch nicht alle philosophischen Ansätze. Die Phänomenologie beispielsweise untersucht, wie unsere Erfahrung der Welt aus der Perspektive der Ersten Person beschaffen ist. Vielleicht muss eine vollständige Theorie des freien Willens dieses Phänomen nicht nur von außen, sondern auch von innen analysieren. Und es ist sicherlich eine wichtige Frage, wie sich der freie Wille zum Bewusstsein der Ersten Person verhält. Diese Frage muss ich jedoch zurückstellen, obwohl ich hoffe, dass meine Analyse mit zukünftigen Untersuchungen aus der Perspektive der Ersten Person vereinbar ist.

      Bei der Entwicklung meiner Argumente stehe ich auf den Schultern von anderen. Die Literatur zur Willensfreiheit ist umfangreich und anspruchsvoll, und es gibt kaum eine Idee in diesem Bereich, die ganz und gar originell wäre. Tatsächlich habe ich lange gezögert, dieses Buch zu schreiben, da ich die Fülle von Arbeiten zu diesem Thema überwältigend fand.12 Seit 2011 habe ich jedoch frühere Fassungen meiner Ideen in einer Reihe von Artikeln und Vorträgen vorgestellt, zu denen auch gemeinsam mit Peter Menzies und Wlodek Rabinowicz verfasste Artikel gehören.13 Die Rückmeldungen auf diese Arbeiten haben mich ermutigt, diese Ideen weiterzuentwickeln.

      Zu den Wegbereitern für meine Konzeption des freien Willens gehören die Arbeiten von Anthony Kenny, der in den 1970er Jahren den freien Willen mit Rückgriff auf die Unterscheidung zwischen der physiologischen und der psychologischen Ebene verteidigte, wobei er dafür argumentierte, dass der Determinismus auf physiologischer Ebene den freien Willen auf der psychologischen Ebene nicht ausschließt.14 Dazu gehören auch die Arbeiten von Daniel Dennett, der, vor allem in seinem Buch von 2003, die Ansicht vertrat, die Freiheit, wie das Leben selbst, sei „ein Produkt der Evolution“, auch wenn die zugrunde liegende Physik deterministisch ist.15 Und bereits in den 1960er Jahren hatte A.I. Melden die Behauptung aufgestellt, dass physikalische Beschreibungen das Phänomen freien Handelns nicht adäquat erfassen, obwohl er nicht genau erklärte, wie freies Handeln in eine physikalische Welt passt.16

      Meine These, dass der Fehler in einigen Argumenten gegen den freien Willen in der Vermischung von Ebenen liegt, nämlich der physikalischen Ebene und der Handlungsebene, ist auch ein Echo auf die von Mark Siderit in einem Artikel aus dem Jahre 2008 aufgestellte Behauptung, dass „die Illusion des Inkompatibilismus nur dann entsteht, wenn wir illegitimerweise zwei unterschiedliche Vokabulare miteinander vermischen, eines, das von Personen handelt, und ein anderes, das von den Teilen handelt, auf die Personen reduzierbar sind“. Siderits charakterisiert seinen Ansatz als „paläokompatibilistisch“.17

      In den letzten Jahren haben Philosophen und Philosophinnen wie Mark Balaguer, Carl Hoefer, Jenann Ismael, Robert Kane, Alfred Mele, Eddy Nahmias, Adina Roskies sowie Helen Steward unser Verständnis


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