Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter

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Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman - Tessa Hofreiter


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»Lass mich raten: es war entweder Afra oder Burgl, die es erzählt hat?«

      Anton nickte. »Burgel, und sie konnte sich einen Vergleich zu Wendelin natürlich nicht verkneifen.«

      »Ich will ihn nicht hören!«, erwiderte seine Tochter ärgerlich. »Warum und mit wem ich ausgehe, ist allein meine Angelegenheit.«

      »Natürlich«, stimmte ihr Vater zu. »Trotzdem mache ich mir so meine Gedanken. Ob der Wendelin oder dieser Münchner der richtige Umgang für dich ist? Vom einen weiß man noch gar nichts und vom anderen zu viel.«

      »Papa, und wenn der Kaiser von China mit mir ausgehen wollte, wäre er dir nicht vertrauenswürdig genug. Ich bin erwachsen und kann gut auf mich selbst aufpassen. Bitte halt dich aus meinem Leben heraus«, antwortete Kathi leicht genervt.

      »China hat längst keinen Kaiser mehr«, murmelte Anton, aber so leise, dass seine Tochter es nicht hören konnte. Wenn sie so sportlich fuhr wie jetzt, war es besser, nichts mehr zu sagen.

      *

      Nachdem sich Kathi von Gisbert verabschiedet hatte, war er nicht zum Jagdschlösschen zurückgefahren. Gut versteckt im Auto hatten Stiefel, Gewehr, Fernglas und anderes Jagdzubehör gewartet. Gisbert hatte zwar drei aufgestellte Fallen entfernt, aber zwei andere waren in ihrem heimtückischen Versteck geblieben. Sie waren in einem anderen, entfernteren Waldstück verborgen. Der Mann wollte sie in dieser Nacht kontrollieren. Vielleicht war ein Tier in einer der Fallen gefangen, das er aus nächster Nähe erlegen konnte.

      Er stellte seinen Wagen auf dem Waldweg ab und näherte sich langsam der Stelle unter einer alten Eiche, wo die vierte Falle aufgestellt war. Schon von weitem hörte er, dass dort ein Tier verzweifelt versuchte, sich zu befreien. Nach den Geräuschen zu urteilen, musste es ein größeres Tier sein, der strenge Geruch ließ ihn an ein Wildschwein denken.

      Jetzt rutschte Gisbert das Herz in die Hose. Mit einem Wildschwein ist nicht zu spaßen, und ein verwundetes kann zu einer tödlichen Gefahr werden. Was wäre, wenn sich das verletzte Tier aus der Falle befreien konnte oder es bereits geschafft hatte? Mit äußerster Vorsicht ging er näher.

      Schließlich sah er, was er angerichtet hatte. Ein männliches Wildschwein hatte sich in dem Eisen verfangen. Der Waldboden war bei den verzweifelten Befreiungsversuchen aufgewühlt, und mit seinen spitzen Hauern hatte der Keiler große Rindenstücke vom Eichbaum abgefetzt. Gisbert blieb in sicherer Entfernung stehen, hob sein Gewehr und gab dem hilflosen Tier den Fangschuss. Er wartete eine ganze Weile, um sicher zu sein, dass der Keiler auch tatsächlich tot war, erst dann ging er vorsichtig näher.

      Das Tier war ausgewachsen und viel zu schwer, als dass er es allein hätte abtransportieren können. Dafür brauchte er am anderen Tag die Hilfe seiner Waidgenossen. Und die sollten natürlich nicht wissen, dass der Keiler wehrlos in einer Falle festgesessen hatte.

      Widerwillig näherte sich Gisbert dem Tier, das endlich von seinen Qualen erlöst war. Anstatt ihm nach jagdlichem Brauch mit einem grünen Zweig Respekt zu erweisen, kämpfte der Mann mit dem Mechanismus der Falle und zerrte das verletzte Bein aus dem Eisen. Dann grub er fluchend die Falle aus und verstaute sie in seinem alten Rucksack. Er tat nichts von dem, was nach dem Erlegen eines Tieres nötig ist und was ein verantwortungsbewusster Jäger mit Anstand und Respekt vor der Natur erledigt. Um den Keiler sollte sich morgen Wendelin kümmern, Gisbert kam es nur auf die Trophäe an, die er zu Hause an die Wand hängen wollte. Er ließ das Tier einfach zurück, stapfte selbstzufrieden zum Wagen und fuhr zur Hütte, vor der seine Gäste trotz des Verbots von offenen Flammen um eine Feuerstelle saßen und Whisky tranken.

      Gisbert wurde mit lautem Hallo und anzüglichen Bemerkungen zu seiner verdreckten Kleidung empfangen. »Was ist denn mit dir passiert? Wir dachten, heute bist du nur als Schürzenjäger unterwegs gewesen«, grölte Bernhard.

      »Jäger ist das Stichwort«, antwortete Gisbert und legte eine kleine Kunstpause ein. »Ich habe einen Keiler erlegt.«

      »Was?«

      »Wo?«

      »Du allein?«, riefen seine Gäste durcheinander.

      Und Gisbert erzählte ihnen die aufregende Geschichte, wie vor ihm ein verletzter Keiler über den Fahrweg getaumelt war. Das Tier hatte sich offensichtlich aus der Falle eines gewissenlosen Wilderers befreien können, hatte aber mit dieser schweren Verletzung seines Vorderlaufs kaum eine Überlebenschance. Heldenhaft hatte sich Gisbert an die Fährte des Tieres geheftet. Ein sauberer Blattschuss hatte den Keiler von seinen Qualen erlöst. Morgen würden sie ihn aus dem Wald holen, und Gisbert konnte seine Trophäe vorzeigen.

      »Du Glückspilz, gleich zu Beginn läuft dir ein Keiler vor die Flinte«, lauteten die Antworten, die nicht frei von Neid waren.

      Gisbert schenkte sich einen doppelten Whisky ein und hielt das Glas so, dass sich die Flammen in der goldenen Flüssigkeit spiegelten. Er war sehr zufrieden mit dem Ausklang dieses Abends; das Einzige, was ihm jetzt fehlte, war eine heiße Dusche, aber daran war in dieser primitiven Umgebung nicht zu denken. Dafür würde morgen die hübsche Kathi kommen, für Ordnung sorgen und ihn mit einem üppigen zweiten Frühstück verwöhnen. Das erste wollte er nach den Anstrengungen seines Jagdabenteuers in aller Ruhe verschlafen.

      »Nacht, Jungs«, sagte er zu seinen Gästen und kam ein wenig unsicher auf die Beine. »Spielt nicht mit dem Feuer rum, und der Letzte löscht die Flammen, nicht vergessen.«

      Er brachte seinen Rucksack in den Schuppen, in dem die drei anderen Fallen versteckt waren, und packte sie zusammen ein. Über den Rucksack warf er wieder den alten Sack und verschloss sorgfältig die Tür. Dann stapfte er zum Haus, über die steile Treppe in seine winzige Schlafkammer hinauf und fiel samt seiner schmutzigen Klamotten ins Bett. Keine zwei Minuten später war er fest eingeschlafen.

      *

      Als Wendelin und Kathi am nächsten Morgen zum Jagdschlösschen kamen, lagen die wackeren Jäger alle noch im Bett. Das Haus war unordentlich und unaufgeräumt, und im Hof glomm immer noch die Glut in der Feuerschale.

      »Sieh dir das an. Sie haben noch nicht einmal die Glut mit Sand bedeckt, was für ein elender Leichtsinn«, knurrte Wendelin. »Zum Glück war es heute Nacht absolut windstill, sodass es keinen Funkenflug gegeben hat. Wenn es etwas bringen würde, könnte ich die Feuerschale im Schuppen einschließen, aber diese Idioten kriegen es fertig und entzünden dann ein Lagerfeuer auf der trockenen Wiese.«

      »Im Haus sieht es nicht viel besser aus«, antwortete Kathi schulterzuckend. »Krempeln wir die Ärmel auf, hier wartet einiges an Arbeit auf uns.«

      »Vielleicht wird hier so viel getrunken, dass die Kerle gar nicht jagen gehen können? Das wäre für alle das Beste«, antwortete Wendelin.

      Er machte sich daran, den Außenbereich aufzuräumen, während Streuner das Terrain erkundete. Der gemauerte Bau, in dem die Jagdbeute zerlegt wurde, war leer. Wendelin schaute sich darin um und schüttelte den Kopf. »Seltsame Jäger sind das«, sagte er zu Streuner. »Saufen die Nächte durch und verschlafen den Tag. Wenn sie nicht lang vor der Morgendämmerung aus den Betten kommen, wann wollen sie dann auf die Pirsch gehen? Und wo haben sie eigentlich ihre Hunde? Ich sehe hier nirgendwo einen gut ausgebildeten Jagdhund. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie vom Waidwerk herzlich wenig verstehen.«

      Streuner bellte zustimmend und stromerte weiter durchs Gelände, wobei er großes Interesse an einem abgeschlossenen Schuppen zeigte, dessen eine Ecke er immer wieder intensiv beschnüffelte und verbellte.

      »He! Sorg dafür, dass dein Köter leise ist! Hier sind Leute, die ausschlafen wollen«, bellte eine Stimme aus dem Dachgeschoss, und ein Fenster wurde heftig zugeschlagen.

      »Ja, dir auch einen schönen guten Morgen!«, rief Wendelin zurück.

      Er ging zu Streuner hinüber, der an der Schuppenwand Stellung bezogen hatte und ihn gespannt anschaute. »Na, mein Freund, was hast du mir denn zeigen wollen?«, fragte Wendelin. Er untersuchte sorgfältig die Bretterwand und das hohe Gras, konnte aber nichts entdecken. »Ist hier heute Nacht ein Marder oder Iltis vorbeigekommen oder hat dich eben ein Mäuschen geärgert? Jetzt ist es jedenfalls weg. Komm,


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